Altengamme. Der Plan ging auf: Fünf Jahre nach Inbetriebnahme des Sielbauwerks leben auf dem Areal in Altengamme viele seltene Pflanzen und Tiere.
Der Plan, die Borghorster Elbwiesen wieder der Tide auszusetzen, wurde bereits vor 20 Jahren gefasst. Vor fünf Jahren war es dann soweit: Ein neu errichtetes Sielbauwerk konnte nach einjähriger Verzögerung in Betrieb genommen und das insgesamt 69 Hektar große Gelände geflutet werden. Grund für die Verzögerung waren technische und tierische Probleme:
Naturschutz: Ebbe und Flut bestimmen dort den Lebensraum
Biber, die schon damals auf dem Areal lebten, verzögerten die Flutung, weil man nicht wusste, wie die Tiere mit der neuen Situation klarkommen. Längst ist klar: Die Tiere haben sich dem Rhythmus der Gezeiten angepasst, zeugen weiterhin fleißig Nachwuchs. „In der Regel leben hier vier bis sechs Biber“, sagt Christian Michalczyk (57). Der in Glinde lebende Diplom-Biologe war als Angestellter der Umweltbehörde von Anfang an mit dem Projekt befasst. Ebbe und Flut bestimmen seit dem Start der naturnahen Entwicklung im Oktober 2017 den Lebensraum auch der anderen dort ansässigen Tiere und Pflanzen.
Anwohner an den Borghorster Elbwiesen waren gegen die Maßnahme. Sie fürchteten, dass Wasser durch den Deich dringen und ihre Häuser beschädigen könnte. Aufgrund der Anwohner-Proteste wurde nicht nur das Sperrwerk gebaut. Das Sielbauwerk enthält auch ein Schöpfwerk, das Wasser in die Stromelbe pumpen kann. „Die Pumpen mussten meines Wissens aber bisher nie angeworfen werden, höchstens für Probeläufe“, sagt Michalczyk.
Schon bis in die 1960er-Jahre der Tide ausgesetzt
Die Kosten für das Projekt schossen aufgrund der teuren Technik in die Höhe: Fast 27 Millionen Euro wurden in die Ausgleichsmaßnahme für die Erweiterung des Airbus-Geländes in Finkenwerder investiert. Auf dem Leitdamm entlang des Schleusenkanals wurde eine Straße als neue Verbindung zwischen Bergedorf und Geesthacht gebaut, der Horster Damm zwischen Kreisel und Betonmischwerk zurückgebaut. Nun trafen wir Michalczyk vor Ort, um zu sehen, wie sich Flora und Fauna in den renaturierten Flächen entwickelt haben.
„Es bot sich schon von der Historie her an, hier Platz zu schaffen für ein Süßwasserbiotop mit Wattflächen, Röhricht und Auwald, denn die Borghorster Elbwiesen waren tidebeeinflusst, bis in den 1960er-Jahren der Leitdamm gebaut wurde“, sagt Michalczyk. Solche breiten Flächen im Deichvorland sind in Hamburg selten. „Sonst sind wir gezwungen, den Deich nach hinten zu verlegen, um solche großen Flächen zu schaffen.“ In Borghorst sei die Besonderheit, dass kein Deich, sondern nur der Leitdamm die Tide aussperre.
Zahlreiche Gänse und Enten sind auf den Flächen zu sehen
Auch der Bereich, in dem früher der Horster Damm in Richtung Geesthacht verlief, habe sich gut entwickelt, betont der Biologe: „Dort gibt es auch keinen Fußweg mehr. und ein Priel kreuzt die frühere Straße. Hier ist inzwischen alles zugewachsen, ein Refugium für Tiere und Pflanzen entstanden.“
Zahlreiche Graugänse, Krick- und Schnatterenten und weitere Rastvögel auf dem Durchzug sind auf den unter Naturschutz stehenden Flächen zu sehen. Michalczyk: „Einige Bestände dieser Rastvögel sind von landesweiter Bedeutung. Die Vögel finden dort Nahrung wie kleine Würmer, Muscheln und winzige Krebstiere.“
Leider gebe es immer wieder Menschen, die dort spazieren gehen, Drachen steigen lassen oder sogar ihren Hund frei laufen lassen. Deswegen sei der mobile Rangerdienst, der in Hamburgs sämtlichen Naturschutzgebieten unterwegs ist, dort regelmäßig anzutreffen.
Pflanzen, die hamburgweit nur in Borghorst vorkommen
Auch besondere Pflanzen wachsen nun in den Borghorster Wiesen, etwa Feldmannstreu: „Diese Pflanze, die verwandt ist mit den Steppenrollern, den rollenden Strohballen aus den Western-Klassikern, wächst in ganz Hamburg nur hier.“ Auch die Brenndolde und der Große Wiesenknopf würden hamburgweit nur in Borghorst wachsen. Der seltene Schierlings-Wasserfenchel, der wiederum weltweit nur in Hamburg vorkommt, habe sich hingegen noch nicht in Borghorst angesiedelt. „Aber die Chancen stehen gut, dass dies bald der Fall sein könnte, da die Pollen auf dem Wasserwege in die Elbwiesen geschwemmt werden könnten.“
Die beiden Hubschütze des Sielbauwerks, jeweils fünf Meter breite und knapp vier Meter hohe Metallplatten, die hoch- und runtergefahren werden können, sperren die Sielkammer im Falle zu hoher Elbwasserstände. „Für die Natur sind allerdings so viele Tiden wie möglich gut“, weiß Michalczyk. „95 Prozent aller Wasserstände dürfen rein.“ Das Risiko, dass Qualmwasser großflächig durch den Deich dringt, wäre auch ohne das Sielbauwerk „sehr gering“, meint Michalczyk. Man sei mit dem Bauwerk damals aufgrund der Sorgen und Proteste der Anwohner „auf Nummer sicher gegangen“.
Das Areal habe sich „richtig gut entwickelt“, sagt der Biologe. Das Zusammenspiel aus Flachwasserzonen, Watt, Schlammuferfluren, Röhricht (vor allem Schilf) und Auwald (vor allem Weiden) sei früher typisch für die Ufer der Elbe und weit verbreitet gewesen. „Heute sind solche Zonierungen leider selten, weil die Elbe stark eingedeicht ist und wenig Vorland hat.“