Brüssel. Ein Gericht verurteilt mehr als 120 Angeklagte zu insgesamt mehr als 700 Jahren Gefängnis. Wie der Schmugglerring aufflog.

Fast vier Jahre nach einem Rekordfund im Hamburger Hafen ist eine Kokainschmuggelbande in Belgien zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Ein Gericht in Brüssel verhängte gegen die beiden Anführer eines Drogennetzwerks am Dienstag 17 und 14 Jahren Haft. Insgesamt summierten sich die Freiheitsstrafen gegen die über 120 Angeklagten auf mehr als 700 Jahre, es gab neun Freisprüche. 

Die Verurteilten sollen im großen Stil Kokain und andere Drogen aus Südamerika und Marokko nach Europa geschmuggelt haben, auch über den Hamburger Hafen. Den Ermittlern gelang es, verschlüsselte Botschaften der Kriminellen zu knacken, etwa auf der Plattform Sky ECC. 

Nach Rekordfund im Hamburger Hafen: Lange Haftstrafen für Kokainschmuggler

Das Gericht verurteilte den Algerier Abdelwahab Guerni zu 17 Jahren Haft und den Albaner Eridan Munoz Guerrero zu 14 Jahren. Sie sollen die Rädelsführer des weit verzweigten Netzwerks gewesen sein. Das Gericht blieb damit hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft von 20 und 19 Jahren Haft für die beiden Hauptangeklagten zurück. Der Anwalt von Guerni sprach dennoch von einem „extrem harten Urteil“.

Guerrero, der zeitweise in Deutschland lebte, war nach Ansicht des Gerichts die treibende Kraft hinter dem Drogen-Netzwerk. Strafmildernd wirkten sich sein Geständnis und seine Zusammenarbeit mit den Behörden aus. Er hatte zu Beginn des Prozesses im Dezember 2023 gesagt, er habe hoch gepokert, aber „verloren“. Seine Anwältin nannte das Urteil „fair“.

Kokainprozess in Brüssel unter hohen Sicherheitsvorkehrungen

Insgesamt waren mehr als 120 Männer und Frauen angeklagt, ihnen wurde teilweise in Abwesenheit der Prozess gemacht. Dutzende erhielten Gefängnisstrafen von einigen Monaten bis zu mehr als 15 Jahren. Die Verurteilten sollen die Drogen im Zeitraum 2017 bis 2022 geschmuggelt haben. 

Das Verfahren fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im ehemaligen Brüsseler Nato-Hauptquartier statt. Neben belgischen Staatsbürgern saßen unter anderem Nordafrikaner und Kolumbianer auf der Anklagebank. 

Der Prozess in Brüssel fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Der Prozess in Brüssel fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. © AFP | Eric Lalmand

Die Männer und Frauen schleusten nach Überzeugung des Gerichts über die Häfen von Antwerpen, Rotterdam, Hamburg und Le Havre große Mengen Kokain und Cannabis aus Südamerika und Marokko ein und lieferten es an verschiedene Orte in Europa. Die Vorwürfe lauteten auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und teilweise auch auf illegalen Waffenhandel.

Drogenermittler entschlüsselten Botschaften auf Sky ECC und EncroChat

Der belgischen Polizei gelang es in Zusammenarbeit mit Ermittlern aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, das Schmuggler-Netzwerk zu zerschlagen. Dafür entschlüsselten sie Botschaften auf den Plattformen Sky ECC und EncroChat, die beide auch von Kriminellen genutzt werden.

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Reporter der ZDF-Sendung „Frontal“ und anderer europäischer Medien rekonstruierten, wie die Behörden den Krypto-Messenger Sky ECC knackten. Ab Juni 2019 fingen sie demnach bis zu 1,5 Millionen Botschaften pro Tag ab. Sie nutzten später einen technischen Fehler aus, um auch Gruppenchats mitzulesen.

Im Frühjahr 2021 gab Europol bekannt, dadurch hätten Ermittler mehr als 100 Morde verhindert und am Hamburger Hafen 16 Tonnen Kokain sichergestellt – der bis dato größte Einzelfund in Europa.

Einige Verdächtige sind noch flüchtig

Den Medienrecherchen zufolge ist das Vorgehen der Behörden allerdings juristisch umstritten. Denn die Ermittler lasen auch massenhaft Botschaften unbeteiligter Privatpersonen mit. Dies sei eine „illegale Massenüberwachung“, die gegen die „rechtsstaatlichen Werte in Deutschland“ verstoße, zitiert „Frontal“ den Krefelder Anwalt Christian Lödden.

In Belgien galt der Prozess als einer der bisher größten gegen Drogendealer. Die Gerichtsakten umfassten fast 330 Kisten Material. Die meisten Angeklagten saßen seit ihrer Festnahme in Belgien in Untersuchungshaft. Einige Verdächtige sind weiter flüchtig.