Hamburg. Tut unsere Stadt bisher genug für den Umwelt- und Klimaschutz? Und was planen Politik, Vereine und Kultureinrichtungen?
Unternehmen werben damit, Politiker bauen den Begriff in möglichst viele ihrer Reden ein – und für Umweltverbände ist sie das wesentliche Prinzip, um Umwelt, Klima und letztlich den ganzen Planeten vor dem Niedergang zu schützen: die Nachhaltigkeit. Trotz des inflationären Gebrauchs ist gar nicht jedem klar, was das Wort genau bedeutet.
Laut Duden ist Nachhaltigkeit ein „Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann“. Als nachhaltig gilt demnach auch, was von „längerer Zeit anhaltender Wirkung“ ist. Grob könnte man sagen: Wer nachhaltig lebt und wirtschaftet, betreibt keinen Raubbau an der Natur, sondern sorgt dafür, dass diese intakt bleibt – und denkt auch an andere Menschen und nachfolgende Generationen.
Wie nachhaltig ist Hamburg? Und was muss getan werden?
Weil das bisher nicht die Regel war, steht die Menschheit derzeit an einem Scheideweg: Wenn sie es nicht schafft, künftig nachhaltiger zu produzieren, zu konsumieren und sich fortzubewegen, könnte sie bald ihre eigene und die Lebensgrundlage vieler Tiere und Pflanzen vernichtet haben. Das zeigen auch die jüngsten Horrormeldungen vom Weltklimarat zur Erderwärmung, die massive Plastikverseuchung der Weltmeere und das weltweite Artensterben.
Immer mehr Menschen wird bewusst, dass eine Umkehr dringend nötig ist. Wie aber soll der Wechsel hin zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft genau funktionieren? Was kann jeder Einzelne tun, was planen Hamburger Unternehmen und Kultureinrichtungen? Wie können wir nachhaltiger bauen, wohnen, uns ernähren, einkaufen und uns durch die Stadt bewegen?
Um diese Fragen zu beantworten, startet das Abendblatt heute die Serie „Wie nachhaltig ist Hamburg?“. In mehr als 20 Teilen werden wir in den nächsten Wochen in loser Folge diese und andere wesentliche Aspekte des Themas beleuchten. In dieser Ausgabe geht es dabei zunächst um drei Fragen: Was genau ist Nachhaltigkeit? Wie steht Hamburg bisher in Sachen Nachhaltigkeit da? Und wie kann jeder Einzelne sein Leben etwas nachhaltiger gestalten?
Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz
Wer sich mit diesem Thema befasst, kommt nicht an der „Agenda 2030“ vorbei, welche die Vereinten Nationen 2015 beschlossenen haben und die Anfang Januar 2016 in Kraft trat. Darin hat die Weltgemeinschaft 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung festgelegt, die bis 2030 angestrebt werden sollen – die „Sustainable Development Goals“, kurz: SDG. Diese sollen von allen Staaten der Welt verfolgt werden – und fassen den Nachhaltigkeitsbegriff weiter, als er landläufig benutzt wird.
In den 17 Zielen geht es nicht nur um Konsum und Produktion oder Klimaschutz, sondern auch um die Bekämpfung von Armut und Hunger, um Gesundheit, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichstellung, Zugang zu sauberem Wasser oder bezahlbare und saubere Energie. Ziele sind aber auch menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, nachhaltige Industrie und Infrastruktur, die Verringerung von Ungleichheit, nachhaltige Städte, nachhaltiges Leben unter Wasser und an Land (mit Artenschutz und gesunden Lebensräumen), Frieden – und ein partnerschaftliches Miteinander der Weltgemeinschaft zur Erreichung dieser Ziele.
Hamburg hat sich zur Agenda 2030 bekannt
Auch Hamburg hat sich zu den Zielen der Agenda 2030 bekannt. Im Juli 2017 legte der Senat der Bürgerschaft einen Bericht vor, in dem er skizzierte, wie er diese anstreben will. Dabei betonte die rot-grüne Landesregierung, dass Städten eine zentrale Rolle bei der weltweiten Nachhaltigkeitsstrategie zukomme. „In einer Welt der Städte sind Städte Verursacher, aber gleichzeitig auch die Lösung der Probleme“, heißt es in der Drucksache.
