Hamburg. Martin Murphy hat als Wahlhamburger einen besonderen Blick auf die Metropole: Sein Büro hat das Holz-Hochhaus „The Roots“ und „The Fontenay“ entworfen.

Hamburger halten ihre Stadt oft nicht nur für den Nabel der Welt, sondern sogar für die schönste auf dem Erdenrund. Da hilft es, mit Menschen zu sprechen, die internationaler an die Sache herangehen. Martin Murphy ist ein Weltenbummler in Sachen Architektur. Der gebürtige Brite wuchs in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Liverpool auf, studierte dann in London und Madrid, bevor er 1992 nach Deutschland und 1994 in die Hansestadt kam. Seit 2004 ist er Partner im renommierten Büro Störmer, Murphy and Partners.

Murphy hat sich seinen eigenen Blick auf seine Wahlheimat bewahrt: „Zuerst dachte ich, Hamburg traut sich nicht genug zu. Das sehe ich inzwischen anders: Ich bin wahnsinnig stolz, in dieser Stadt zu leben. Es ist viel passiert.“ Das sei nicht allen bewusst.

Martin Murphy: „Die HafenCity ist enorm mutig und erfolgreich“

Den Titel des Podcasts „Was wird aus Hamburg?“ sieht der 57-Jährige kritisch. „Das klingt ein bisschen wie: Was ist nur aus Hamburg geworden?“ Die Antwort müsste sein: „Enorm viel. Wir können wirklich stolz darauf sein, wie sich diese Stadt entwickelt hat. Die HafenCity ist enorm mutig und erfolgreich.“ Das könnten wir manchmal noch etwas lauter mitteilen, sagt Murphy und spricht dabei in der ersten Person Plural.

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„Die Stadt kann stolz auf sich sein“

Was wird aus Hamburg? Der Stadtentwicklungs-Podcast

In der HafenCity hat sein Büro gerade das „Roots“, das höchste Wohn-Holzhochhaus Deutschlands, gebaut. „Da haben wir alle graue Haare bekommen. Es war ein wahnsinnig komplexes Bauprojekt, weil die Anforderungen an Wohnungen viel höher sind als an Büros. Der Industriehafen liegt nicht weit entfernt, es gibt Lärm und Lichtimmissionen, ein Geruchsthema. Aber das ‚Roots‘ ist toll geworden.“

Mit dem „Roots“ wagte sich sein Büro an das höchste Wohnhochhaus aus Holz

Dem Büro Störmer, Murphy and Partner übernahm die Umsetzung vom Konzept zur Ausführung. Das Gebäude misst 65 Meter, dort sind 128 Eigentumswohnungen entstanden, im Erdgeschoss eröffnet die Wildtierstiftung bald ein Museum. Die Obergeschosse wurden wie die tragenden Wände aus Massivholz errichtet, nur Unter- und Erdgeschoss sowie die Erschließungskerne des Gebäudes sind aus Stahlbeton. So wurde rund ein Drittel an CO2 gespart. „Roots ist ein tolles Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit. Etwas Gutes darf anstrengend sein.“ Tatsächlich dauerte der Bau statt zweieinhalb vier Jahre.

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In der HafenCity ist mit dem Roots das höchste Wohnhochhaus aus Holz entstanden. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Das Büro, das der Stararchitekt Jan Störmer einst gründete, hat die Hansestadt geprägt. Ob der alte Kreuzfahrtterminal, das Cinemaxx am Dammtor oder das Side-Hotel, ob der Neubau für das Staatsarchiv, die Erweiterung des Museums für Kunst und Gewerbe oder das alte Bucerius Kunst Forum, die Entwürfe kamen aus dem Büro an der Michaelisbrücke, in dem rund 50 Menschen arbeiten.

Für Klaus-Michael Kühne plante Murphy „The Fontenay“

Murphy hat die Stadt als Architekt kennengelernt. Das Projekt „Zeisehof“ hat ihn in Kontakt mit Ottensen gebracht. „Das Projekt hat mich drei Jahre beschäftigt, auch weil es politisch umstritten war. Wir haben einige interessante Abende im Rathaus Altona erlebt. Aber im Endeffekt haben wir einen Parkplatz mit einem gültigen B-Plan bebaut. Das Gebäude fügt sich gut ein. Wir sind stolz darauf.“ Es gehe darum, als Architekt einen Standort zu verstehen. „Jeder Ort sendet Signale. Da müssen wir auf Empfang sein: Wie laut darf die Architektur werden?“

