Hamburg. Taylor Swift hat Millionen von Anhängern. Unser Redakteur ist einer von ihnen. Hier erzählt er, wie er vor 13 Jahren zum Fan wurde.
- Unser Autor ist seit 13 Jahren ein Swiftie – so nennen sich die Fans von Taylor Swift.
- Er ging mit ihr durch verschiedene Höhen und Tiefen seines Lebens
- Doch auch er ist nicht von allem, was die Pop-Prinzessin gemacht hat, angetan.
„Du hörst Taylor Swift? Okay...“ Die Reaktion, wenn ich mich als Swiftie oute, ist häufig dieselbe. Unglaube und ein bisschen Belustigung schwingen mit. Dabei gehöre ich, rein statistisch gesehen, zu einer riesigen Gruppe von Fans. 283 Millionen Menschen folgen der Prinzessin des Pop in den sozialen Medien, ihre Lieder sind in den oberen Rängen jeglicher Single- und Alben-Charts wie festgetackert.
Nur stellen sich die meisten unter einem Swiftie eher ein junges Mädchen vor, Freundschaftsarmbändchen-behängt, eine nahezu kultische Obsession für ihren Lieblingsstar pflegend, statt eines Mittdreißigers, dem die ersten grauen Haare auch gleich die ersten Sorgenfalten mitliefern: Sollte ich meiner Leidenschaft tatsächlich so ungehemmt nachgehen? Bin ich nicht zu alt für so etwas? Dabei begleitet mich die Musik von Taylor Swift seit fast genau 13 Jahren durch alle Höhen und Tiefen, die das Erwachsenwerden und -sein so mit sich brachte. Kein anderer Sänger oder keine andere Sängerin schafft es derart, mich mit seinen oder ihren Liedern auf eine Zeitreise nicht nur seiner oder ihrer, sondern meiner eigenen Geschichte mitzunehmen.
Taylor Swift ist eine Meisterin des Geschichtenerzählens – wie Bob Dylan, mindestens
Es ist kein Geheimnis, dass Taylor Swift eine der ganz Großen im Geschichtenerzählen ist. Nicht ohne Grund sind die von ihr stets selbst geschriebenen Texte ihrer Lieder mittlerweile Inhalt diverser Universitätskurse, wurden sogar bereits mit Shakespeare selbst verglichen. Ganz so weit würde ich jetzt zwar nicht gehen, aber mit einem Bob Dylan kann „The American Music Industry“, wie Swift von der Presse in Hinblick auf ihren Erfolg getauft wurde, schon mithalten. Ehrlich!
Dass ihre Texte, die tiefgründiger sind, als sie oft wirken, so ernst genommen werden würden, war vor 13 Jahren längst nicht klar, als ich mich zum ersten Mal näher mit dem damaligen Country-Sternchen beschäftigte, das sich anschickte, auch in Pop zu machen. Im Jahr 2011 dominierte in Deutschland Pietro Lombardi die Single-Charts, Tim Bendzko wollte „nur noch kurz die Welt retten“ und eine englische Newcomerin namens Adele belebte gerade den Blues wieder. Taylor Swift hatten zu dieser Zeit noch die wenigstens auf dem Schirm.
Taylor wer? 2011 war der größte Popstar der Welt in Deutschland noch weitgehend unbekannt
Mir ging es damals genauso. Ehrlicherweise beschäftigten mich aber auch andere Dinge: Ich war gerade 20 Jahre alt und hatte das Abitur abgelegt, als ich mich in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets aufmachte, die weite Welt zu entdecken. Oder jedenfalls: um in Bonn zu studieren. Auch wenn ich es nicht mal aus NRW heraus geschafft hatte, war die Zeit mit erster Wohnung, Studium und neuen Freunden ziemlich aufregend.
