Stockholm/Hamburg. Erstmals wird ein Musiker mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Dylan hat den Pop in die Poesie gebracht – und umgekehrt.

Es war 1996, als Bob Dylan erstmals für den Nobelpreis ins Spiel gebracht wurde. Damals waren es, was der crossmedialen Kampagne sogleich Schwung brachte, mit John Bauldie und Allen Ginsberg passenderweise zwei Schriftsteller, die sich zu Dylans Anwälten machten. Ein Musiker als Literaturnobelpreisträger, wirklich?

Manchen dünkte das als Frevel – und doch hielt sich der ewige Favorit Dylan seitdem hartnäckig im Dunstkreis der höchsten Auszeichnung, die ein Schriftsteller erhalten kann. Nun, 20 Jahre später, hat ihm die schwedische Jury den Preis zuerkannt. Eine außergewöhnliche, und wenn man den langen Flirt zwischen Pop und Poesie betrachtet: gleichzeitig sensationelle und doch wieder überhaupt nicht überraschende Entscheidung. Er werde für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Song-Tradition geehrt, begründete die Schwedische Akademie ihr Votum, als sie am Donnerstag um 13 Uhr vor die Presse trat. Und die Lautstärke der Reaktion der Journalisten, als der Name Dylans im Raum stand, pegelte durchaus mehr als sonst üblich nach oben.

Mit Bob Dylan hielt die Poesie Einzug in die populäre Musik

Als Musiker ist Dylan, der am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, geboren wurde und der erste US-amerikanische Geehrte seit Toni Morrison im Jahr 1993 ist, der lauteste Preisträger aller Zeiten.

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Sensation! Bob Dylan erhält Literaturnobelpreis

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    Weithin hörbar ist auch die Wirkung, die von dieser Wahl ausgeht. Nobilitiert – und das völlig zu Recht – wird nun das schöpferische Werk eines Künstlers, der unabhängig von seiner Musik ein Textarbeiter ist, ein Dichter, ein Poet, einer der Schriften erstellt eben. Mit Dylan, dessen bekannteste Songs „Blowin’ In the Wind“, „Like A Rolling Stone“ und „Knocking On Heaven’s Door“ heißen, hielt die Poesie Einzug in die populäre Musik. Dylan zählt zu den großen Pionieren der Musikmoderne, aber sein literarisches Schaffen ist so gewichtig, dass man es losgelöst von seinen Songkompositionen betrachten darf.

