Altengamme. Hochwasserschutz und Naturschutz: Die Schlinz wandert Richtung Elbe. Warum der Energiekonzern einbezogen werden muss.
Anwohner horchen auf und sprechen die Bauarbeiter an. Denn schwere Baufahrzeuge sind seit einigen Tagen im Altengammer Deichvorland im Einsatz. Dort verläuft parallel zum Altengammer Hauptdeich/Neuengammer Hauptdeich im Naturschutzgebiet Borghorster Elblandschaft die Schlinz, ein seit Jahrzehnten bestehender Priel. Es handelt sich um ein besonders langes, den Gezeiten ausgesetztes Gewässer, das sich allerdings zu nah am Deich befindet, teilweise sogar im Deichfuß. Es geht um Hochwasserschutz und um Naturschutz: Um die Deichsicherheit zu erhöhen, soll ein rund 400 Meter langer Abschnitt des Priels etwa 20 Meter in Richtung Elbe verlegt werden.
Es gehe bei der Maßnahme aber auch darum, den Priel naturnaher zu gestalten, berichtet Elisabeth Klocke (57), Geschäftsführerin und Vorstand der Stiftung Lebensraum Elbe, die das Projekt umsetzt. Denn der Priel weise Defizite auf. Er ist in großen Teilen begradigt. Die Böschungs- und Sohlbereiche seien zu steil und zum Großteil mit Steinaufschüttungen befestigt, deshalb könne sich die Schlinz nicht entwickeln. „Besonders stark ist dies im knapp 100 Meter langen Mündungsabschnitt ausgeprägt“, sagt Elisabeth Klocke und fügt hinzu: „Das wurde damals so angelegt, weil das so Mode war. Doch das ist nicht naturnah. Das Wasser kommt nicht mit dem Land in Kontakt.“ Dies sei aber wichtig für bestimmte Pflanzen- und Tierarten.
Schlinz: Massive Befestigungen gehören der Vergangenheit an
Die massiven Sohl- und Uferbefestigungen sollen zurückgebaut, die Uferböschungen abgeflacht werden. Die beiden Enden des neu ausgebuddelten Gewässers werden mit dem bestehenden Priel leicht geschwungen verbunden. Der Teil des bestehenden Prielbetts, der nach der Maßnahme nicht mehr benötigt wird, soll dann mit dem Aushub aus dem neuen Priel verfüllt werden. „Ansonsten haben wir mit dem ausgedienten Prielbett nichts weiter vor. Dort wird sich Röhricht ansiedeln“, sagt die Stiftungs-Vorsitzende.
Im Mündungsbereich werde der Priel „aufgeweitet und verbreitert“, betont Elisabeth Klocke. Durch den Eingriff werde aus einem engen, massiv mit Steinen befestigten Gewässer ein weiter, naturnaher Priel, so Klocke weiter. In ihm würden sich Fische und Makrozoobenthos (kleine Krabbeltiere am Gewässergrund) wohlfühlen, außerdem sei mit der Entwicklung größerer Röhrichtbestände zu rechnen, von denen wiederum die Vogelart Röhrichtbrüter profitiere. „Außerdem werden sich die typischen Uferstauden – etwa Blutweiderich, Wasser-Ehrenpreis und Echte Brunnenkresse dort entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass auch der Schierlings-Wasserfenchel profitiert.“
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„Wir wollen bei dieser Maßnahme auch einen Teich integrieren, der sich etwa 20 Meter weiter in Richtung Elbe befindet“, sagt die in Lohbrügge lebende Geschäftsführerin.
Außerdem wird der Priel an zwei etwa 300 Meter voneinander entfernten Stellen durch Rohrleitungen eingeschnürt, damit Landwirte ihn überqueren können, um zu den von ihnen bewirtschafteten Flächen zu gelangen. Elisabeth Klocke und ihr Team wollen einen dieser Engpässe beseitigen und größere Durchflüsse schaffen.
Ein Bagger entfernt Weiden und Buschwerk
Derzeit nimmt ein Bagger mit einem speziellen Astkneifer Buschwerk und Weiden aus dem Bereich des alten Priels, der neugestaltet werden soll. Einige Bäume werden komplett, mit Wurzelwerk, entfernt, andere auf den Stock gesetzt, sodass sie nachwachsen können. Der Eingriff sei notwendig, damit in dem Bereich in den kommenden Monaten gearbeitet werden könne, sagt Elisabeth Klocke: „Wir müssen Platz schaffen.“ Es werde jedoch alles stehengelassen, „was wir stehenlassen können“. Die Wissenschaftlerin spricht von einem „minimierenden Eingriff“. Auch Röhricht werde gemäht. Klocke: „Es wächst ebenfalls nach.“
Bis Ende kommender Woche sollen die Mäharbeiten und der Gehölzschnitt beendet sein, damit Bodenuntersuchungen und Kampfmittelsondierungen noch bis zum Jahresende durchgeführt werden können. Die Bodenuntersuchungen seien notwendig, um gegebenenfalls kontaminierten Boden fachgerecht entsorgen zu können, statt damit den alten Priel zu verfüllen. Im kommenden Jahr sollen dann die eigentlichen Arbeiten am Priel über die Bühne gehen. Sie sollen bis zum Sommerende beendet werden – vor Beginn der Sturmflutsaison.
Die Maßnahme kostet etwa 1,6 Millionen Euro und wird von der Stiftung bezahlt. Die Flächen, über die sich die Schlinz erstreckt, gehören der Stadt Hamburg (Umweltbehörde) und dem Energiekonzern Vattenfall, der im Zuge des Ausgleichs für das Kohlekraftwerk Moorburg in Altengamme Flächen erwarb.
Vattenfall macht Umplanung erforderlich
Auch den etwa 150 Meter langen Priel-Abschnitt, der auf der Fläche von Vattenfall verläuft, hätte die Stiftung gern renaturiert und verlegt. Doch das Unternehmen habe sich von seiner Fläche nicht trennen wollen, berichtet Elisabeth Klocke: „Wir haben angefragt, aber keine Zusage erhalten“, sagt die Chemikerin. Eine Begründung für seine Entscheidung habe das Unternehmen nicht geliefert. „Weil wir ursprünglich davon ausgingen, auch auf der Vattenfall-Fläche arbeiten zu können, war das Projekt anfangs anders geplant worden. Nach der Absage des Konzerns mussten wir dann umplanen. Dadurch hat sich alles verzögert.“
Erfreulicherweise befinde sich der Teil des Priels, der auf dem Grundstück von Vattenfall verläuft, nicht im Deichfuß, betont Gerwin Obst. „aber auch dort ist der Priel nur wenige Meter vom Deichfuß entfernt“, sagt der Biologe und Stiftungsmitarbeiter.