Hamburg. Er rettete HSV und Kammerspiele, eckte oft bei Hamburgs Gesellschaft an. Hunke attackiert Klaus-Michael Kühne und hat neue Pläne.
Der Wind pfeift mit eisiger Kälte um den Flughafenbus. Es sind nur wenige Meter, die die Passagiere vom Terminal zum Airbus der Swissair zurücklegen müssen. Es ruckelt gewaltig auf dem Vorfeld des Flughafens in Kiew an diesem 6. Dezember 1998.
Jürgen Hunke bricht das Schweigen. „Ihr müsst nicht glauben, dass es jetzt vorbei ist“, sagt Hunke in Richtung der Hamburger Delegation von Edelfans, Journalisten und sonstigen Frierenden, die sich gedankenverloren und reflexhaft im Bus an Halteschlaufen oder Sitze klammern. Der aufstrebende Boxer Wladimir Klitschko, damals 22, hatte nach einer K.-o.-Serie seinen ersten Profikampf verloren. Nicht bloß ein Rückschlag. Eine Schmach.
Ausgerechnet in seiner Heimat Kiew ging ihm gegen den gewieften US-Boxer Ross Puritty die Puste aus. Technischer K. o. in Runde elf. Hunke lehnte sich im Bus, sprichwörtlich, weit aus dem Fenster: „Wladimir wird Weltmeister im Schwergewicht. Das verspreche ich euch. Er kommt stärker zurück, als ihr euch vorstellen könnt.“
Jürgen Hunke und seine Klitschko-Prophezeiung
Cut. Hier muss man einen Schnitt machen und sich fragen: Wie bitte? Was prophezeit Hunke da in der dunkelsten Stunde eines jungen Athleten? Er kann damals ja nicht geahnt haben, dass sich seine forsche Ansage in den kommenden Jahren in Weltmeistertiteln für beide Klitschkos und in einer einzigartigen globalen Doppelkarriere bewahrheiten sollte.
Es ist wie verhext mit dem Mann. Jürgen Hunke, 79 Jahre alt, beweist oft eine Art siebten Sinn und verschmäht fast jede Mehrheitsmeinung.
Ein flüchtiger Blick in seine Aktivitäten im Jahr 2022 zeigt: Er ist wieder da. Dabei ist er nicht hier. Doch dazu später mehr.
Jürgen Hunke und sein Einstieg bei Hamburg 1
Jürgen Hunke wird nun neben dem ebenso umtriebigen Unternehmer Frank Otto mit 50 Prozent Anteilseigner am Lokalsender Hamburg 1 (das Abendblatt berichtete). Sie retten den Kanal vom Rothenbaum aus der Insolvenz, sehen „große Potenziale“, schwärmen von den Möglichkeiten der Internetverbreitung des ehemals analogen Fernsehens und von den Chancen der sozialen Medien. Mit einer sechsstelligen Summe steigt Hunke ein. Er versprüht Gründergeist, spricht von Neustart.
Seit er 1990 als Präsident des HSV kandidierte, schwimmt Jürgen Hunke im Haifischbecken der Öffentlichkeit gegen den Strom. Jürgen Hunke, und er möchte nicht „Herr Hunke“ genannt werden, weil ihm dieser formale Firlefanz zuwider ist und, ja, irgendwie auch das Steife am Hanseatischen, er eckt an und geht vielen auf die Nerven. Jürgen Hunke ist chronisch rebellisch. Ab und an belehrbar, mitunter sogar einsichtig – aber unheilbar widerspenstig. Klingt seltsam für einen Mann, der Millionen mit Versicherungen und Immobilien machte, ein Faible für asiatische Kunst und Kultur hat und mehr als einmal hoffnungslose Fälle übernahm – wortreich und finanzstark.
Wie Jürgen Hunke den HSV rettete
Ein paar Kostproben aus mehr als 30 Jahren Trotz gegen die Hamburger „Upperclass“: Der HSV war finanziell und sportlich am Boden, als Hunke 1990 mit überwältigender Stimmenzahl Präsident wurde. Der Verein von Uwe Seeler und Felix Magath, der mit Günter Netzer (Manager) und Wolfgang Klein (Präsident) goldene Zeiten erlebt hatte, zehrte nur noch genau von der Erinnerung daran.
Hunke trug gerne rote Sakkos und bunte Krawatten. Unmöglich in einer Stadt, in der Männer von Stil und eingeborene Pfeffersäcke alle Farben tragen dürfen, Hauptsache, es ist Blau. Es war das Zeitalter der „Sonnenkönige“ in der Bundesliga, die über ihre Vereine und ihre „Untertanen“ herrschten, wie Monarchen das zu tun pflegen. Schwups – und schon klebte das Klischee an ihm. Bloß: Bei Hunke passte es nicht.
