Hamburg. Die Hamburger Christdemokraten setzen auf Abgrenzung vor allem von den Grünen, haben aber ein strategisches Dilemma.

Der CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß, wahrlich kein Kind politischer Traurigkeit, hat in den nächsten Tagen einen Termin, bei dem er richtig austeilen kann. Ploß ist Gastredner beim Politischen Aschermittwoch des CDU-Kreisverbands Stendal in Sachsen-Anhalt.

Es geht ziemlich zünftig-traditionell zu in der Altmark: Ploß wird den Saal des Gasthofs „Schwarzer Adler“ (!) zusammen mit den örtlichen CDU-Granden betreten, während eine Blaskapelle den Marsch „Alte Kameraden“ („Zur Attacke geht es Schlag auf Schlag, Ruhm und Ehr’ soll bringen uns der Sieg ...“) spielt.

Ploß sieht sich als Vertreter der nächsten CDU-Generation „mit einem gewissen Profil“

Und die Stendaler Christdemokraten wünschen sich eine deftige Rede. Das Motto, unter dem Ploß’ Einsatz steht, spricht für sich: „Olaf Scholz ist als Bundeskanzler ein Totalausfall.“ Stendal ist nicht Ploß’ einziger Einsatz in den Wirtshäusern und Festsälen der Republik: Der 37 Jahre alte Bundestagsabgeordnete, der mittlerweile für markige Sprüche bekannt ist, wird von der CDU-Basis immer häufiger gebucht, etwa im hessischen Landtagswahlkampf. Ploß bespielt die klassischen CDU-Themen illegale Einwanderung, innere Sicherheit oder Steuergerechtigkeit und sagt dann auch plakative Sätze wie „Es müssen die Richtigen kommen, nicht die Falschen“ oder „Die Ehrlichen dürfen nicht die Dummen sein“.

Ploß sieht sich selbst und seine Rolle als Vertreter der nächsten CDU-Generation „mit einem gewissen Profil“. Man könnte auch sagen: mit einem klar bürgerlich-konservativen Profil. Der Hamburger ist enger Parteigänger des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.

Ploß hat Elb-CDU auf einen eher konservativen Kurs getrimmt

Zusammen mit Dennis Thering, dem CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef und mutmaßlichen Spitzenkandidaten 2025, hat Ploß die Hamburger Union auf einen eher konservativen Kurs getrimmt. Dabei war die Elb-CDU mit Bürgermeister Ole von Beust einst Vorreiterin einer liberalen Großstadtpolitik mit dem ersten schwarz-grünen Bündnis auf Landesebene. Doch bei der letzten Bürgerschaftswahl im Februar 2020 stürzte die CDU auf 11,2 Prozent ab – historischer Tiefstand.

Hatte schon eine Umfrage im Herbst 2022, die die Partei bei 20 Prozent sah, für einen ersten Stimmungsumschwung in der CDU gesorgt, so gilt das seit dem vergangenen Wochenende erst recht. Geradezu euphorisch reagierte Ploß auf das Ergebnis der CDU bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen: 28,2 Prozent und mit Abstand stärkste Partei. Spitzenkandidat Kai Wegner hatte einen konfrontativen und provokativen Wahlkampf geführt.

„Die CDU Berlin hat sich inhaltlich klar von den Grünen abgegrenzt. Dieser Mut zum klaren Kurs wurde von den Wählern belohnt: Die CDU war so in der Großstadt Berlin erfolgreich“, twitterte Ploß bald nach Schließung der Wahllokale. Und so machen wir es in Hamburg auch, hätte er dazuschreiben können. Taugt die Berlin-Wahl also als Blaupause für die Hamburger CDU zur Bürgerschaftswahl 2025?

Kommen zugespitzte Forderungen in Hamburg an?

Die Berliner CDU hat offensichtlich sehr damit gepunktet, dass sie gegen die von der Verkehrssenatorin und Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarrasch verfügte Schließung der Friedrichstraße für den Autoverkehr Front machte. Auch in Hamburg sperrte Rot-Grün im Sommer 2020 immerhin den Jungfernstieg für den privaten Autoverkehr. Der CDU-Innenstadtexperte David Erkalp sprach damals von einer „Mogelpackung, in Wahrheit wird nicht nur der Jungfernstieg, sondern damit auch das gesamte innenstädtische Areal zwischen Rathaus und Gänsemarkt de facto gesperrt“. Und heute? Der große Aufstand auch der Geschäftsleute ist irgendwie ausgeblieben ...

Für Furore sorgte die Forderung der Berliner CDU mitten im Wahlkampf, der rot-grün-rote Senat solle die Vornamen der bei den Silvesterkrawallen Festgenommenen veröffentlichen – in der Erwartung, die Liste würde deren migrantische Herkunft belegen. Hinzu kam Merz’ Spruch von den „kleinen Paschas“ in Anspielung auf die angeblich verbreitet muslimisch-orientalische Herkunft der Tatverdächtigen. In Berlin zog das.