    Das ist Nobelpreisträger Bob Dylan

    1941 wurde Bob Dylan am 24. Mai in Duluth im US-Bundesstaat Minnesota als Robert Allen Zimmerman geboren. Nun, eine mehr als 50 Jahre lange Karriere als Musiker und rund 100 Millionen verkaufte Tonträger später, wurde die Folkrock-Legende im Alter von 75 Jahren mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
    1941 wurde Bob Dylan am 24. Mai in Duluth im US-Bundesstaat Minnesota als Robert Allen Zimmerman geboren. Nun, eine mehr als 50 Jahre lange Karriere als Musiker und rund 100 Millionen verkaufte Tonträger später, wurde die Folkrock-Legende im Alter von 75 Jahren mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. © dpa | Domenech Castello
    Um 1960 wählt er den Bühnennamen Bob Dylan. Mit 20 wird ihm ein Plattenvertrag angeboten, den er aber noch nicht eigens unterschreiben darf, weil er noch nicht volljährig ist. Dylan erklärt sich daraufhin zum Waisen – und unterschreibt.
    Um 1960 wählt er den Bühnennamen Bob Dylan. Mit 20 wird ihm ein Plattenvertrag angeboten, den er aber noch nicht eigens unterschreiben darf, weil er noch nicht volljährig ist. Dylan erklärt sich daraufhin zum Waisen – und unterschreibt. © imago stock&people | imago stock&people
    1962 erscheint sein erstes Album „Bob Dylan“.
    1962 erscheint sein erstes Album „Bob Dylan“. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Bob Dylan im New Yorker Madison Square Garden mit den Beatles-Musikern Ringo Starr und George Harrison. Einer Anekdote zufolge soll Dylan die Beatles zum Rauchen von Marihuana gebracht haben.
    Bob Dylan im New Yorker Madison Square Garden mit den Beatles-Musikern Ringo Starr und George Harrison. Einer Anekdote zufolge soll Dylan die Beatles zum Rauchen von Marihuana gebracht haben. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
    1963 enthält das zweite Album „The Freewheelin’ Bob Dylan“ die Anti-Kriegs-Hymne „Blowin’ In The Wind“. Dylan schreibt damit den Soundtrack von Tausenden von Protestlern weltweit.
    1963 enthält das zweite Album „The Freewheelin’ Bob Dylan“ die Anti-Kriegs-Hymne „Blowin’ In The Wind“. Dylan schreibt damit den Soundtrack von Tausenden von Protestlern weltweit. © imago stock&people | imago stock&people
    1964 erscheint „The Times They Are A-Changing“, sein erstes Album, das nur Eigenkompositionen enthält.
    1964 erscheint „The Times They Are A-Changing“, sein erstes Album, das nur Eigenkompositionen enthält. © dpa | Istvan Bajzat
    1965 landet er einen weiteren Welterfolg mit „Like A Rolling Stone“, dem ersten Lied auf dem Album „Highway 61 Revisited“.
    1965 landet er einen weiteren Welterfolg mit „Like A Rolling Stone“, dem ersten Lied auf dem Album „Highway 61 Revisited“. © imago stock&people | imago stock&people
    Die meiste Zeit verbringt Bob Dylan mit der Gitarre auf der Bühne. Er spielt allerdings auch Mundharmonika, Orgel und Klavier.
    Die meiste Zeit verbringt Bob Dylan mit der Gitarre auf der Bühne. Er spielt allerdings auch Mundharmonika, Orgel und Klavier. © dpa | Frank Leonhardt
    Bob Dylan befindet sich auf einer „Never ending Tour“. Der Begriff wurde von dem Kritiker Adrian Deevoy in einem Interview 1989 geprägt. Seit 1988 spielte Dylan dabei jährlich rund 100 Konzerte, überall auf der Welt. 2007 soll Dylan das 2000. Konzert seiner Endlos-Tour gespielt haben.
    Bob Dylan befindet sich auf einer „Never ending Tour“. Der Begriff wurde von dem Kritiker Adrian Deevoy in einem Interview 1989 geprägt. Seit 1988 spielte Dylan dabei jährlich rund 100 Konzerte, überall auf der Welt. 2007 soll Dylan das 2000. Konzert seiner Endlos-Tour gespielt haben. © imago stock&people | imago stock&people
    Bob Dylan war nicht nur musikalisch aktiv. Zwischen 1967 und 2007 spielte er in mehreren Filmen mit. Unter anderem spielte er in „Masked and Anonymous“ an der Seite von Jeff Bridges, Penélope Cruz, John Goodman und Jessica Lange.
    Bob Dylan war nicht nur musikalisch aktiv. Zwischen 1967 und 2007 spielte er in mehreren Filmen mit. Unter anderem spielte er in „Masked and Anonymous“ an der Seite von Jeff Bridges, Penélope Cruz, John Goodman und Jessica Lange. © imago stock&people | imago stock&people
    Dylan bei einem Open-Air-Konzert im Olympiastadion in München. In den 1990er Jahren machte Dylan auch als Maler und Zeichner von sich Reden. Einen großen Erfolg feierte die Kunstsammlung Chemnitz mit der Ausstellung seiner Werke. Zwischen 2007 und 2008 waren dort 170 Aquarelle von Dylan ausgestellt, die Ausstellung wurde wegen des großen Erfolgs am Ende um rund zwei Monate verlängert.
    Dylan bei einem Open-Air-Konzert im Olympiastadion in München. In den 1990er Jahren machte Dylan auch als Maler und Zeichner von sich Reden. Einen großen Erfolg feierte die Kunstsammlung Chemnitz mit der Ausstellung seiner Werke. Zwischen 2007 und 2008 waren dort 170 Aquarelle von Dylan ausgestellt, die Ausstellung wurde wegen des großen Erfolgs am Ende um rund zwei Monate verlängert. © dpa | Istvan Bajzat
    Dylan bekommt im Laufe seiner Karriere allerhand Auszeichnungen. Einige davon: 3000 erhält Dylan den Polar Music Prize, eine Art „Nobelpreis für Musik“, 2001 je einen Golden Globe und Oscar für den Film-Song „Things Have Changed“. 2008 kommt der Pulitzer-Preis für „lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft“ hinzu.
    Dylan bekommt im Laufe seiner Karriere allerhand Auszeichnungen. Einige davon: 3000 erhält Dylan den Polar Music Prize, eine Art „Nobelpreis für Musik“, 2001 je einen Golden Globe und Oscar für den Film-Song „Things Have Changed“. 2008 kommt der Pulitzer-Preis für „lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft“ hinzu. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
    2012 verleiht ihm US-Präsident Barack Obama die „Presidential Medal of Freedom“, die höchste zivile Auszeichnung der USA. 2009 hatte Dylan bereits die „National Medal of Arts“ verliehen.
    2012 verleiht ihm US-Präsident Barack Obama die „Presidential Medal of Freedom“, die höchste zivile Auszeichnung der USA. 2009 hatte Dylan bereits die „National Medal of Arts“ verliehen. © imago stock&people | imago stock&people
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    Dylan, der als Folkmusiker weitgehend Traditionalist ist (auch wenn er einst die Akustik- mit der elektrischen Gitarre tauschte), verdichtet in seinen Texten seit den 60er-Jahren Sprache zur prägnanten, vielschichtigen und komplexen Weltauslegung. Dylan-Texte sind die Arbeiten eines lyrischen Versschmieds, der nicht zufällig immer wieder Inspiration bei Autoren wie Jack Kerouac fand. Dylans Texte handeln von sozialkritischen Themen, und sie handeln von ihm selbst: Gerade mit der Hinwendung zur Subjektivität beeinflusste Dylan Generationen von Musikern.

