Noch kurz vor dem Blutbad machte der Amokläufer Werbung für sein Buch: Es habe eine “hundertprozentige Zufriedenheitsrate“.

Ein 35-Jähriger, der auf einer merkwürdigen Internetseite seine sehr teuren Beraterdienste anbietet, einst bei den Zeugen Jehovas war und in deren Hamburger Gemeinde am Donnerstagabend ein Blutbad anrichtete – wer war dieser Mann? Erste Eindrücke könnte ein Buch vermitteln, das Philipp F. geschrieben hat.

Philipp F. machte kurz vor dem Amoklauf Werbung für sein Buch

Bei Amazon ist seit Dezember dieses auf Englisch im Selbstverlag veröffentlichte Werk von Philipp F. als E-Book und Taschenbuch erhältlich, Titel: „The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions“. „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“, also, „eine neue, reflektierte Perspektive mit epochalen Dimensionen“.

Philipp F. hatte noch am Donnerstag, wenige Stunden vor der Bluttat, auf seinem LinkedIn-Profil gepostet, dass die Verkäufe seines Buches gut liefen. Es habe eine „hundertprozentige Zufriedenheitsrate", kein Exemplar sei zurückgegeben worden.

Mischung aus Bibel-Exegese und pseudo-philosophischer Lebenshilfe

Ein erster Blick in das Werk offenbart: Was der Autor auf knapp 300 Seiten liefert, ist eine sprunghafte, perspektivisch enge und unreif anmutende, aber nicht zwangsläufig fanatische Zusammenschau seiner Überzeugungen.

Eine Mischung aus Bibel-Exegese, religiöser Weltdeutung und pseudo-philosophischer Lebenshilfe – sie dürfte nicht nur bei säkularen Lesern den Eindruck eines kruden, verblasenen und rätselhaften Konstruktes hinterlassen. Und stammt von einem sich visionär gebenden Mann, der seine Weltsicht in den ersten Kapiteln mit forschen Worten anpreist: „Dieser Text wird Ihren Blick auf die Welt komplett verändern!“, „Ein Standardwerk für die Erklärung der menschlichen Existenz.“ Er wolle das „Werkzeug“ mitgeben, damit der Leser in Zukunft „bessere Entscheidungen“ treffe und Probleme zu einem früheren Zeitpunkt erkenne, so F.

Gott steht über allem – und der Zweite Weltkrieg war Rache für den Ersten

Der Autor F. offenbart in dem mit Grafiken und etlichen Ausrufezeichen versehenen Text eine in sich geschlossene Gedankenwelt, bei der man sich manchmal im Rollenspiel wähnt: Der Autor erklärt die Welt als hierarchisch gegliederte Ordnung mit transzendentem Überbau – Gott stehe über allem, seine zwei zentralen Herrscher seien Jesus Christus und Satan.

Eine weitere Hierarchieebene seien Engel, manche von ihnen, so F., lebten auf der Erde und „können sich auch in Menschen verwandeln“. Das Leben auf Erden erscheint als von transzendenten Mächten gesteuert, und „epochale Menschheitsereignisse“ seien im Kontext der „Heiligen Schrift“ zu betrachten: „Der Erste Weltkrieg resultierte aus einem Krieg von Gott und Jesus Christus gegen Satan.“ Der Zweite Weltkrieg sei eine Konsequenz des ersten, sei ein Akt der Rache gewesen.

Aber, wie der Autor zugibt: Die Bibel, sein Referenztext schlechthin, beweise dies nicht einmal auf den dritten Blick – „forensisches“ Lesen sei unverzichtbar, um das „versteckte Rätsel“ zu finden.

Philipp F. beschreibt Satan als "CEO" der Engel

Die biblischen Motive werden gerne mit einem zweiten Kosmos vermengt, der dem Autor und Betriebswirt, der sich auf seiner Homepage als Berater inszenierte, nicht fremd war. Das führt dann zu bizarren Behauptungen wie denen, dass Satan der „CEO“ der Engel sei – und das „Tagesgeschäft“ werde von Satan „orchestriert“. Jesus und Gott sähen sich eher als „Entwickler“.

Am Ende eines Texts, der mit viel Worten oft auf der Stelle zu treten scheint, proklamiert Philipp F. eine „neue Architektur“ der Welt, in der es „weniger Führer“ brauche und „weniger politische Diskussionen“. Eine „Handvoll ausgewählter Personen“ würden „richtige Führer“ sein – mit von Gott verliehener Weisheit. Der Auswahlprozess soll stattfinden gemäß der von ihm verfassten „Whitepaper“.

Amokläufer Philipp F. drischt Phrasen

Die anglo-amerikanische „Superpower“, insbesondere die englische Sprache müsse jeden zum handlungsfähigen Mitglied der Weltgesellschaft machen: „Wir müssen dringend aufhören, Lügen oder Meta-Narrative zu verbreiten, weil wir uns nicht leisten können, dies weiterhin zu tun. Die zehn Gebote, die Gott Moses übermittelte, gelten immer noch. Du sollst nicht lügen war eines von ihnen. Gilt immer noch.

Vieles liest sich wie ein von Phrasen („Infrastruktur ist der Schlüssel für eine bessere Welt und dafür, uns miteinander zu verbinden“) und wolkigen, allgemeinen Ankündigungen („Wegen der Globalisierung der Information wird Fehlverhalten wie Steuerbetrug schneller gemeldet werden“) durchdrungenes Thesenpapier eines Möchtegern-Agendasetters.

Seine wirren Pläne würden schon in 20 Jahren umgesetzt, behauptet Philipp F.

Obwohl Philipp F. mit Widerstand rechnet („Es gibt eine Menge sturer und hartnäckiger Leugner der Existenz Gottes und Jesu Christi“), behauptet der Autor, dass seine Pläne ab 2045 „in großen Schritten“ umgesetzt würden. 2050 seien übrigens alle Gebäude emissionsfrei.

Philipp F. schließt seinen Haupttext mit dem Auftrag an seine Leserinnen und Leser, sich auf das Leben und eigene Stärken zu fokussieren „und nicht auf Geld“. In seiner Zeit bei einer Privatbank habe er gelernt, dass der Wert des Geld diesem von der Zentralbank gegeben werde. Die Werte, die er vermitteln wolle, „können nicht von einer Zentralbank bestimmt werden“.

Philipp F. war frauenfeindlich – Männer als "Krone der Schöpfung"

Angehängt an den Hauptteil ist ein Appendix mit Bemerkungen allgemeiner Natur, in denen der einige Male auf das Grundgesetz verweisende Autor Sätze wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ schreibt und Urteile über die Rolle der Frau fällt.

Das Verhalten von Frauen habe sich „drastisch zum Schlechten“ gewandelt und könne als „meistens blasphemisch“ beschrieben werden. Gott und Jesus Christ betrachteten Männer als „die Krone der menschlichen Schöpfung“. Frauen sollten Männern unterstellt sein, ihre Aufgabe sei es, Kinder zu gebären. Gewidmet hat Philipp F. das Buch einer „faszinierenden, schönen, speziellen Frau“.

Philipp F.: Nur Gott, Satan und Jesus dürfen Menschen töten

Über Themen wie Ehe, Migration und Reisen kommt Philipp F. dann zu seinen Gedanken über „Mord“: Nur Gott, Satan und Jesus Christ sei es erlaubt, Menschen zu töten. Wer auch immer Menschen töte, den erwarte „dieselbe Strafe“ durch Gott. Allein „Königen“ könnten möglicherweise Vergebung erwarten. Den meisten Menschen werde Mord nicht vergeben.