Hamburg. Nostalgie, Schottenrock und „Don‘t You Forget About Me“: Jim Kerr und seine einfachen Gemüter erweckten die 80er zum Leben.
Das schönste Wort der Achtziger ist nicht „Mauerfall“, „Privatfernsehen“, „Baywatch“ oder „Fönfrisur“. Das schönste Wort der Achtziger ist, mit Abstand: New Wave. Steht für tolle Musik, meistens. Synthieklänge sind nämlich längst rehabilitiert. Wobei, waren die Simple Minds eigentlich je out? So richtig?
Das konnte man sich schon beim ersten Song an diesem Mittwochabend, dem stürmischen „Waterfront“, kaum vorstellen. Da war dann schon Stimmung in der mit geschätzt 6000 Leuten belegten Nostalgiebude Barclays Arena. War ja, wir erinnern uns, vor zwei Jahren genauso. Da waren die Schottenpopper auch schon da. Aber, um zur Beantwortung der Frage zu kommen: Ja, sie waren mal nicht so angesagt, der Beginn des Jahrtausends meinte es nicht gut mit ihnen.
Simple Minds in Hamburg: Best Ager des New Wave spielen in der Barclays Arena
Aber seit einiger Zeit läuft’s wieder bei der Band, die im besten Alter ist: 45. Wobei Jim Kerr, der Chef, ja 63 ist, was allerdings auch noch als bestes Alter durchgeht. Sie spielen längst wieder in großen Arenen, für den Spaß an der Freude, für die, die ihre Knaller aus den Super-Eighties, als die Simple Minds eine der größten Bands der Welt waren, immer noch und gerne mit vielen anderen erleben möchten.
Aber, um noch mal den New Wave zu erwähnen, den manche auch Post Punk nennen: Um 1980 war er noch nicht Mainstream. Aus dieser Zeit stammen nicht die schlechtesten Stücke der Simple Minds. Deren Besetzung hat sich unzählige Male verändert, lediglich Kerr und Gitarrist Charlie Burchill sind schon immer dabei. Aber allen (viel) später Dazugestoßenen, etwa der immens druckvollen Cherisse Osei am Schlagzeug, haben sie die ganzen tollen ollen Kamellen gut beigebimst.
Kerr zeigt seinen ganzen Charme auf der Bühne
Überhaupt, der Damen-Anteil (auch am Start: Backgroundsängerin Sarah Brown) auf der Bühne: Jim Kerr weiß, wie man die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Seine eigenen Gelenke muss er übrigens mit Gymnastik geschmeidig halten. Besonders den Ausfallschritt beherrscht Kerr noch ziemlich gut.
Viel wichtiger noch, Kerr hat sich mit den Jahren stimmlich nicht verschlechtert und seinen Willen, die Menschen zum Mitklatschen zu bewegen, eher noch gesteigert. Der Mann ist außerdem ein Charmebolzen. Oder anders gesagt: Er weiß, was sich gehört: Kerr erwies Hamburg seinen Respekt, indem er sich an den allerersten Auftritt („Die meisten von euch waren noch nicht geboren“ – dankbares Gelächter) von Simple Minds in der Fabrik erinnerte, „vor zehn Leuten, sechs mochten es nicht“.
Wenn „Don‘t You Forget About Me“ nicht der Höhepunkt ist
Es war am Mittwochabend beinah eine reine 80er-Setlist, was dann natürlich sehr konsequent ist. „New Gold Dream“, „Sons and Fascination / Sister Feelings Call“ – als der große Ruhm erst noch sachte anklopfte, machten sie ihre besten Alben. Finden zumindest Connaisseure; sie dürften in der Barclays Arena also ziemlich froh gewesen sein.
Aber die, die die unvermeidlichen Superhits „Don’t You Forget About Me“ (La-lalalala usw., die internationalste Songzeile überhaupt, kann man singen, bis das Licht wieder angeht, theoretisch), „Alive And Kicking“ (im Zugabenteil) sehen und hören wollten, kamen natürlich keineswegs umsonst. Und Kerr war ja auch so nett, das Publikum vorzuwarnen. Es kämen, vor den großen Hits, erst mal die Lieder, bei denen sich manche fragen würden: „What the fuck?“ Blödsinn, na klar, „This Fear of Gods“, ein Höhepunkt des Konzerts, dicht, treibend, sollte auch die beeindruckt haben, die es bisher nicht kannten. Wenig später „Glittering Prize“, ein Favorit der Fans. Zu Recht, fraglos.
Simple Minds in Hamburg: Eine Zeitreise zurück in die 1980er
Die Band ging zu ihren Anfängen, sie kann halt auch schon richtig weit zurückblicken. Auch auf ihre Ära der Weltherrschaft. Das tolle „Belfast Child“ wurde gespielt, das ebenso tolle „Mandela Day“ bedauerlicherweise nicht.
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Gibt aber keine Abzüge in der Gesamtbewertung. Wenn eine ferne Epoche zu Gast in der Jetzt-Zeit ist (und das jüngere, durchaus vorhandene Band-Werk der Gegenwart ignoriert wird, was bezeichnenderweise niemanden störte), geht es auch um das Überdauern aller Zeiten. Dieses sehr gut eingespielte, diesmal soundtechnisch – das war ja 2022 nicht so – nicht wirklich im Stich gelassene Kollektiv aus Musikern, die 2024er-Version der Langzeitunternehmung Simple Minds, ist gut gealtert. Spötter mögen die Band immer als U2 für Arme bezeichnet haben. Hat ja dennoch immer gereicht. Es gibt sie heute immer noch.
Dank ihrer, sagen wir es frei heraus, nicht zwangsläufig biederen Erwachsenenmusik, die nicht dem Zeitgeist hinterherrennt, warum sollte sie – vielleicht hat sich die eine oder der andere im Hamburger Publikum wieder sehr jung gefühlt. Dafür ist der Pop unter anderem ja auch da.