Ganz anders sei es beim Luxushotel „The Fontenay“ gewesen. „Das war ein ganz anderer Ort, ein Solitär in einer Parklandschaft - da konnten wir eine mutige Sprache wagen.“ Am Anfang steht mit dem Bauherrn die Analyse, was die richtige Antwort für den Standort ist. „Klaus-Michael Kühne war ein begeisterter Bauherr und hatte dieses einzigartige Grundstück. Gute Architektur trägt eine enorme Verantwortung mit sich. Wir müssen uns als Garant für guten Städtebau verstehen“, sagt er. Dass es auch mal krachte, gehört dazu. Über den Streit mit dem Schweizer Milliardär, der schließlich vor Gericht landete, will Murphy nicht reden. „Nächstes Thema“, lacht er.

Der Umbau des Bürogebäudes der Helm AG ist für ihn ein positives Beispiel

Murphy plädiert ohnehin für einen intensiven Dialog mit dem Bauherrn: „Das divaeske Verhalten mancher Architekten ist mir fremd. Bescheidenheit ist wichtig.“ Man müsse genau zuhören, was ein Bauherr sich wünscht. „Im Dialog müssen wir klären, wohin die Reise gehen soll und Varianten aufzeigen. Da bedarf es einer intensiven menschlichen Kommunikation. Denn der Bauherr muss hinter dem Projekt stehen. Am Ende müssten alle Beteiligten hinter dem Projekt stehen.“

Ein positives Beispiel ist für ihn der Umbau des Bürogebäudes der Helm AG nach 2009 an der Nordkanalstraße. „Dieter Schnabel war ein toller Typ und Bauherr. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Besitzer und einem Immobilienentwickler“, erinnert sich Murphy. Schnabel habe ein Gebäude für seine Leute gewünscht, er sei mit Herz und Seele dabei gewesen. „Helm ist ein Weltunternehmen, und trotzdem hat sich Schnabel alle zwei Wochen einige Stunden Zeit genommen.“

Murphy sieht die besonderen Herausforderungen im Altbau

Das Gebäude aus dem Jahr 1972 sollte saniert und ergänzt werden - im laufenden Betrieb. „Das war die Königsdisziplin - wer ein Haus im laufenden Betrieb umbaut, benötigt mehr Sozialkompetenz als Kofi Annan“, sagt Murphy. Der Kern wurde erhalten. „Damals war es noch nicht Standard, die graue Energie zu berücksichtigen. Wer heute dort vorbeifährt, hält das Haus für einen Neubau.“ Auffällig daran ist die Fußgängerbrücke im vierten Geschoss, die das Ensemble verbindet.

Murphy sieht die besonderen Herausforderungen im Altbau. „Ich bin ein großer Fan davon, einem alten Gebäude ein neues Kleid zu geben und es fit für die Zukunft zu machen. Unser Altbaubestand verdient, mit neuen Augen betrachtet zu werden.“ Am Gorch-Fock-Wall 11 etwa wartet die ehemalige Generalzolldirektion darauf, wachgeküsst zu werden. „Wir hatten schon 2008 für einen Investor den Umbau zu einem Luxushotel geplant, da hatten wir tolle Konzepte; dann hat aber das Finanzamt den Mietvertrag verlängert. Das ist ein bisschen wie der 2. Platz in einem Wettbewerb: Viele tolle Entwürfe landen in der Schublade.“

Nun plant sein Büro den Umbau des alten US-Generalkonsulats zu einem Hotel

Nun freut sich Murphy auf einen neuen Auftrag der Unternehmensgruppe Deutsche Realbesitz. Sie hatte zu Jahresbeginn das frühere US-Generalkonsulat an der Außenalster gekauft. „Da ich eine tiefe Leidenschaft für Gebäude mit Historie und Denkmäler habe, habe ich mich vom ersten Moment an in das Haus verliebt“, sagte der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter Max Schlereth.

Störmer, Murphy and Partners werden das Haus nun zu einem Boutique-Hotel umbauen. Zwischen dem Fontenay und dem Vier Jahreszeiten wird „The Jefferson“ entstehen. „Das wird richtig spannend“, sagt Murphy und spricht von 80 bis 90 Zimmern und Suiten. Im ehemaligen Ballsaal könnte ein Restaurant einziehen.

