Hamburg. 20 Jahre ist es jetzt her, dass der Hamburger Künstler die Speicherstadt aus ihrem Schattendasein holte. Wie das Projekt entstand.

Wer vor der Ausgangssperre, die unser Leben aktuell so stark einschränkt, am Abend durch die Speicherstadt spazierte, dürfte die besondere Atmosphäre für ganz normal gehalten haben, für irgendwie immer schon da gewesen: Das malerische Viertel aus alten Speichern, Brücken und Fleeten getaucht in warmes Licht; die Backsteinsilhouette, die sich leuchtend aus dem Dunkel erhebt; das traditionelle Viertel inszeniert wie eine gigantische Bühne. Alles selbstverständlich? Nein!

Die etwas Älteren dürften sich noch daran erinnern, was für ein düsteres, unattraktives, teilweise auch bedrohlich wirkendes Viertel die Speicherstadt vor einigen Jahren war. In diese dunklen Ecken hinterm Zollzaun ging man bei Dunkelheit lieber nicht. Heutiges Weltkulturerbe hin oder her, abends verirrte sich kaum ein Hamburger in den größten historischen Lagerhauskomplex der Welt. Warum denn auch? Die HafenCity gab’s nicht. Gastronomische Highlights? Fehlanzeige!

"Die Speicherstadt ist eine Visitenkarte für die Stadt"

Lichtkünstler, Autor, Dramaturg und Regisseur in einem: Michael Batz
Lichtkünstler, Autor, Dramaturg und Regisseur in einem: Michael Batz © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

Was nach lange vergangenen Zeiten klingt, ist gerade einmal 20 Jahre her. Erst zwei Ereignisse im April 2001 rückten die Speicherstadt aus dem Schattendasein am Rand des Hafens mitten hinein ins Leben der Stadt: der erste Spatenstich zum Bau der HafenCity am 9. April – und die heute selbstverständlich wirkende Illumination der historischen Backsteinbauten und Brücken. Am 27. April 2001 ging sie auf einer Länge von 1,5 Kilometern feierlich in Betrieb.

„Die Speicherstadt ist ein ganz anderer Ort geworden, eine Visitenkarte für die Stadt“, sagt der Mann, ohne den es das Projekt nie gegeben hätte: Lichtkünstler Michael Batz. In der Tat sind Fotos in warmes Licht getauchter Gebäude und Brücken seither um die Welt gegangen, ist die Speicherstadt zum Anziehungspunkt für Hamburger und Besucher geworden. So zählt die „New York Times“ im Oktober 2017 die Speicherstadt mit ihren „Reihen neugotischer Gebäude aus rotem Backstein hoch über den Kanälen“ als einen Ort auf, den man selbst bei einem nur 36 Stunden kurzen Hamburg-Besuch unbedingt gesehen haben sollte.

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Was beim Start des Lichtprojekts keiner der Macher einschätzen konnte: Wie entwickelt sich die Nachbarschaft der entstehenden HafenCity? Welches Verhältnis haben die neuen Bewohner und Angestellten zum Licht? Als wie hell oder auch wie störend wird die Illumination wahrgenommen? Wird ein Gericht nach Klagen von Anwohnern das Projekt möglicherweise wieder stoppen? „Deshalb hatten wir in den Anfangsjahren die Straßen Sandtorkai und Brooktorkai nicht im Programm“, erinnert sich Batz, der das Projekt seit 20 Jahren ehrenamtlich vorantreibt.

Qualität des Lichts hat sich dramatisch verbessert

Nur rund die Hälfte des gesamten Speicherstadtareals wurde damals in Licht getaucht. „Als wir eine Vorstellung entwickelten, was die HafenCity ist und wie sie sich anfühlt, haben wir weitere Abschnitte illuminiert“, sagt Batz. Inzwischen sind etwa drei Viertel der Lagerhäuser nachts beleuchtet, die Zahl ist über die Jahre kontinuierlich gewachsen – und soll es auch weiter tun. Und die damals neuen Nachbarn? „Es gab keine Klagen, sondern viel Lob.“

Begonnen hat alles vor 20 Jahren mit konventioneller Technik. Heute arbeitet Batz nur noch mit „energiesparenden Applikationen von der Größe einer Tasse“. Die Technik habe sich in den 20 Jahren stark weiterentwickelt. LED sei architekturfähig geworden. Ganz zu Beginn sei LED ein „Kampfmittel ostasiatischer Einkaufszentren gewesen: laut, grell und schrill“. Die Farben seien ganz furchtbar gewesen. Das habe sich „sehr, sehr verbessert. Und so konnten wir auf LED umstellen.“

Die Speicherstadt in zauberhaftes Licht getaucht
Die Speicherstadt in zauberhaftes Licht getaucht © Getty Images/iStockphoto | Getty Images/iStockphoto

Während sich die Qualität des Lichts dramatisch verbesserte, sank gleichzeitig der Energieverbrauch. Gestartet ist das Projekt mit 832 Leuchten und 24 Watt pro Lichtpunkt. Heute sind es rund 1100 Leuchten, die abends gleichzeitig mit der öffentlichen Beleuchtung angeschaltet werden. Die jährlichen Kosten für den Ökostrom liegen bei rund 20.000 Euro.

