Hamburg. Trotz EU-Zulassung und Verkauf bei Aldi soll der Selbsttest vom Markt verschwinden. Hamburger Unternehmer geht dagegen vor.
Den Blutzucker messen, eine Urinprobe für einen Schwangerschaftstest nehmen oder neuerdings in der Nase bohren nach Corona: Was dürfen Patientinnen und Patienten in Zukunft selbst testen? Und was macht moderne Diagnostik für zu Hause schon heute möglich?
Um den Vierfach-Test auf Corona, Grippe (Influenza A und B) sowie RSV (Respiratorisches Synzytialvirus) hat sich eine Debatte über Selbsttests entwickelt. In der Welle an Atemwegserkrankungen haben Hamburger Kinderarztpraxen, aber vor allem Eltern in Eigenregie den Vierfach-Test im Internet bestellt, um bei Sohn oder Tochter abzuklären, was hinter dem Husten und Schnupfen steckt.
Hamburger Vierfach-Test soll trotz hoher Verlässlichkeit vom Markt verschwinden
Aus der Corona-Pandemie heraus haben sich die Eigenabstriche mit den Stäbchen (Swabs) als probates Mittel für eine erste Einordnung erwiesen. Kann ich die Großmutter im Heim besuchen? Darf das Kind in die Kita, weil es nur Husten hat und eben kein RSV und keine Grippe?
Mit falsch positiven oder falsch negativen Ergebnissen muss man jedoch immer rechnen. Eine nahezu einhundertprozentige Gewissheit geben nur Labortests, die teurer und zeitaufwendiger sind. Zudem muss eine Arztpraxis aufgesucht werden. Der Vierfach-Test hatte allerdings eine so hohe Verlässlichkeit, dass auch Aldi Süd ihn auf seiner Webseite bewarb und ein Großdrogist ihn ins Sortiment nahm.
Damit allerdings ist nun Schluss. Denn eine Apothekerkammer hat Aldi darauf hingewiesen, dass eine „echte Grippe“ (Influenza) nur von einem Arzt festgestellt werden könne. So steht es im Infektionsschutzgesetz. Ausnahmen (Paragraf 24) sind unter anderem HIV, Hepatitis C sowie das Sars-CoV-2-Virus – Corona. Weil die Grippe namentlich meldepflichtig ist, muss also ein Arzt sie „beurkunden“.
Aldi Süd soll Vierfach-Test aus dem Sortiment nehmen
Aldi Süd wurde zusätzlich von der Bezirksregierung Düsseldorf aufgefordert, den Test aus dem Sortiment zu nehmen. Er dürfe „nicht an Laien abgegeben werden“. Dabei ist der EU-weit für den Hausgebrauch zugelassene Combo4-Test der chinesisch-amerikanischen Firma CorDx, den die Hamburger Unternehmer Axel Strehlitz und Heiko Fuchs (Corona Free Pass) seit dem Herbst vertreiben, nach ihrer Auffassung bloß ein „indirekter Nachweis“.
Ein „direkter“ und somit meldepflichtiger Nachweis sei nur ein PCR-Test. Und nur dabei gelte der „Arztvorbehalt“ des Infektionsschutzgesetzes. Klingt kompliziert, macht aber klar, wie unklar die Lage bei den verschiedenen Selbsttests ist – und wie verwirrend die Situation im Auslaufen der Corona-Pandemie.
Denn das Infektionsschutzgesetz geht davon aus, dass ein (kompetenter) Mensch an einem anderen den Test durchführt. Also etwa ein Arzt an einem Patienten. Nun sind aber Selbsttests gerade für Laien zur Eigenanwendung zugelassen und gedacht – oder bei ihren Kindern.
Strehlitz glaubt, dass Grippebefund seines Vierfach-Tests zulässig ist
Combo4-Händler Strehlitz glaubt deshalb, dass ein Grippebefund seines Vierfach-Tests zulässig ist und nicht unter den Arztvorbehalt fällt. Ein eigens beauftragtes Rechtsgutachten stützt seine Sicht. Er führt ins Feld: Schon in der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) stehe ja in Paragraf 3, Absatz 4, dass Tests für meldepflichtige Erreger, die nur Ärzte feststellen können, auch nur an diese oder Apotheken oder Testzentren abgegeben werden dürfen. Für die Hände von Laien seien die also gar nicht gedacht.