Genau in diesem turbulenten Abschnitt entdeckte ich die ersten Lieder von Taylor Swift. Irgendetwas packte mich sofort an der Naivität von „Love Story“ (kann bitte jemand Taylor mal erklären, wie „Romeo und Julia“ ausgeht?), der Melancholie von „Back To December“ und vor allem der Verletztheit und Intimität von „Dear John“. Mit dem Debütalbum „Taylor Swift“, mit „Fearless“ und „Speak Now“ hatte ich zu dem Zeitpunkt bereits drei „Eras“, wie Fans ihre Alben nennen; genug Material, um vollends in der Materie Swift zu versinken.
Taylor Swift baut eine Intimität zu ihren Hörern auf, wie kaum eine andere
Hinzu kamen Swifts persönliche Geschichte und ihre berühmt-berüchtigten Liebeleien: Denn um das Privatleben der aus Pennsylvania stammenden Künstlerin kommt man als Hörer einfach nicht vorbei. Seit Beginn ihrer Karriere lässt sie ihre Fans durch ihre Musik stets am eigenen Herzschmerz und an seelischen Abgründen teilhaben. Und so entsteht beim Hören schnell das Gefühl, eine persönliche Verbindung mit ihr aufzubauen. Wie etwa beim Treffen mit einer guten Freundin, die einem beim Cappuccino ihren Liebeskummer beichtet.
Die amerikanische Regenbogenpresse und vor allem Swifts Hang, gerne selbst Prominente zu daten, machten es den Fans bereits 2011 leicht, Querverbindungen zu ihrem privaten Leben zu ziehen. Ein Spiel, das aktuell von Swifties mit der Suche nach Hinweisen und der Analyse jeder kleinen Textzeile nahezu ins Obsessive gesteigert wurde.
Während meine Freunde also zu der Zeit eher rockig-alternativ oder hip-hoppig unterwegs waren, wurde ich zu dem, was man später einen Swiftie nennen wird. Und um eins vorwegzunehmen: Bereits vor 13 Jahren hat man sich dafür einiges von „echten“ Musikkennern anhören dürfen. Bis heute fällt mir bei den üblichen Diskussionen über Swift der bissige Kommentar einer guten Freundin ein: „Du hast wirklich den Musikgeschmack eines Teenie-Mädchens.“
Bekenntnisse eines Swifties: Warum „Red“ mein Lieblingsalbum von Taylor Swift ist und bleiben wird
Doch auch die größten Musiksnobs kamen 2012 nur noch schwer um Taylor Swift herum. Da erschien mit „Red“ nicht nur mein persönliches Lieblingsalbum, sondern auch die Platte, mit der Taylor ihre ersten großen Chart-Hits in Deutschland landen sollte.
Wofür wahrscheinlich auch verantwortlich ist, dass sich Taylor Swift zum ersten Mal neu erfand. Die Country-Einflüsse waren fast spurlos verschwunden, das süße Mädchen mit der Gitarre begann seine Verwandlung in einen der größten Popstars. Als großer Pop-Liebhaber (der Musik-Geschmack eines „Teenie-Mädchens“ eben) traf Taylor damit bei mir voll ins Schwarze.
Im Jahr darauf wurde ich 22 Jahre alt. Und wie es der Zufall so wollte, hatte Taylor auf „Red“ einen Song, der nicht perfekter mein Lebensgefühl zu jener Zeit hätte ausdrücken können: Mit „22“ verbinde ich bis heute eine der schönsten und sorgenlosesten Zeiten meines Lebens, in der ich auch meinen späteren Mann kennenlernte. Das Album hat deswegen bis heute einen ganz besonderen Platz bei mir.
Kein anderer Interpret hat es zuvor oder seitdem geschafft, mir dermaßen das Gefühl zu geben, verstanden zu werden. Das klingt kitschig, ist aber doch einer der Gründe, sich mit Kunst – nicht nur der populären – zu beschäftigen: Man identifiziert sich mit dem, was man hört, sieht, erfährt. Seit diesem Zeitpunkt gehören die Lieder von Taylor Swift quasi zu unserem häuslichen Inventar (mitunter zum Leidwesen meines Mannes). Ich hatte einen anstrengenden Tag? Dann wird Taylor Swift gehört. Bin ich auf jemanden sauer, läuft Taylor Swift. Ich bin traurig? Man kann sich denken, wer mich dann aus den Lautsprechern tröstet.