Batz geht es nicht darum, etwas hell zu machen, sondern ein Bild zu erzeugen

Wenn der Lichtkünstler Michael Batz erklärt, was er tut, verweist er „auf den anderen Michael Batz, den Autor. Im Grunde sei Licht nichts anderes als eine Art Text. Die Frage sei, wie man ein Gebäude oder eine ganze Gebäudestrecke beschreibe. „Es ist ein Story-Telling. Wenn ich ein bestimmtes Licht auswähle, entsteht ein bestimmtes Bild. Nehme ich eine Neonröhre, entsteht ein kaltes, flächiges Bild, das keine Rücksicht nimmt auf Besonderheiten in der Fassade. Wenn ich aber kleinere Leuchten mit Reflektoren nehme, eine warme Lichtfarbe mit langem Verlauf, dann erreiche ich ein ganz anders Bild – das, das ich möchte.“

Wissenswertes rund um die Speicherstadt:

Batz geht es nicht darum, etwas hell zu machen, sondern ein Bild zu erzeugen. Das sei wie im Theater. Wenn er gut sei, beginne das Bild „zu leben und interessant zu werden. Es hört auf, tot zu sein. Licht ist eine Form von Leben, es ist ein Lebens-Mittel“, erklärt Batz seine Philosophie. Mit der Illumination der Speicherstadt („es gab weltweit kein Vorbild für dieses Projekt“) sei der Durchbruch gelungen für diese Art der Inszenierung von Gebäuden, erzählt Batz. Das Rathaus wurde später in dieser Lichtsprache in Szene gesetzt, das Schauspielhaus, und die Kunsthalle.

Die Beleuchtung der Speicherstadt nennt Batz einen „Riesenschritt, dieses Areal ins öffentliche Leben und Bewusstsein zurückzuholen“. Entstanden ist die Idee aus einem Theaterprojekt. Das war 1999, Batz nannte es „Mozart.Amerika“. Zuvor, 1994, hatte er begonnen, den Hamburger „Jedermann“ in der Speicherstadt zu spielen. „Das Bühnenlicht, das wir vor dem Kesselhaus einsetzten, warf sehr interessante Schatten. Es kam zu Lichtspielen auf der Fassade von Block E“, erinnert sich Batz. „Etwas mystisch, etwas geheimnisvoll.“

 Licht als Instrument zur Attraktivierung einer Stadt

Gegen alle Zweifel und Widerstände konnte sich Batz im Lauf der Zeit mit der Idee durchsetzen, die „Speicherselbst als Bildquelle und Fantasieort zu nutzen.“ Für „Mozart.Amerika“ wurden Fleete ausgebaggert, Zollbalken entfernt, Gebäude provisorisch illuminiert. Erzählt wurde das Stück dann auf Barkassen, die durch diese einmalige Kulisse fuhren. Das sei der Durchbruch für die Idee gewesen.

Der Verein „Lichtkunst Speicherstadt“ – dessen rund 50 Mitglieder bis heute die Kosten der Illumination tragen – gründete sich. Was als Teil einer öffentlichen Beleuchtung wahrgenommen wird, ist ein Projekt, das nur von Mitgliedsbeiträgen und Spenden getragen wird. „Nicht ein Cent öffentliches Geld“ habe es gegeben, sagt Batz. Einzig bürgerschaftliches Engagement finanziere das Projekt bis heute. „Ohne Mitgliedsbeiträge geht das Licht aus.“

Der erste Unterstützer sei Alexander Otto gewesen. „Er hatte die Stiftung ,Lebendige Stadt‘ eingerichtet und suchte unterstützungswürdige Projekte. Das war der entscheidende Schritt für uns“, so Batz. „Bis zu diesem Zeitpunkt gab es weltweit keine Illumination dieser Größenordnung und Differenziertheit. Die Stiftung sah darin die Chance einer städtebaulichen Verbindung zwischen der Innenstadt und der damals entstehenden HafenCity, die Anziehungspunkt für Hamburger und Besucher der Stadt werden sollte“, sagt Alexander Otto, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung „Lebendige Stadt“. Licht sei ein prägnantes und doch relativ einfaches Instrument zur Attraktivierung einer Stadt.

Lichtkünstler bringt ein großes Buchprojekt zu Ende

Viele weitere künstlerische Lichtprojekte unter der Federführung von Michael Batz hat die Stiftung seither gefördert. So beispielsweise die Illumination des Reichstagsgebäudes in Berlin. Seit ihrer Gründung hat Ottos Stiftung allein die Beleuchtung der Speicherstadt mit mehr als 200.000 Euro gefördert. Nach ihm kamen weitere Unterstützer – unter anderem der Eigentümer der Backsteinbauten: die HHLA.

Während der Lichtkünstler Batz coronabedingt aktuell arg limitiert ist, hat der Texter und Autor Batz gut zu tun. Die Inszenierung des Hafens als Blue Port muss in diesem Jahr ausfallen. Stattdessen bringt der 69-Jährige jetzt ein großes Buchprojekt zu Ende. Im Herbst erscheint die aufwendige Recherche zur Geschichte des Hauses Rothenbaumchaussee 26.

Ursprünglich war es ein Dokumentarstück von 18 Seiten, das Batz bei einer Lesung anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus 2016 im Hamburger Rathaus inszeniert hatte. Jetzt wird daraus das 500-Seiten-Buch „Das Haus des Paul Levy“, für das Batz Nachfahren der überwiegend jüdischen Bewohner des Gebäudes in der ganzen Welt kontaktiert hat.

Und was reizt den Lichtkünstler Batz noch, wenn er dann wieder darf?: „Ich würde das Bundeskanzleramt nach der Wahl gern in Licht setzen.“