„Die Agenda 2030 bietet ein Verständnis davon, was Lebensqualität in einer Stadt wie Hamburg im Jahr 2030 ausmachen kann. Eine erste Bestandsaufnahme zeigt, dass viele Hamburger Maßnahmen in den verschiedenen Politiken bereits das Attribut ,nachhaltig‘ verdienen, dass die SDGs aber darüber hinaus neue Impulse für Themen setzen, bei denen Hamburg sich weiterentwickeln kann.“
Umweltsenator legt Zwischenbericht nicht vor
Mehr als vier Jahre später allerdings ist es nicht ganz einfach zu beurteilen, wie Hamburg mittlerweile in Sachen Nachhaltigkeit dasteht. Das liegt auch am grünen Umweltsenator Jens Kerstan. Bereits 2018 hätte seine Behörde der Bürgerschaft einen Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung der Agenda 2030 vorlegen sollen.
Der Senat hatte in seiner Drucksache 2017 selbst betont, wie wichtig eine regelmäßiges „Monitoring“ sei – und deswegen festgelegt, dass die Bürgerschaft alle zwei Jahre einen Bericht erhalten solle. Umweltsenator Kerstan, der sich immer wieder als Vorkämpfer für Klima- und Umweltschutz und Nachhaltigkeit gibt, befand es aber bis heute nicht für nötig, der Bürgerschaft den bereits für 2018 zugesagten Zwischenbericht vorzulegen.
Gleichwohl lässt sich aus den verfügbaren Informationen ein grobes Bild darüber zeichnen, wie nachhaltig Hamburg bisher aufgestellt ist. Dabei steht die Hansestadt insgesamt ganz gut da – da sind sich Senat, Umweltverbände und Opposition ausnahmsweise einig. „Hamburg hat die Zeichen der Zeit erkannt und marschiert beim Thema Nachhaltigkeit insgesamt in die richtige Richtung“, sagt etwa der Hamburger Vorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Malte Siegert.
Hamburg ist grünes als viele andere Städte
Ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann, ist ihr großer Grünanteil. Zehn Prozent der Hamburger Landesfläche stehen unter Naturschutz – mehr als in jedem anderen Bundesland. Rund 19 Prozent sind Landschaftsschutzgebiete. Die Zahl der Straßenbäume ist laut Senat mit 132 pro 1000 Einwohner höher als in allen anderen deutschen Metropolen.
Insgesamt gibt es 224.000 Bäume an Hamburgs Straßen, geschätzt 600.000 in Grünanlagen und eine Million auf Privatgrund. Hinzukommen 5363 Hektar Forste mit mehr als sechs Millionen Bäumen, 2640 Hektar an Parkflächen, der weltgrößte Parkfriedhof Ohlsdorf und begrünte Ufer der acht Prozent Wasserflächen. Die Einigung des Senats mit der Nabu-Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ hat Hamburgs Grünflächen kürzlich trotz des massiven Wohnungsbaus unter weitgehenden Bestandsschutz gestellt.
Hamburger Verwaltung soll möglichst nachhaltig arbeiten
Positiv zu Buche schlägt für den Nabu auch die Abschaltung des Kohlekraftwerks Moorburg. Die Umweltbehörde hebt den laufenden Umbau der Fernwärme mit dem Ausstieg aus der Kohle hervor – und dass städtische Unternehmen ausschließlich Ökostrom beziehen. Auch die Pläne zum Aufbau eines „Green Energy Hub“ am Standort Moorburg wird von Experten gelobt. Dort wollen Shell, Mitsubishi, Vattenfall und Wärme Hamburg ein Wasserstoffprojekt aufbauen.
Zudem gebe es in Hamburg eine bundesweit vorbildliche Beschaffungsrichtlinie, die die Hamburger Verwaltung verpflichtet, nach ökologischen Vorgaben einzukaufen. Vom Kopier- und Toilettenpapier über Getränke und Lebensmittel bis zu Möbeln oder Lacken und Farben – alles soll möglichst nachhaltig sein. Die extrem müllintensiven Kaffeekapseln gibt es demnach längst nicht mehr in den Hamburger Behörden.