Taylor Swift: Sie inszenierte sich als Hollywoodstar, ich jobbte im Teddybärkostüm
Doch auch in den besten Freundschaften kommt es vor, dass man sich auseinanderentwickelt. Bei Taylor und mir war das zum Erscheinen von „1989“ der Fall. Zwar zementierte Swift mit der Platte endgültig ihre Position als Weltstar. Mir persönlich fehlte es aber an der Leichtigkeit und Intimität früherer „Eras“. Ich fand mich einfach selbst nicht wieder. Während Taylor „Welcome To New York“ sang, hieß es bei mir zu der Zeit „Glückauf Dortmund“, während sie sich als Hollywoodstar aus der goldenen Ära des Films präsentierte, jobbte ich im Teddybärkostüm auf Messen.
Doch genau als es so aussah, dass Taylor für mich nur eine „Phase“ sein könnte (was mein Mann bis heute auch noch immer hofft), kam 2017 „Reputation“ und ich wurde wieder durch und durch Swiftie. Wie wenig hätte jemand vorhersehen können, dass die damals 29-Jährige all die bösen Narrative, die über sie kursierten, selbst offensiv adressieren würde! „Lügnerin“, „intrigante Schlange“, die vom damaligen Ehepaar West/Kardashian befeuerten Behauptungen gingen durch sämtliche Medien. Taylor Swift verarbeitete die Erfahrungen künstlerisch und schuf damit eines der stärksten Popalben der letzten Jahrzehnte. Und wie wenig hätte jemand, also in diesem Fall vor allem ich, ahnen können, dass auch dieses Album wieder an einem Scheidepunkt in meinem Leben erscheinen sollte.
2017 hatte ich gerade ein Master-Studium angefangen; ich kannte niemanden in dieser neuen Umgebung. Durch die Entfernung wurde mir mein alter Freundeskreis immer fremder. Zwar war ich wie viele andere queere beziehungsweise homosexuelle Jugendliche mit dem Gefühl vertraut, ein Außenseiter zu sein, hart war es dennoch.
Taylor Swift ist spätestens seit „Reputation“ eine Ikone der LGBTQ-Bewegung
Wie Taylor Swift während ihrer „Reputation-Era“ Ablehnung selbstbewusst zu begegnen und trotzdem das eigene Ding zu machen, ist nicht nur ein Wunschtraum, sondern oftmals täglich gelebte Realität vieler Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaft. Man denke an dieser Stelle nur an die Paraden zum Christopher Street Day. Kein Wunder, dass Swift seit „Reputation“ eine Ikone der Bewegung geworden ist. Viele junge queere Menschen geben an, dass die Botschaft von „Reputation“ ihnen bei ihrem Coming-out geholfen haben soll, zu ihrer ganz eigenen neuen oder besseren Selbstfindung. Mir ging es dabei nicht anders.
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„Reputation“ gab mir den nötigen Ansporn, um in dieser nicht ganz einfachen Zeit den Mut zu finden, an mich und meine Fähigkeiten zu glauben. Ohne „Reputation“ hätte ich vielleicht auf all die kritischen Stimmen gehört, die mir, dem angehenden Journalisten, sagten, meine Schreibe sei nicht gut genug, um davon leben zu können.
Doch auch abseits der LGBTQ-Gemeinschaft scheint Taylor Swift eine ganz besondere Inspiration für Menschen jeder Altersklasse und jeder Sexualität zu sein. Karten für die „Eras“-Tour sind ein heiß gehandeltes Gut, das Volksparkstadion ist für beide Konzerte komplett ausverkauft. Und auch ich freue mich schon riesig auf das Großevent. Vor allem, um mit Taylor auf eine kleine Zeitreise meiner eigenen „Eras“ zu gehen.