Hamburg. Das US-Wahlergebnis ist kein amerikanischer Ausreißer, sondern die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die gute alte Zeit. Ein Rollback.
Wie wenig manche progressive Medien verstanden haben, zeigt eine Petitesse nach der US-Wahl: Mit Sarah McBride wurde die erste Trans-Frau in den US-Kongress gewählt. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland sprach von einem „geschichtsträchtigen Erfolg“, der „Tagesspiegel“ titelte: „Delaware hat laut und deutlich die Botschaft gesendet“, und die „Morgenpost“ freute sich über Obamas Hilfe. Na dann.
Bei allem Respekt für McBride, es wäre nicht nur für die LGBTQ+-Bewegung am Ende wichtiger und wünschenswerter gewesen, dass Kamala Harris die Wahl statt Donald Trump gewinnt. Aber am Ende zählt nicht mehr das große Ganze, sondern die eigene Blase. Willkommen im Amerika des Jahres 2024. Und willkommen in Deutschland.
Hamburger Kritiken: Wer nur noch Minderheiten im Fokus hat, verliert die Mehrheiten aus dem Blick
Teile der Linken haben im Werben um laute Minderheiten die (schweigende) Mehrheit komplett aus dem Blick verloren. In der Hoffnung, die Welt jeden Tag ein Stück besser zu machen, erreichen sie derzeit eher das Gegenteil. Eine wachsende Mehrheit der Wähler macht den Weltverbesserern einen Strich durch die Rechnung und das Kreuz bei der Gegenseite: bei einem Rassisten, bei einem Ausländerfeind, bei einem Macho, bei einem Egomanen.
Ich bin davon überzeugt: Viele wählen Trump nicht, weil sie ihn großartig finden – sondern weil er ganz anders ist als die Lehrmeister und Besserwisser in vielen Medien, Universitäten und der Öffentlichkeit. Selbst bei Latinos und Schwarzen konnte Trump deutlich hinzugewinnen.
In Deutschland läuft es nicht ganz anders als in den USA
Auch hierzulande schlägt das Pendel immer weiter nach rechts aus – nicht weil die AfD irgendwelche vernünftigen Konzepte hat, sondern weil sie das Dagegensein zelebriert und den Überdruss aufsaugt. Denn die progressiven Eliten kümmern sich auch hierzulande viel zu wenig darum, den Menschen die Dinge zu erklären, auch einmal abzuwarten, um Mehrheiten mitzunehmen.
Mit aktivistischer Begeisterung werden die Programme – auch politisch vom Heizungsgesetz über das Selbstbestimmungsrecht bis zur Cannabisfreigabe – durchgewinkt. Auch deshalb, weil präsente Gruppen das so fordern und Medien ihre Rufe verstärken.
Der Eifer der Eiferer hilft am Ende den Vereinfachern
Es gibt ein wachsendes Unbehagen über eine kleine, laute, linke Schar, die den Menschen nicht nur vorgibt, wie sie zu leben haben, sondern auch, was ihnen Sorgen machen muss, was sie denken und sagen dürfen und wie sie es sagen müssen. Ihr Maß wird zum Maß aller Dinge: Man selbst liegt goldrichtig, Kritik daran ist schnell rechts oder gleich Hatespeech; Hass aber muss verfolgt werden – außer der Hass richtet sich gegen die eigenen Gegner, egal ob Polizei, AfD oder Israel. Es ist der Eifer dieser Eiferer, der Wasser auf die Mühlen der Vereinfacher und Zuspitzer ist.
Und wehe, eine Linke hält ihnen den Spiegel vor. Sahra Wagenknecht war so lange beliebt, solange sie Frontfrau der radikalen Linkspartei war. Kaum tritt sie mit anderen, linkskritischen Aussagen auf, wird sie niedergemacht und mit der AfD in einen Topf geworfen.
Wer mit der Zukunft hadert, sehnt sich in die Vergangenheit zurück
Dieser schrille Streit, die Umwertung vieler Werte, diese Vertreibung aus einem geistigen und sprachlichen Zuhause bleibt nicht folgenlos. Es macht viele Menschen heimatlos und lässt sie mit der Gegenwart hadern. Zugleich setzt ein Rollback ein, den die Krisen dieser Tage – Inflation, Migration, Klimawandel, Krieg – noch verstärken. Es wächst die Sehnsucht nach der Vergangenheit, allerdings eine verklärte nach einem Zerrbild.
Donald Trump hat in seinem Versprechen „Make America Great Again“ diese gute alte Zeit erfolgreich beschworen. Und die Linke hat versagt zu erklären, dass diese Zeit gar nicht so großartig war. In Wahrheit ist die gute alte Zeit ein leeres Versprechen, das der großartige Unterhalter Joachim Meyerhoff auf den Punkt gebracht hat: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“
Progressive Politik war mal das Versprechen, dass es allen besser gehen soll
Die Linke hat vergessen, dass progressive Politik vom Versprechen auf eine bessere Zeit lebt. Wer die Zukunft nur mit Weltuntergang und Klimakatastrophe verbindet, wer statt Familie und Land die Identitätspolitik in den Mittelpunkt stellt, wird damit manche Herzen wärmen, aber keine Mehrheiten erreichen.
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Das uralte Versprechen, wonach es die Kinder einmal besser haben sollen, funktioniert heute wie vor zehn, 100 oder 1000 Jahren. Das Versprechen, Transmenschen sollen es einmal besser haben – so berechtigt es ist –, wird nur Minderheiten mobilisieren. So dürfen wir uns nur über kleine Siege in Delaware freuen und müssen mit krachenden Niederlagen leben.