Alle städtischen Unternehmen sind zudem darauf verpflichtet, sich an den 17 SDGs zu orientieren – und dazu regelmäßige Berichte vorzulegen. Auch mehr als 1500 privatwirtschaftliche Unternehmen haben sich über die „Umweltpartnerschaft“ zu mehr Nachhaltigkeit bekannt. Beim Thema „Gesundheit“ stellt der Senat seinen Luftreinhalteplan und seinen Lärmaktionsplan heraus. Dass nach der Anschaffung neuer Radaranlagen deutlich häufiger in Hamburg geblitzt wird, rechnet der Senat ebenfalls zu seinen Erfolgen beim Thema Gesundheitsschutz.
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Hamburg tut schon viel, aber hat noch viel zu tun
All das täuscht aber keineswegs darüber hinweg, dass es an zentralen Stellen noch nicht nachhaltig läuft. So ist Hamburg etwa beim Besitz privater Pkw in eine völlig falsche Richtung unterwegs. Die Zahl der in der Stadt registrierten Privatwagen ist zuletzt deutlich stärker gewachsen als die Bevölkerung. Zwar betont der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks immer wieder, dass trotz wachsender Pkw-Zahl weniger mit dem Auto gefahren werde. Aber auch Pkw, die 23 Stunden am Tag herumstehen, brauchen Platz, der in einer wachsenden Stadt deutlich besser genutzt werden könnte – und allein ihre Herstellung schlägt in der Nachhaltigkeitsbilanz negativ zu Buche.
Auch bei der zur Erreichung der Klimaziele wichtigen Reduktion des CO2-Ausstoßes geht es zuletzt nicht zügig genug voran. Nach der letzten vom Statistikamt veröffentlichten Verursacherbilanz gab es vom Jahr 2017 auf 2018 nur einen sehr geringen Rückgang – im Bereich Verkehr nahm die Belastung sogar etwas zu. Nach den noch nicht vom Statistikamt verifizierten vorläufigen Zahlen für 2019 sank der Ausstoß dagegen wieder etwas stärker – obwohl der Verkehr noch immer mehr Klimagas produzierte als 2017.
Viele Mieter können ihren Müll nicht sauber trennen
Nicht optimal läuft es auch beim Recycling. Lange galten die Hamburger als Mülltrennungsmuffel. Zwar gehen auch bei Biomüll, Altpapier und Wertstoffabfall die Zahlen zuletzt nach oben. Immer noch ist es für viele Mieter aber nicht möglich, ihren Müll zu trennen, weil die entsprechenden Tonnen fehlen. Der Hamburger Nabu-Vorsitzende Malte Siegert fordert deswegen, „Hauseigentümer müssten stärker gezwungen werden, das Angebot zu nutzen, denn nur selten scheitert es tatsächlich am Platz für unterschiedliche Tonnen, um nachhaltig Müll zu trennen.“
Nicht nur die Initiativen gegen den Fluglärm beklagen zudem, dass Hamburg zu wenig unternehme, um den klimaschädlichen Flugverkehr einzuschränken. „Als Miteigentümer des Flughafens muss sich Hamburg fragen lassen, welche Strategie zur Reduzierung des klimaschädlichen Flugverkehrsaufkommens die Stadt hat, wenn sie gleichzeitig am Flugverkehr verdienen will“, so Siegert. Auch eine „Stadtautobahn wie die A 26 Ost widerspricht mit Blick auf die negative Klimawirkung und einem sorgsamen Umgang mit wertvoller Fläche der Grundidee der Nachhaltigkeit auch mit Blick auf den Anspruch einer nachhaltigen Stadt“, sagt der Nabu-Chef.
