Hamburg. Hamburg setzt auf neue Technologien. Das ist gut. Aber noch besser wäre, auch einen Plan B zu haben, wenn es scheitert.

Der Kolumnist ist oft ein Kellner, der schlechte Nachrichten serviert, ein Mann, der bevorzugt Wasser in den Wein gießt. In der laufenden Woche war Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Hamburg, um einen großen Scheck vorbeizubringen. Er hatte zwei Förderbescheide im Gepäck, es ist ja auch nicht sein Geld, sondern das des Steuerzahlers. Rund 154 Millionen Euro gibt es für den Elektrolyseur, der von 2027 an in Moorburg mithilfe von Sonnen- oder Windenergie grünen Wasserstoff produzieren soll. Weitere 126 Millionen fließen aus Berlin in den Bau eines 60 Kilometer langen Wasserstoff-Industrie-Netzes für die heimische Industrie.

Das Projekt ist so wichtig wie richtig – schon 2019 hatte sich Wirtschaftssenator Michael Westhagemann an die Spitze der Bewegung gesetzt. Dass es fünf Jahre von der Idee bis zum Förderbescheid dauert, ist kein Zeichen dafür, dass wir rasend schnell unterwegs sind. Als der parteilose Senator die Idee präsentierte, sprach er noch vom größten Projekt weltweit. Inzwischen gibt es manche in dieser Größenordnung, viele sind schon weiter gediehen. Verärgert ist der Senat zu Recht über die Bummelbürokratie in Brüssel: Es dauerte, bis die EU das Projekt genehmigte.

Warum gingen der Stadt alle Projektpartner von der Fahne?

Allerdings lief auch an der Elbe nicht alles rund. Die Projektpartner gingen von der Fahne. Vattenfall etwa wollte erst die Zukunft mitgestalten und zog sich dann heraus, Shell verlor die Lust, und schließlich winkte auch Mitsubishi Heavy Industries ab. Nun mag man über die Beweggründe spekulieren – keiner weiß, wie ernst es den Unternehmen von Anfang an war und welche Interessen mitspielten. Aber wenn drei große Unternehmen die Lust verlieren, dürfte im Kapitalismus ein Grund sicher dabei sein: Auf absehbare Zeit ist mit Wasserstoff kein Geld zu verdienen.

Für die großen Trends hat die Börse einen guten Riecher. Ich kann nur für alle Leser hoffen, dass sie sich keine Wasserstoffaktien ins Depot gepackt haben. Thyssenkrupp Nucera, ein Anbieter von Elektrolyse-Technologie, verlor seit 2021 fast zwei Drittel an Wert, das norwegische Wasserstoffunternehmen Nel ASA 85 Prozent und die US-Firma Plug Power sogar 96 Prozent. Offenbar bezweifelt die gesamte Finanzwelt, dass man angesichts der Kosten mit Wasserstoff jemals Geld verdienen kann. Die schöne neue Energiewelt bleibt noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, ein Zuschussgeschäft, weil die fossilen Alternativen viel billiger sind.

Warum folgt kein Industrieland der Radikalität der deutschen Energiewende?

Für Deutschland sind das schlechte Nachrichten. Als einziges Industrieland der Welt setzt die Bundesrepublik mittelfristig auf 100 Prozent Energie aus erneuerbaren Quellen. Da nicht ständig der Wind weht und noch seltener – gerade in Hamburg – die Sonne scheint, bedarf es weiterer Energiequellen und Speicher. Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel. Um die stromhungrige Industrie zuverlässig und dauerhaft mit Strom zu versorgen, wird die Arbeit der Elektrolyseure, die nun entstehen, niemals ausreichen. Man muss zusätzlich Wasserstoff importieren.

Damit tappt man in die nächste Abhängigkeitsfalle, etwa mit afrikanischen oder arabischen Staaten. Vor allem läuft man in eine Kostenfalle: Ab 2027 importiert die Bundesrepublik 259.000 Tonnen grünes Ammoniak aus Ägypten. Auf den Energieinhalt heruntergebrochen liegt der Preis bei umgerechnet 16 Cent pro Kilowattstunde, so hat es der frühere Umweltsenator und spätere Energiemanager Fritz Vahrenholt (SPD) berechnet. Hinzu kommen die Kosten für den Transport, die Aufspaltung in Wasserstoff sowie die physikalischen Verluste bei der Stromerzeugung. Ihm zufolge landet man dann bei Preisen von 49 Cent, fünfmal höher als der heutige deutsche Börsenstrompreis und 15- mal mehr als der derzeitige Preis in den USA. Er warnt: „Wir wollen zu schnell zu viel.“

Die Wasserstoffwirtschaft ist eine Wette, die aufgehen muss

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass größere Mengen und der technische Fortschritt die Preise drücken werden und Wasserstoff nur zeitweise benötigt wird – der Unterschied zu den Wettbewerbern, die weniger klimabewegt und mehr aus Eigeninteresse auf Gas und Atom setzen, ist frappierend. Und wir haben keinen Plan B.

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Was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet, egal ob für die Aluminium-, Stahl-, Kupfer-, Chemie-, Papier- oder Glasindustrie, darf sich ein jeder ausmalen. Was es für Wohlstand, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen heißt, auch. Deutschland ist dann vielleicht klimaneutral. Politisch fürchte ich aber die Klimakatastrophe: In einem solchen Land gewänne am Ende die AfD.