Die Frage ist aber, ob derart zugespitzte Forderungen, die man in Hamburg bislang eher nur der AfD zutraut, bei dem etwas gediegeneren Durchschnittstemperament der hiesigen Wählerschaft ankommen. Ploß scheint zu zweifeln: „Diese Frage auf Vornamen zu reduzieren, ist mir zu simpel. Integration ist keine Sache des Vornamens, sondern beispielsweise von Sprachkenntnissen und der Frage, ob jemand unsere Werte akzeptiert.“

Ploß hält Abgrenzungskurs auch für Hamburg für richtig

Natürlich springen zudem ein paar gravierende Unterschiede zwischen Berlin und Hamburg ins Auge: Die Verwaltung der Hauptstadt gilt als in Teilen dysfunktional, die gerichtliche Anordnung der Wahlwiederholung belegt das am deutlichsten. Der Rückhalt für den Berliner Senat in der Bevölkerung ist bescheiden, davon profitierte die CDU. Für Rot-Grün in Hamburg gilt eine solche Erosion der Akzeptanz nicht – bei allem Streit. Und SPD und Grüne sind insgesamt doch eher pragmatisch aufgestellt.

Ploß hält den Abgrenzungskurs der Berliner Parteifreunde gleichwohl auch für Hamburg für richtig. „Wir als CDU sollten in den Großstädten nicht auf diejenigen hören, die uns immer empfehlen, in erster Linie anschlussfähig an grüne und linke Wähler zu sein – mit diesem Kurs hat die CDU in Hamburg zuletzt zwei Wahlen krachend verloren. Die Menschen wählen im Zweifel gleich das Original“, zitierte die „Passauer Neue Presse“ Ploß.

Ploß: "Berliner Wahlergebnis zeigt, dass unser Kurs der richtige ist"

In der Tat hatte die Hamburger CDU 2020 mit einem Mobilitätskonzept Wahlkampf gemacht, das auch den Grünen zur Ehre gereicht hätte: autofreie Stadtteile zählten ebenso dazu wie der Plan für eine Stadtbahnlinie von Altona in den Westen. Doch wahr ist auch, dass andere Gründe für das Wahldesaster noch ausschlaggebender gewesen dürften: Es gab anders als jetzt in Berlin keine Wechselstimmung. SPD und Grüne profitierten beide vom Zweikampf um das Bürgermeisteramt zwischen Amtsinhaber Peter Tschentscher (SPD) und Herausforderin Katharina Fegebank (Grüne). Schließlich hatte die Bundes-CDU 2020 eine Schwächephase so wie jetzt das Bündnis von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene.

„Das Berliner Wahlergebnis zeigt, dass unser Kurs der richtige ist. Manchmal braucht es Mut, auch Positionen zu vertreten, die in den Medien stark kritisiert werden“, sagt Ploß. Am deutlichsten wird das am Beispiel der Volksinitiative, die sich gegen die Gendersprache in staatlichen Institutionen wendet.

CDU sammelt Unterschriften für Anti-Gender-Initiative in Hamburg

Früh hat der Christdemokrat gegen die Verwendung von Gendersternchen, Binnen-I und Unterstrichen Partei ergriffen. Und die Hamburger CDU unterstützt die Volksinitiative massiv und sammelt eifrig Unterstützer-Unterschriften. Doch jetzt ergibt sich ein strategisches Dilemma für die Union: Erst wollte auch die AfD mitsammeln, was die Initiative abgelehnt hat.

Und dann hat Sabine Mertens, die Gründerin der Volksinitiative, mit irritierenden Äußerungen den Gegnern in die Hände gespielt. Mertens bezeichnete das Gendern als „PR-Maßnahmen der LGBTQ-Bewegung“ und sagte: „Wenn wir jetzt alle schwul, lesbisch und trans werden sollen, dann ist die Evolution zu Ende.“

Zwar distanzierte sich Thering sofort von Mertens und auch Ploß sagt dem Abendblatt: „Was Frau Mertens als Privatperson sagt, ist weder Gegenstand dieser Unterschriftensammlung noch der Volksinitiative. Wir stellen uns klar gegen jede Form von Homophobie und Diskriminierung.“ Aber die Union sammelt weiter Unterschriften, und so gehört nicht viel politische Phantasie dazu, dass die Debatte über das Gendern in Zukunft davon überlagert sein wird, dass die Befürworter der Gendersternchen die Initiative und ihre Unterstützer in die rechte Ecke stellen werden. Der Streit über die korrekten Schreibweisen im Deutschen wird Wahlkampfthema sein, zumal wenn der Volksentscheid parallel zur Bürgerschaftswahl stattfindet.

CDU Hamburg unterstützt Anti-Gender-Initiative – "Haltung nicht von AfD abhängig machen"

Ploß beruft sich auf die breite Unterstützung in der Bevölkerung gegen das Gendern und sagt: „Es wäre fatal, wenn wir unsere Haltung zu gesellschaftlichen Problemen von der AfD abhängig machen.“ Dabei treibt den CDU-Politiker auch die grundsätzliche Sorge um, dass die CDU als Partei der Mitte nicht zwischen einer starken Linken und einem erstarkenden rechten Rand zerrieben wird. Warnende Beispiele sieht er in der politischen Entwicklung der USA und Italiens.