    Barack Obama ehrt Bob Dylan

    Sie sind anspielungsreiche Gebilde, metaphorisch und mit Symbolen aufgeladen; Textexegese und Versinterpretation ist seit Jahrzehnten eine hochseriös angegangene Aufgabe der sich selbst nur halbironisch als „Dylanologen“ bezeichnenden Fanschar. Eines der legendärsten Stücke Dylans, dem 1965 auf dem Album „Highway 61 Revisited“ veröffentlichten und mehr als elf Minuten langen „Desolation Row“, kann man gleichzeitig als satirische Fahrt durch einen Rotlicht- und Vergnügungsbezirk als auch als eine Tour durch die Menschheits- und Kulturgeschichte lesen – mit Einstein, Casanova und T.S. Eliot. Dylan ist ein Meister darin, Bilder mit Worten zu malen. In „Desolation Row“ touren wir Hörer trunken durch eine fantastische Kulisse, eine knallbunte Allee der Trostlosigkeit. „,Desolation Row‘ ist der Soundtrack eines imaginären Western mit Sepiatönen, Saloons aus Pappmaché und Leichen im Staub“, schrieb einst der Autor Mark Polizzotti.

    Das ist das Schöne am Surrealismus: Jeder kann in die Songs das hineinlesen, das er hineinlesen will. Und so ist es bisweilen inspirierender, einen Dylan-Song zu dechiffrieren als einen dicken Roman. Ist der Beziehungssong „Tangled Up In Blue“ nicht eines der wahrsten und allgemeinsten Liebeslieder aller Zeiten, dargeboten als besondere Fallgeschichte des lyrischen Ich?

    Von sich ausgehend, erscheint der Erzähler Bob Dylan in seinen Texten als Menschenkenner, der Identifikationsangebote für seine Hörer macht.

    Es dürfte kaum einen Literaturnobelpreisträger gegeben haben, der ähnlich viele Menschen mit seinen Texten erreicht hat. Die Akademie hat mit Dylan einen Künstler ausgezeichnet, der vielleicht selbstbewusst wie kein anderer das Wort über den Akkord gelegt hat. Die Wahl würdigt in diesem Sinne auch den Beitrag des Textes zur Musik.

    Bleibt die Frage, ob die Musik einen Beitrag zur Literatur liefern kann. Die Akademie hat sich, nach langem Zögern, letztlich doch durchgerungen, die Literatur als so offene Veranstaltung zu begreifen, die auch einem Musiker Einlass in die heiligen Hallen der Dichtung gewährt. Sie tut das mit dem Verweis auf die Antike: Die Verse von Homer und Sappho seien schließlich auch als Gesänge vorgetragen worden und würden heute zur Literatur gerechnet.

    Der Buchhandel schaut in die Röhre

    Dass die Reaktionen gemischt waren, versteht sich von selbst. Auch, weil der hoch und runter geehrte Dylan eh längst alle denkbaren Würdigungen erfahren hat; die diesjährige Kür erscheint in dieser Sichtweise als Verschwendung, weil kein „echter“ Schriftsteller für sein Werk nobilitiert wird. Der Kritiker Denis Scheck bezeichnete die Wahl Dylans als „Witz“, Musiker wie Wolfgang Niedecken und Heinz Rudolf Kunze jubelten dagegen.

    Wenig Freude hat aus offensichtlichen Gründen der Buchhandel, auch eine Art Pointe. Einzig der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe darf sich die Hände reiben: Dylans Erinnerungsbuch „Chronicles“ ist bei Hoca erschienen.