BUND fordert mehr Engagement von der Stadt
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert derweil immer wieder den Bau der U5. Es werde ignoriert, „dass der Bau von U-Bahn-Linien deutlich mehr Ressourcen verbraucht als etwa eine Stadtbahn“, sagt BUND-Sprecher Paul Schmid. „Laut Berechnungen aus Berlin zahlt eine unterirdisch geführte U-Bahn erst nach bis zu 100 Jahren auf den Klimaschutz ein.“
Die wesentlichen Stellschrauben, um das Klimaziel zu erreichen seien der Verkehrs- und der Gebäudesektor, so Schmid. „Doch beide Bereiche werden halbherzig angegangen. So hat die Stadt trotz klarem Auftrag im Klimaplan von 2015 für kein einziges ihrer Gebäude einen Sanierungsplan vorlegt. Auch das Förderprogramm im Mietwohnungsbau wird deutlich zu wenig genutzt.“
CDU-Politiker macht mit Nachhaltigkeit Wahlkampf
Der Eimsbüttler CDU-Bundestagskandidat Rüdiger Kruse, der seinen Wahlkampf vollständig auf die 17 Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet hat, sieht zwar Fortschritte bei der Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik. „Diese reichen aber bei Weitem nicht aus, um zu einer dauerhaft nachhaltigen Entwicklung zu kommen“, so Kruse. Das „Schlüsselproblem“ sei: „Bei uns, wie auch in der gesamten Bundesrepublik sind die von den Vereinten Nationen gesetzten Ziele der Nachhaltigkeit noch nicht konsequent das Leitbild unserer Politik. Wir müssen die 17 Ziele der Nachhaltigkeit in all unseren politischen Entscheidungen berücksichtigen.“
Dafür müssten „öffentliche Aktivitäten, Planungen und Ausgaben darauf überprüft werden, ob sie uns den Zielen der Nachhaltigkeit näher bringen oder nicht“, fordert Kruse. „Ausgaben, die der Nachhaltigkeit abträglich sind, sind grundsätzlich zu streichen. Ausnahmen müssen in einem gesonderten Verfahren begründet und vom Parlament gebilligt werden.“
Bei den Seeverkehren liegt noch viel im Argen
Eine große Bedeutung für Hamburg hätten die Seeverkehre. „Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie viel Arbeit noch vor uns liegt“, so Kruse. „Diese werden auch zukünftig höchste Bedeutung im internationalen Handel haben, weshalb es so essenziell für uns in Hamburg und in der gesamten Bundesrepublik in Zukunft sein wird, Klimaneutralität auch in der Schifffahrt zu erreichen. Dazu braucht es eine entsprechende Infrastruktur in den Häfen, an der wir in der Zukunft mit Hauptfokus arbeiten müssen.“ Insgesamt sei Nachhaltigkeit eine Querschnittsaufgabe, so der CDU-Mann. „Sie gehört daher jeweils ins Kanzleramt, die Senats- oder Staatskanzleien.“
Für den grünen Umweltsenator Jens Kerstan ist „Hamburg bei Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf vielen Feldern vorbildlich“. Der Senat verfolge „die ehrgeizigste Wärmewende deutschlandweit“, mache Hamburg zur Fahrradstadt und zum Wasserstoffstandort. „Wir bauen das Bus- und Bahnnetz massiv aus und steigen früher als der Bund aus der Kohle aus“, so Kerstan. „Wir haben einen ehrgeizigen Klimaplan und ein Klimaschutzgesetz mit bundesweit beachteten Regelungen, zum Beispiel der Solardachpflicht. Mit Gründächern, größeren Sielen, Versickerungsplänen und Entsiegelung machen wir Hamburg zur Schwammstadt und wappnen uns so gegen Starkregen“, sagt der Senator.
Kerstan: Hamburg auf einem guten Weg
Hamburg sei bei der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele „auf einem guten Weg – aber noch lange nicht am Ziel“. Wie der weitere Weg konkret aussehen könnte – das lesen Sie in den mehr als 20 Folgen dieser Serie in den kommenden Wochen im Abendblatt. Im zweiten Text auf dieser Doppelseite geht um Tipps zu Mobilität, Ernährung und Haushalt.
Lesen sie in der nächsten Folge: Wasser