Strehlitz zum Abendblatt: „Entsprechend droht nach unserer Rechtsauffassung weder dem Verbraucher, der einen Test zur Eigenanwendung für Influenza A/B anwendet, noch einem Händler oder dem Hersteller das Risiko eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz.“
Combo4 hat EU-Zulassung
Das allerdings sieht die Bezirksregierung Düsseldorf anders, die in ihrem Schreiben an Aldi Süd darauf hinwies, dass Combo4 ein „direkter Nachweis“ sei. Ein weiteres Landesministerium hat einer anderen Firma den Vertrieb ebenso verboten, wie Unterlagen zeigen, die dem Abendblatt vorliegen. In der Gebrauchsanweisung für Combo4 steht ausdrücklich, dass der Test keine „endgültige Diagnose“ liefere. Strehlitz sagt deshalb: „Die ,Feststellung‘ einer Infektion erfolgt nicht durch uns, sondern immer erst durch einen Arzt. Wir liefern keine endgültige Diagnose, sondern geben dem Endkunden ein Indikativmittel.“
Der Combo4 ist europaweit von einer „benannten Stelle“ zugelassen. In Polen, wo die Welle an Atemwegserkrankungen ähnlich heftig wütete wie hierzulande, empfahlen sogar Behörden den Test. Auch Österreich geht – dank der Erfahrungen mit Corona und den sogar Privatpersonen zur Verfügung gestellten günstigen PCR-Tests – damit ebenfalls liberaler um. „Nur Deutschland macht es so kompliziert wie möglich“, sagt Strehlitz. Er kann nicht verstehen, dass sogar HIV als Selbsttest zugelassen ist, es aber offenbar eine Regelungslücke für Grippe gibt.
Und er hat einen Verdacht: Möglicherweise ahnte man beim Schreiben des Gesetzes nicht, dass es bald Schnelltests auf Grippe geben könnte. Deshalb windet sich das Bundesgesundheitsministerium auch ein bisschen: „Nach derzeitiger Rechtslage“ dürften Grippe-Tests nicht an Laien abgegeben werden. „Aktuell wird diese Einschränkung vom BMG überprüft.“ Und für die „Auslegungen“ des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes seien ja die Länder verantwortlich. Auch nach der ausführlichen Berichterstattung im Anschluss an den ersten Abendblatt-Text über den Vierfach-Test schritt keine Hamburger Behörde ein.
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Internet-Riesen wie Amazon sind längst im Gesundheitsmarkt aktiv
Unternehmer Strehlitz ärgert sich darüber, dass die Kunden vergleichbare Tests nun im Internet bei Riesen wie Amazon bestellen. Dieser Trend zu den Mega-Plattformen ist auch anderen ein Dorn im Auge. Weil Google, Amazon und weitere Big Player sich längst im Gesundheitsmarkt tummeln, bedrohen sie durch ihre globale Finanzkraft gute Ideen und funktionierende Angebote anderer.
Die vom Hamburger Unternehmer David Meinertz gegründete Online-Arztpraxis Zava, die seit Jahren europaweit digitale Sprechstunden anbietet und in Deutschland mit gesetzlichen Krankenkassen kooperiert, bietet ein ganzes Portfolio von Selbsttests: Diabetes, Cholesterin und Hautchecks, bei denen man Fotos hochlädt.
Das bieten inzwischen einige Medizin-Plattformen. Zava ist zuletzt immer weiter gewachsen mit seinem Team an Ärztinnen und Ärzten, Labor-Partnern, Video-Service und Online-Rezepten. Die Video-Software ist bereits zertifiziert von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Zuhause-Tests mit anschließender ärztlicher Beratung und möglicherweise Rezept und Medikament werden heute schon von den privaten Krankenversicherern bezahlt. Bis die gesetzlichen Kassen ähnliche Anwendungen möglich machen, dürfte es kein großer Schritt mehr sein.
Wirbel um Hamburger Vierfach-Test: "Nächste Grippewelle kommt bestimmt"
Antigen-Tests kommen immer günstiger und leichter zu handhaben auf den Markt. Ein luxemburgisches Unternehmen bietet jetzt den Easy Lolly als Corona-Test zum Lutschen, zehn Tests für 20 Euro. Die Bluttests bei Zava kosten zwischen 32 und 39 Euro und werden in Laboren ausgewertet. Die Entwicklung schreitet extrem schnell voran.
Unternehmer Strehlitz sagt: „Die nächste Grippewelle kommt bestimmt. Und testen ist besser als nicht testen.“ Er will jetzt prüfen, ob er den Schaden, der ihm durch das Vertriebsverbot des Vierfach-Tests entstanden ist, einklagen kann.