Sicher, er wollte überall mitreden, drehte jeden Stein im Verein um, strich die Ehrenkarten für die Altvorderen und sparte Hunderttausende ein. Er trimmte bereits Anfang der Neunziger den HSV auf modernes Management. Die Teppichhändler-Mentalität der Branche brachte sie beinahe um ihre Zukunft. Das ahnte Hunke früh. Er wollte der Stadt das Volksparkstadion für eine Mark abkaufen und selbst bewirtschaften. Genau das gelang wenig später seinem Nachnachfolger Werner Hackmann. Den Plan gab es ja.
Thomas Doll für 18 Millionen Euro nach Rom transferiert
Hunke träumte von einer neuen Hamburger Mehrzweckhalle. Die baute dann ein anderer. Hunke gründete die HSV Aktiengesellschaft, ohne die und Klaus-Michael Kühnes Beteiligung der Verein heute vermutlich insolvent wäre. Eine AG war einst Teufelszeug, heute Standard in der Milliardenmaschinerie Fußball.
Hunkes wichtigster Schachzug damals: Er verkaufte den ohnehin wechselwilligen Thomas Doll für geschätzte und hoch gepokerte 18 Millionen D-Mark an Lazio Rom. Die schon beantragte Bürgschaft beim Senat für den klammen Club musste nicht greifen.
Hunke, Hunke, Hunke: Selbst der Karikaturist des Abendblatts war damals so überfordert mit der Hyperaktivität des Mannes, dass er in einem Cartoon ein HSV-Spiel zeichnete, in dem Hunke mit halblangem schwarzen Haar alle Rollen vom Spieler und Trainer über den Zuschauer bis zum Eisverkäufer einnahm. Er schoss alle Tore. Auch die des Gegners.
Später rettete Hunke in loser Reihenfolge: die traditionsreichen Hamburger Kammerspiele, die keinen Pfennig mehr hatten, die Trabrenngesellschaft, bei der die Lichter fast schon aus waren; die HSV-Handballer, die dank seiner privaten Finanzspritze überlebten und heute wieder Bundesliga spielen.
Hunke erlebte ein Fiasko mit der Statt-Partei
Hunke steckte sechs-, siebenstellige Summen in diese Projekte. Selten bekam er wieder etwas heraus. Doch es befriedigte ihn, eine „Mission impossible“ gegen jede Erwartung einfach zu versuchen. Im Kulturbetrieb wurde getuschelt, dass Hunke sich bis in die Speisekarte der Gastronomie in alles einmische. Aber die Kammerspiele, das Haus von Gustaf Gründgens, Klaus Mann und Ida Ehre, leben noch heute.
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Wenig ruhmreich, wenn auch mit Geld und missionarischem Eifer befeuert, wollte Hunke die Statt-Partei wiederbeleben. Die hatte sich mit ihrem aufmüpfigen CDU-Abtrünnigen Markus Wegner in die Bürgerschaft katapultiert und dann quasi selbst zerlegt. Hunke, früher auch eine Art CDU-Rebell, wurde Spitzenkandidat und Landesvorsitzender. Das Projekt scheiterte. Weder die Wähler noch die politische Klasse nahmen ihn ernst.
Hunkes Allergie gegen Hamburgs roten Filz
Das war schon so, als Hunke aufbegehrte gegen die Pläne, auf dem traditionsreichen HSV-Sportplatz am Rothenbaum (seinem Haus gegenüber) eine Ansammlung von Klötzchen-Appartements zu bauen. Der HSV hatte den Platz, auf dem der junge Uwe Seeler die Massen verzückte, über Jahre verkommen lassen. Erst hieß es, die Stadt wolle auch Sozialwohnungen dort bauen und ein Altenheim. Am Ende gab es einen modernen Medienbunker und Yuppie-Luxusheime. Hunke hatte das gerochen und war den Senat heftig angegangen. Mit dem Tennisbund und der Uni entwickelte er die Vision eines Sportparks – und holte sich eine blutige Nase.
Er entwickelte eine Allergie gegen den „roten Filz“ in der Stadt. Sie verschaffte sich ein Ventil in dem von ihm verlegten Anklagebuch „Das Machtkartell“ über die Machenschaften im hamburgischen Genossen-Milieu. Umgekehrt stellten sich bei den oberen 500 aus Politik, Sport und Kultur seitdem die Nackenhaare auf, sobald nur der Name Hunke fiel. Das fing schon bei den Buddha-Figuren an, die den Selfmade-Mann umgaben. Heute stehen Buddha-Repliken in jedem Baumarkt. Dazu als Gartenfiguren die Hindu-Gottheiten Vishnu, Shiva und Lakshmi.
