Hamburg. Lichtkünstler Michael Batz: Viele Schaufenster sind „zu grell“. Milchstraße in der Hansestadt am Nachthimmel oft nicht zu sehen.

Hamburger Nächte sind lang – und viel zu hell. Vor allem die Lichter des Hafens und der Industrieanlagen strahlen bis in den Himmel und verwandeln die Nacht zum Tag. Experten sprechen von „Lichtverschmutzung“. Dazu kommen die Reklame in der City und die öffentliche Straßenbeleuchtung mit 104.000 Leuchtstofflampen, 24.000 Natriumdampflampen, 1100 Halogenmetalldampflampen und 7500 LED-Leuchten. Hamburg, bei der Einwohnerzahl so groß wie Wien, strahle zweieinhalb mal heller als die österreichische Hauptstadt. Das ergaben Berechnungen auf Basis der interaktiven Online-Karte „Light Pollution Map“.

Jetzt hat sich einer der renommiertesten Licht-Fachleute in die Debatte über nachhaltige und optimale Stadtbeleuchtung eingeschaltet. Der Lichtkünstler Michael Batz, Mitglied des Hamburger Lichtbeirats, sagte dem Abendblatt: „Extrem wichtig ist heute die Notwendigkeit der Entblendung.“ Es gebe in der Stadt zu viele Lichter, die direkt blenden und unnötiges Streulicht produzierten. Weil es nachts vielerorts taghell ist, können 30 Prozent der Hamburger die Milchstraße nicht sehen, heißt es bei der Sternwarte Bergedorf. Batz sagt jetzt: „Entscheidend für die gute Wahrnehmung im öffentlichen Raum ist nicht die starke Zunahme von Lichtmengen, sondern die Entblendung vorhandener Leuchten, die Kontrastminderung und die gute Lichtverteilung.“

Falsch eingestellte Lichter, zu viele Schaufenster

Unterstützung erhält Batz, der mit dem Lichtbeirat die Stadt in Beleuchtungsfragen berät, vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). „Werbetafeln, Schaufenster und der LED-Siegeszug machen die Dunkelheit in Hamburg zunichte. Und als Radfahrer blenden mich auf der Straße am meisten die entgegenkommenden Autofahrer, aber auch Radfahrer mit falsch eingestellter Lichtanlage“, sagt ADFC-Sprecher Dirk Lau. Dass zahlreiche Autofahrer ihre Scheinwerfer nicht korrekt eingestellt hätten, bestätigte der ADAC in Hamburg.

Nach Ansicht von Michael Batz sind darüber hinaus zahlreiche Schaufenster nachts viel zu hell erleuchtet – mit entsprechender Blendwirkung. Es sei dann so hell, dass man sich auf den Bürgersteigen davor die öffentliche Beleuchtung fast schon sparen könnte, betont er. „Die Betreiber von Ladengeschäften mit Schaufenstern könnten deshalb ihren Beitrag leisten, indem sie die nach außen wirkenden Blendquellen und allzu extrovertierte Immissionen vermeiden“, sagt Batz, der regelmäßig den Hamburger Hafen gezielt in blauem Licht als temporäres Kunstprojekt erstrahlen lässt („Blue Port“). Schaufenster müssten nur dezent inszeniert werden, um eine gute Wirkung zu erzielen, fügt er hinzu.

Vorbild Alsterhaus

Ähnlich sieht das Stephan Boettger, Vorstand des Bundesverbands Straßenbeleuchtung und Infrastruktur für den öffentlichen Sektor. Viele Schaufenster seien deshalb heute so „grell und laut“, weil der Stromverbrauch durch die vermehrt eingesetzten LED-Leuchten nicht mehr so hoch sei. Dass es im Vergleich zu den grellen Handelsketten auch anders funktionieren kann, beweist die Schaufensterbeleuchtung im Alsterhaus. „Wir achten auf eine Balance von Innovation, Information und Nachhaltigkeit“, sagte Alsterhaus-Sprecherin Madeleine Sprau auf Abendblatt-Anfrage. Die kreative Gestaltung der Schaufenster sei nicht nur ein wesentlicher traditioneller Bestandteil des Warenhausgeschäfts, sondern in Zeiten von E-Commerce eine wesentliche Inspirationsquelle für die Kunden.

LED-Leuchten – ein zweischneidiges Schwert

Zwar hat die Stadt auf das Streulicht bereits reagiert. So werden Straßenlaternen, die über die Hälfte in den Himmel strahlen (opale Kugelleuchten) nicht mehr eingesetzt. Außerdem kommen nachts mancherorts Reklametafeln zum Einsatz, deren Licht sich dimmen lässt. Aber nach wie vor wird die Straßenbeleuchtung zur tödlichen Lichtfalle für Insekten. Ratsam sei es deshalb, die öffentliche Beleuchtung in Hamburg zunehmend auf LED umzustellen, fordert der Naturschutzbund Hamburg (Nabu). Die Bezirksversammlung Eimsbüttel macht sich unterdessen stark für den Einsatz insektenfreundlicher Straßenbeleuchtung.

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Offenbar ist es aber gar nicht so einfach, flächendeckend LED-Lampen zu installieren. Zwar ist bei ihnen der Streulichtanteil geringer. Um aber weiterhin eine ausreichende Gleichmäßigkeit der Beleuchtung zu gewährleisten, müssten bei vielen bestehenden Anlagen die Höhe der Masten verändert, die Abstände verringert und damit mehr Leuchten eingesetzt werden, „wodurch der geringfügige Energieeffizienz-Vorteil einer LED-Leuchte gegenüber modernen Leuchten in ‚konventioneller‘ Technik insgesamt wieder aufgehoben wird“, heißt es in der Senatsantwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Stephan Gamm.

Lichter sollten gezielter leuchten

Die Zukunft der öffentlichen Beleuchtung könnte nach Expertensicht im Einsatz intelligenter Steuerungssysteme liegen, die nicht blenden, sondern gezielt beleuchten. Michael Batz: „Grundsätzlich sollte Licht ‚adressiertes‘ Licht sein, das gezielt auf die zu beleuchtende Fläche gerichtet ist und nicht, wie bei den früheren Kugelleuchten, in den Himmel Richtung Sterne leuchten.“

Wie gut das inzwischen funktioniert, zeigt die neue Hafenpromenade zwischen den Landungsbrücken und der Speicherstadt. Das Lichtkonzept wurde vom Hamburger Planungsbüro Schlotfeldtlicht entwickelt: Während die obere Promenade eher zurückhaltend beleuchtet ist, wird die Treppenanlage ganz gezielt in Licht getaucht. Da blendet nichts.