Das Schmuckstück an der Alster besteht aus zwei Villen von Martin Haller

Die Historie des Hauses mit der Hausnummer 27/28 ist bewegt: Ursprünglich bestand das „Kleine Weiße Haus an der Alster“ aus zwei Villen, entworfen hatte sie Rathaus-Architekt Martin Haller. Im Dritten Reich zog die Gauleitung der Nazis dort ein, 1950 übernahmen die Vereinigten Staaten die Gebäude, zu dem auch ein Anbau an der Warburgstraße gehört.

„Wir haben uns im Staatsarchiv schon die alten Pläne angeschaut. Sie sind wunderschön gezeichnet“, sagt Murphy. Nun gehe es darum, die denkmalgeschützten Gebäude behutsam weiterzuentwickeln. „Wir freuen uns riesig darauf.“ Etwas Zeit aber wird es brauchen. Frühestens ab 2028 könnten hier Hotelgäste den einzigartigen Blick auf die Außenalster genießen.

Murphy über Hamburg: Mit der Binnenalster ließe sich mehr machen

Der Wahlhamburger ist ohnehin ein großer Fan der Alster, sieht aber die Nutzung der Binnenalster kritisch. Murphy hält sie für chronisch unterschätzt. „Amsterdam oder Kopenhagen haben mehr aus ihren Möglichkeiten gemacht: Gerade die Binnenalster bietet unglaubliche Chancen zur Belebung der Stadt. Dabei hat Hamburg in der HafenCity bewiesen, dass die Stadt es kann.“

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Allerdings hat auch hier nicht alles funktioniert, wie erhofft. Den Elbtower, der an den Elbbrücken 245 Meter in die Höhe wachsen soll, sah Murphy zunächst kritisch. „Der Maßstab passt eigentlich nicht zu Hamburg. Aber die Entwürfe waren wirklich gut“, sagt der Architekt. Er versteht die Debatte nicht, die derzeit in der Hansestadt geführt wird. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf brachte sogar einen Abriss des 100 Meter hohen Torsos ins Gespräch. „Der Elbtower muss nun zu Ende gebaut werden, so wie Chipperfield ihn geplant hat. Ein Abriss geht gar nicht - allein schon aus ökologischen Gründen.“

Fünf Fragen an Martin Murphy

Meine Lieblingsstadt - das ist schwierig zu beantworten. London und Madrid liegen weit vorne. Pulsierende Städte sind aber auch Shanghai oder Neu-Delhi. Die Energie einer Stadt ist wichtig. Berlin macht mir viel Spaß, und Hamburg ist mein Zuhause. Hier bleibe ich.

Mein Lieblingsstadtteil ist Ottensen. Ottensen bietet eine wunderbare Mischung der Kulturen, der Generationen und der Baustile. Es war ein Arbeiterviertel, das viel erlebt hat, und heute viel Grün und Lebensqualität bietet. Es sind die Menschen, die einen Ort ausmachen.

Meinen Lieblingsort gibt es nicht mehr - das war das südliche Ufer der Binnenalster, als die U4 gebaut wurde. Es gab während dieser Zeit eine Pontonlandschaft auf der Alster, wo ich viele Mittagspausen verbracht habe. Einen Sommer lang gab es Leben in der Stadt, obwohl diese Stahlpontons nicht sonderlich bequem waren. Insgesamt haben wir ein gespaltenes Verhältnis zu unseren Plätzen - das zeigt sich auch am Domplatz. Planten un Blomen ist ein wunderschönes Areal, das seltsamerweise wenig genutzt wird. Ich mag auch den Taschenpark im Kornträgerweg. Der bietet Ruhe mitten in der Stadt, ist aber leider etwas ungepflegt.

Mein Lieblingsgebäude ist die Staatsoper. Die Nutzung, die Geschichte, die Proportionen stimmen dort. Es ist ein sehr offenes Gebäude, man sieht von der Straße eine deutliche Energie hinter der Glasfassade.

Einmal mit der Abrissbirne … hier sollten wir uns zurückhalten. Nachhaltigkeit wird inzwischen großgeschrieben. Deshalb sollten wir uns die Frage stellen, was man von einem Gebäude retten kann. Die alte Neue Burg, also das Hochhaus der Kirche, und das Allianz-Hochhaus hätten wir nicht abreißen dürfen. Wir waren damals beauftragt und haben versucht, die alte Struktur zu integrieren. Es ist uns nicht gelungen, wir waren zu schnell, und dafür schäme ich mich.