Hamburg. Der alte Kontinent sieht im Vergleich zu den USA immer älter aus. Es mangelt an innovativen Ideen, Investments – und dem Gefühl für die Krise.
Es gibt viele Gründe, kritisch auf die USA zu schauen: Das Land ist tief gespalten, die soziale Lage in manchen Regionen erschütternd, und nun schickt sich mit Donald Trump ein Populist an, erneut Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Da mag man sich glücklich schätzen, dass man hierzulande im kommenden Jahr zwischen drei Männern der Mitte wählen kann – zwischen Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck.
Doch bevor sich die Deutschen wieder selbstzufrieden auf die Schulter klopfen, sollten sie realisieren, was in den USA deutlich besser läuft als hierzulande und auf dem alten Kontinent. Dort boomt die Wirtschaft, und der Vorsprung der Staaten auf Europa wächst mit jedem Tag. Bei aller Verachtung für Donald Trump und Joe Biden – irgendetwas müssen die alten weißen Männer besser machen als unsere Kanzler oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Hamburger Kritiken: Der Vorsprung der USA gegenüber Europa wächst immer weiter
Nach Berechnungen der Allianz hat sich die ökonomische Kluft in dem Vierteljahrhundert seit Einführung des Euro deutlich vergrößert. Noch 1999 war die US-Wirtschaft gemessen an der Kaufkraftparität nur etwas größer als die der Eurozone – nämlich um elf Prozent; inzwischen ist es fast ein Drittel.
Noch zur Jahrtausendwende war Europa stolz auf seinen Vorsprung bei Mobiltelefonen und der dazugehörigen Technik. Mit Nokia, Ericsson und Siemens Mobile kamen die drei Marktführer aus Europa; heute sind es Samsung (Südkorea), Apple (USA) und Xiaomi (China). Nun droht sich im Automobilbereich Ähnliches zu wiederholen.
Die USA sind innovativer, schneller und cleverer
Frustrierend ist auch, die Größe der Wirtschaftsräume zu betrachten. 2008 war die Volkswirtschaft der EU mit 16,2 Billionen Dollar noch größer als die amerikanische mit 14,7 Billionen Dollar. Doch die Finanzkrise, die ihr Epizentrum in den Zockerbuden der Wall Street hatte, haben die Amerikaner viel besser weggesteckt. 2023 produzierte die US-Wirtschaft Waren und Dienstleistungen im Wert von 27,3 Billionen Dollar, während die EU und Großbritannien zusammen nur auf knapp 21 Billionen kamen.
Die USA führen in der digitalen Welt, Europa beim Datenschutz
Die USA sind innovativer, schneller und cleverer. Sie haben die deutlich niedrigeren Energiekosten und setzen auf eigene Rohstoffe, was in dieser energie- und geopolitische Krise überlebenswichtig ist. Sie mögen ein furchtbares Bildungssystem haben, verfügen aber zugleich über die besten Hochschulen, aus denen große Weltmarktführer wie Meta oder Google erwachsen.
Sie haben das fruchtbarere Gründerklima und bessere Finanzierungsbedingungen für Start-ups. Sie sind aber auch aufgeschlossen für neue Techniken. Während viele Amerikaner Neues ausprobieren, schreiben die Europäer lieber kritische Technikfolgenabschätzungen. So haben die USA die KI-Konzerne, wir die KI-Regulierung, die US-Unternehmen werden billionenschwer mit Daten, wir konzentrieren uns auf den Datenschutz.
Die EU setzt sich großartige Ziele – um diese dann Jahr für Jahr zu verfehlen
Die Europäische Union ist eine großartige Idee, aber manchmal ein Hindernis. Sie hat schon im März 2000 die Lissabon-Strategie mit dem Ziel beschlossen, bis 2010 der dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Die Ziele wurden krachend verfehlt. Manchmal erinnern die Brüsseler Pläne an die Fünfjahrespläne des untergegangenen Sozialismus.
Nur ein Beispiel. Die EU wollte zur Jahrtausendwende die Investitionen für Forschung und Entwicklung von 1,8 auf drei Prozent im Jahr 2010 fast verdoppeln. Weit vorbei ist auch daneben: Es wurden 1,9 Prozent. Stattdessen proklamierte die EU das Nachfolgeprogramm „Europa 2020“ mit demselben Ziel. Man ahnt, was passierte: Es wurden 2,3 Prozent.
Selbst die grüne Transformation, ein europäisches Herzensthema, droht die EU zu verdaddeln. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) wandern gerade die Investitionen der Zukunftstechnologien über den Großen Teich. Schlimmer noch: Die Krise ist bei vielen noch nicht angekommen, man hält sich für stark und gut aufgestellt.
Ursula von der Leyen hat nun eine lange Liste abzuarbeiten
Ursula von der Leyen hat eine dramatisch lange To-do-Liste: Sie muss Bürokratie und Überregulierung zurückstutzen, die Kapitalmarktunion vertiefen und Förderbedingungen schaffen, die Investments in Europa erleichtern. Und sie sollte endlich die alten Ziele der Lissabon-Strategie erreichen. Denn auch die nächste Wachstumsstory der künstlichen Intelligenz wird wieder in den Vereinigten Staaten und China geschrieben.
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Man kann noch länger hochnäsig auf die USA schauen. Besser wäre es, sich an die eigene Nase zu fassen.