Hunke war irgendwie immer Avantgarde, mal irrlichternd, mal visionär. Dabei ist er überzeugter Christ. „Martin Luther ist immer mein Vorbild gewesen, kritisch, kämpferisch und vielleicht manchmal undiplomatisch.“
Hunke als Stachel im Fleisch der Gesellschaft
Undiplomatisch? Das ist untypischster Hunke überhaupt. Er legt den Finger in die Wunde. Sagt, was er denkt. Empört sich auch mal leicht über Zimmerlautstärke. Und hört doch aufmerksam zu, wenn ihm ein anderer Gedanke angetragen wird. Hunke ist der Stachel im Fleisch einer Stadtgesellschaft, die sich in Bequemlichkeit eingerichtet hat. Er ist seit jeher ein Wiedergänger der Hamburger Geschichte, ein Comebacker.
„Ach nee, muss das sein?“ So reagieren viele auf seine Ideen oder nur die Frage, ob sie etwas zu Jürgen Hunke sagen wollen. Manche schütteln sich, als dächten sie an eine Wurzelbehandlung. Andere berichten, wie großzügig er in Not Geratenen half. Geräuschlos.
Scharfe Kritik an HSV-Investor Klaus-Michael Kühne
Mit seinen Gegnern hat Hunke immer wieder gesprochen, den Dialog sogar gesucht. Ob das die ehemaligen Senatoren Werner Hackmann oder Traute Müller waren, der damalige Bürgermeister Henning Voscherau, die vielen Kritiker im HSV oder auch Investor Klaus-Michael Kühne.
Dem hatte er durch die Aktiengesellschaft zwar den Weg geebnet. Er sieht dessen heutige Pläne aber kritisch, ob Opernbau oder HSV-Hilfen. „Herr Kühne spielt mit der Stadt Hamburg im hohen Alter Monopoly, indem er finanzielle Bonbons verteilt, und alle stehen still.“
Jürgen Hunke: Dank Thailand „fit wie ein Turnschuh“
Still stehen – für Hunke ein Graus. In jeder Hinsicht. Er weilt gerade auf Ko Samui im Golf von Thailand. Seine Tochter Sara-Li (15) besucht die internationale Schule. Er und seine Frau Chun Li halten sich sportlich und geistig gesund. Hunke sagt, er habe sein „Kampfgewicht“ wieder. Wie Rocky Balboa, der noch mal zum Schlag ausholt. „Ich bin 80 Jahre alt, wenn ich aus Asien zurückkomme, bin ich fit wie ein Turnschuh und könnte die Welt erobern.“ Seine jugendliche Tochter, man hört den Stolz, hat ihn erobert. Drei erwachsene Kinder hat er bereits. „Natürlich bin ich Realist und weiß, dass die Restzeit des Lebens immer kürzer wird.“
Auf Ko Samui erlebte er vor einigen Jahren einen apokalyptischen Taifun. Die Schwimmwesten hatte die Familie im Haus bereits angelegt. Vor der Natur und ihren Kapriolen empfindet Jürgen Hunke große Demut. Von der tropischen Insel aus schickt er Videos mit Fitnessübungen, nimmt an virtuellen Konferenzen teil, sprüht vor Lebensfreude.
Hunke sollte schon vor 20 Jahren bei Hamburg 1 einsteigen
Was kaum jemand weiß: Vor 20 Jahren wollte Hunke bereits bei Hamburg 1 einsteigen, als die schuldengeplagte Kirch-Gruppe ihre Beteiligungen verscherbelte. Was noch weniger auf dem Schirm haben: Hunke hatte sich bereits die Namensrechte der eingestellten „Hamburger Rundschau“ gesichert. Das Blatt war ihm allerdings „zu links“.
Und nur Eingeweihte wissen: Als die „Hamburger Morgenpost“ auf ihrem geschäftlichen und publizistischen Blindflug zwischen Großverlagen und Einzelbesitzern mal wieder verkauft werden sollte, da hatte er offenbar kurz überlegt. In kleinem Kreise war ihm mehr oder minder scherzhaft nahegelegt worden, warum denn nicht er die „Mopo“ rette? Antwort Jürgen Hunke damals: „Ich bin ja nicht gefragt worden.“