Hamburg . Der mutmaßliche Amokläufer war Ex-Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Ehemalige Zeugin Jehovas berichtet von ihren Erfahrungen.
Ein blutiges Verbrechen erschüttert Hamburg und ganz Deutschland: In einem Haus der Zeugen Jehovas an der Deelböge soll der 35 Jahre alte Philipp F. am Donnerstagabend erst sieben Menschen und dann sich selbst getötet haben. Mehrere Personen erlitten schwere Verletzungen. Die Polizei geht inzwischen von einer Amoktat aus. Nach bisherigen Informationen war Philipp F. früher Mitglied bei den Zeugen Jehovas, hatte die Gemeinschaft aber wohl verlassen oder war aus ihr ausgeschlossen worden.
Die Wandsbekerin Katharina Statzke (Name von der Redaktion geändert) wurden als junge Frau von den Zeugen Jehovas ausgeschlossen. Sie hatte sich nicht an die Regeln gehalten, sondern traf Freunde außerhalb der Organisation, hatte zu rauchen angefangen und Diskotheken besucht. Daraufhin wurde die heute 50 Jahre alte Frau vom Ältestenrat ausgeschlossen. Mit schlimmen Folgen für sie.
Schießerei in Hamburg: Von Zeugen Jehovas ausgeschlossen – mit schlimmen Folgen
„Ich habe alle meine Freunde verloren und wurde wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Ich war plötzlich allein. Meine Eltern und die Brüder sagten sich von mir los. Meine Eltern enterbten mich. Sie sind inzwischen tot.“ Ihre drei Brüder sind nach wie vor bei den Zeugen Jehovas. Katharina Statzke hat seit dem Rauswurf keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Einer der Brüder arbeitet als Sonderpionier für die Zeugen. Monatlich muss es 160 Stunden leisten und erhält dafür 1500 Euro. Dafür muss er von Tür zur Tür gehen, an Bahnhöfen mit dem „Wachturm“ stehen und Bibelstunden halten.
Zeugen Jehovas: Rückkehrer werden wie Aussätzige behandelt
Wer als Zeuge Jehovas die vorgegebenen Ziele der Mitgliederwerbung nicht erfülle, werde vom Ältestenrat getadelt. Sollte ein ehemaliges Mitglied zurückkehren, wird er oder sie gut ein halbes Jahr wie ein Aussätziger behandelt, sagt sie. Niemand spricht mit ihm oder ihr. Bei den Versammlungen muss der Betreffende in der letzten Reihe sitzen. Erst wenn er oder sie sich bewähre, werde er wieder integriert.
Als 12-Jährige hatte Katharina Statzke einen Blinddarmdurchbruch. Die Ärzte fragten die Eltern, was sie im Fall einer Bluttransfusion tun sollten. Der Vater sagte, sie solle diese Therapie bekommen. Die Mutter sagte: „Nein. Dann muss sie sterben, weil es Jehovas Wille ist.“
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Die Versammlungen der Zeugen finden nach Nationalitäten und Sprachen getrennt statt. Gemeinsame Veranstaltungen sind die Kongresse, wo auch die Taufen zelebriert werden.
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