Hamburg. 40.000 neue Flüchtlinge werden erwartet.1500 Flächen wurden oder werden geprüft. SPD hält an Wohnungsbauprogramm fest.

Es war ein deutlicher Einblick in das Seelenleben des Bürgermeisters: „Ich habe, was selten vorkommt, schlaflose Nächte“, sagte Olaf Scholz (SPD), als er am vergangenen Dienstag die Bürger dazu aufrief, die Stadt bei der Suche nach Flächen für Flüchtlinge zu unterstützen. Tatsächlich wird die Schaffung der Unterkünfte für 40.000 erwartete Neuankömmlinge ein Kraftakt, heißt es nach dem Aufruf aus der Verwaltung. „Es ist eine Mär, dass in Hamburg jede Menge einfach verfügbare Standorte schlummern“, sagt ein Senatsvertreter.

Nach Abendblatt-Informationen hat der Zentrale Koordinierungsstab Flüchtlinge (ZKF) bereits 1500 Flächen in der Kartei. Sie wurden entweder bereits geprüft, werden aktuell untersucht oder wurden bebaut. Auf der anderen Seite erreichen die Stadt allein per E-Mail bislang etwa 60 Vorschläge im Monat von Eigentümern und Privatleuten. Sie sollen von April an direkt in dem digitalen Modell „City Scope“ eingepflegt werden. „Wir nehmen bereits seit der Ankündigung des Bürgermeisters einen leichten Anstieg der Vorschläge wahr“, sagt die ZKF-Sprecherin Christiane Kuhrt.

Große Liste: Hier baut Hamburg Flüchtlingsunterkünfte

Bislang wurde aber nur etwa jeder zehnte Standort in der Prüfung tatsächlich als geeignet angesehen. Neben den räumlichen Mindestkriterien führen eine Reihe von Faktoren dazu, dass Standorte nicht bebaut werden können. Das Abendblatt fragte nach der Verfügbarkeit von mehr als 20 bekannten, zumeist leerstehenden Flächen und Gebäude in allen sieben Bezirken. Keines ist nach aktuellem Stand für Flüchtlinge nutzbar:
Die Meenkwiese an der Grenze von Eppendorf und Winterhude soll für den regulären Wohnungsbau genutzt werden und scheidet deshalb für Flüchtlingsunterkünfte aus.
Das Harburg Center an der Knoopstraße, das seit 2007 größtenteils leer steht, wird nicht weiter geprüft. Ein Antrag der Grünen, das Gebäude im Privatbesitz für Flüchtlinge zu beschlagnahmen, fand im Bezirk keine Mehrheit.
Die Hinschwiese in Niendorf wird ebenfalls kein Standort. Sie ist in privater Hand, im Fluglärmschutzgebiet und ist als Erweiterungsfläche für die Modekette Tom Tailor planerisch vorgesehen. „Der Bezirk wird dort nicht die Arbeitsplätze gefährden“, sagt der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD).
Die Grünfläche zwischen Bahnlinie und B 75 (Meiendorfer Straße) zwischen Hofstückenweg und Jarnostraße im Bezirk Wandsbek wurde als nicht geeignet abgelehnt, da sie im Naturschutzgebiet Stellmoorer Tunneltal liegt. Dort sind Unterkünfte nicht zulässig.
Der Bezirk Mitte teilt auf Anfrage mit, dass Flächen wie das brachliegende Esso-Areal und das ehemalige Schwimmbad auf St. Pauli ebenso wie das Allianz-Gebäude am Großen Burstah (Altstadt) derzeit nicht infrage kommen. Eine Flüchtlingsunterkunft sei an den Standorten entweder nicht zulässig, oder es sei bereits eine andere Nutzung vorgesehen.

Die fehlende Genehmigungsfähigkeit wird vom ZKF als wesentlicher Faktor für das Ausscheiden von Unterkünften angegeben. Darunter fallen auch Flächen, bei denen eine hohe Lärmbelastung vorliegt. Die Volksinitiative gegen Großunterkünfte hatte auch die Standards, nach denen bislang passende Standorte ausgewählt wurden, kritisiert.

So hatte Klaus Schomacker, Vertrauensmann und Sprecher der Volksinitiative, in der vergangenen Woche moniert, dass für das interaktive Stadtmodell „City Scope“ bestimmte Ausschlusskriterien zugrunde gelegt werden. Bei „City Scope“, mit dessen Hilfe die Bürgerbeteiligung bei der Flächensuche realisiert werden soll, werden für den Wohnungsbau vorgesehene Areale und Lärmschutzgebiete bislang nicht berücksichtigt. „Das ist nicht hilfreich“, hatte Schomacker gesagt.

Es scheint so, dass sich daran auch in Zukunft kaum etwas ändern wird. „Den Wohnungsbau weiter anzukurbeln, ist ein Kernanliegen des rot-grünen Senats“, sagte SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel am Sonntag. Es wäre angesichts der großen Nachfrage nach Wohnraum fatal, wenn ein Abschnitt des Wohnungsbauprogramms wegfallen würde. „Aber: Eine für Wohnungsbau vorgesehene Fläche zeitlich befristet für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen, kann im Einzelfall gut klappen“, betonte Dressel.

Wichtig sei, dass sich Investoren und Bauträger auf die Zusagen der Stadt verlassen könnten. „Beim Lärmschutz gibt es immer Grenzbereiche dessen, was noch zumutbar ist. Da kommt es immer auf den Einzelfall an“, sagte der SPD-Politiker. Entscheidend sei, dass die „Wohngesundheit“ nicht beeinträchtigt werden dürfe.

Am Sonnabend haben sich mehr als 100 SPD-Funktionäre aus Senat, Fraktion, Landesvorstand, Bezirken und Distrikten zu einer Klausurtagung in der Wichern-Schule in Horn getroffen. Mit dabei waren Bürgermeister Olaf Scholz sowie die für die Flüchtlingsunterbringung zuständigen Senatoren Melanie Leonhard (Soziales), Andy Grote (Inneres) und Dorothee Stapelfeldt (Stadtentwicklung, alle SPD). In vier Arbeitsgruppen zu Unterbringung, Integration, Kommunikation und Außenpolitik wurde die Lage diskutiert. Nach Abendblatt-Informationen wurden keine Beschlüsse gefasst.

Nach dem überraschend großen Erfolg der Volksinitiative gegen geplante Großunterkünfte geraten jene 38 Stadtteile, die bislang keine oder sehr wenige Flüchtlinge beherbergen, zunehmend in den Fokus. Zwar gebe es keine direkte Priorisierung, sagte die ZKF-Sprecherin Kuhrt. „Wenn es mehrere gleichwertige Möglichkeiten gibt, verfolgen wir zunächst die Standorte, in deren Nachbarschaft es bisher wenige oder keine anderen Unterkünfte gibt.“

Zuletzt hatte die Fraktionsspitzen von SPD und Grüne betont, dass sie die Auffassung der Volksinitiative in diesem Punkt grundsätzlich teilten. Eine vollkommen gerechte Verteilung könne es aber kaum geben.