Hamburg. JVA-Bäcker schmuggelte für einen Schwerverbrecher Delikatessen. Die Hamburger Justiz war damit acht Jahre lang beschäftigt.

Auf der Zielgerade eines von Pleiten, Pech und Pannen überschatteten Prozesses um in die JVA Fuhlsbüttel geschmuggelte Delikatessen findet Oberstaatsanwältin Sabine Schmädicke deutliche Worte. „Ich habe eine so eklatante Verfahrensverzögerung wie in diesem Fall in meinem ganzen Berufsleben nicht erlebt“, sagt sie am Dienstag. Und der Vorsitzende Richter merkt süffisant an: „Sollte das Verfahren heute erledigt werden? Das wäre ja absurd!“

Absurd trifft es womöglich gut. Seit acht Jahren (!) beschäftigt sich die Hamburger Justiz nun schon mit der Frage, ob sich unter anderem ein ehemaliger Bäcker der JVA „Santa Fu“ wegen Bestechlichkeit strafbar gemacht hat, weil er im Auftrag eines dort inhaftierten Schwerverbrechers und gegen kleines Geld Entenbrust, Riesengarnelen und andere Köstlichkeiten in das Gefängnis geschmuggelt haben soll.

Prozess Hamburg: Bäcker soll Garnelen in JVA geschmuggelt haben

Der Fall hat enorme Ressourcen der Ermittlungsbehörden, mutmaßlich auch Staatsgelder in nicht unmaßgeblicher Höhe verschlungen. Wieder und wieder verzögerte sich der Beginn der Hauptverhandlung. Am Dienstag sollte der Prozess nach dem letzten, fruchtlosen Termin im November 2020 von Neuem starten. Doch es kam ganz anders.

Aber von vorne: Die angeklagten Taten liegen bereits acht Jahre zurück. Nils H., der damals in der Anstaltsbäckerei der JVA Fuhlsbüttel arbeitete, soll dreimal Waren in das Gefängnis geschmuggelt haben: im Auftrag eines dort inhaftierten Schwerverbrechers und gegen ein „Handgeld“ von jeweils fünf Euro. Zwischen Juli und Oktober 2014 soll der heute 60-Jährige unter anderem 8,6 Kilogramm Eiweißpulver, einen Expander, ein Kilogramm Riesengarnelen, Rindfleisch, Hustenbonbons und kiloweise Entenbrust an den Sicherheitskontrollen vorbei in die JVA geschleust haben.

Delikatessen soll Verlobte des Schwerverbrechers beschafft haben

Die Ware in Empfang nahm laut Anklage der 2010 vom Landgericht Itzehoe wegen Vergewaltigung und Geiselnahme zu neun Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilte Sexualstraftäter Sven S. Die Delikatessen soll demnach Sven S.‘ Verlobte Sarah H. beschafft haben. Nachdem ein (anonym gebliebener) Gefängnisinsasse Sarah H. an die Behörden verpfiffen hatte, flog die Sache auf. Gegen die Frau wurde zunächst verdeckt ermittelt.

Die Staatsanwaltschaft hat sie und Sven S. wegen Bestechung angeklagt, dem Staatsdiener und Anstaltsbäcker Nils H. hat sie Bestechlichkeit zur Last gelegt. Das war 2015. Dass Nils H. die Waren in die JVA geschmuggelt hatte, galt als unstreitig. Die entscheidende Frage lautete: Hat er für seine Kurierdienste Geld genommen und insgesamt 15 Euro kassiert? Oder handelte es sich um eine unvergütete Gefälligkeit und damit „nur“ um ein Dienstvergehen?

Garnelen-Schmuggel: Urteilsverkündung war für 5. April geplant

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde Nils H. freigestellt – unter Fortdauer seiner Bezüge. Und das Verfahren dümpelte dahin. So wechselte die Spitze der zuständigen Abteilung im Amtsgericht mehrfach, anderthalb Jahre dauerten Nachermittlungen in dem Fall. Als die dann abgeschlossen waren, standen wegen der von G20 ausgelösten Prozesswelle keine Vakanzen zur Verfügung.

Ende 2019 sollte es losgehen, doch diesmal scheiterte es an der Terminabsprache mit den Verteidigern. Den für April 2020 geplanten Verhandlungsstart verhinderte dann die Corona-Krise. Ende November 2020 kam schließlich ein Termin zustande. Eine vom Vorsitzenden in der Sitzung angeregte „verfahrensverkürzende Verständigung“ – Geständnis gegen Geldstrafe – lehnten die Angeklagten jedoch ab. Weiter ging es da nicht: Die Verhandlung wurde ausgesetzt, weil der Richter die Kammer verließ. Am Dienstag, anderthalb Jahre später, wagte das Amtsgericht einen neuen Anlauf. Zeugen sollten gehört werden. Für den 5. April war die Urteilsverkündung geplant.

Garnelen-Schmuggel in der JVA Fuhlsbüttel: Zwei der drei Angeklagten (l. und r.) vor Beginn des Prozesses.
Garnelen-Schmuggel in der JVA Fuhlsbüttel: Zwei der drei Angeklagten (l. und r.) vor Beginn des Prozesses. © dpa | Daniel Reinhardt

Gericht stellt Verfahren nach acht Jahren ein – gegen Geldauflage

Am Dienstag sind im Gerichtssaal nur zwei der drei Angeklagten zu sehen, Nils H. und Sarah H. Sven S. liegt im Krankenhaus. Wie der Vorsitzende Richter erklärt, habe sich der 59 Jahre alte Gefangene seiner Zuführung zur Verhandlung widersetzt. Daraufhin sei eine zwangsweise Zuführung vorbereitet und „das Hafthaus umstellt“ worden. Sven S. habe dabei einen Krampfanfall erlitten und sei per Notfalltransport ins Krankenhaus gebracht worden. Gegen ihn hat das Gericht das Verfahren am Dienstag abgetrennt und einen Strafbefehl wegen Bestechung über 90 Tagessätze á drei Euro erlassen. Sven S. kann dagegen Einspruch einlegen.

Die juristische Ochsentour endet hingegen für Nils H. und Sarah H. Gegen die beiden hat das Gericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt, gegen eine Geldauflage von 2400 und 1800 Euro. Eine Schuld ist damit nicht festgestellt. Wäre 2015 verhandelt worden, sagt die Staatsanwältin, „wäre ich noch von einer Freiheitsstrafe ausgegangen“. Nach achtjähriger Verfahrensdauer könne man den Fall aber „nicht anders sachgerecht erledigen“.

Für die beiden Angeklagten, so erzählen es ihre Verteidiger, sei das schwebende Verfahren zermürbend gewesen. Auch in der Justizbehörde, auf deren Gehaltsliste der ehemalige Anstaltsbäcker all die Jahre stand, dürfte man alles anders als glücklich gewesen sein. Für sie ist Nils H. aber bald ohnehin kein Thema mehr: Im April geht der 60-Jährige in den Ruhestand.