Hamburg. Hamburgs neuer Polizeipräsident über die Hilfe für Betroffene, Kooperationen mit Kliniken, den Datenschutz und Gewalt gegen Polizisten.

Vielen gilt sie als Prügelknabe, als ungeliebte Institution, an der sich sinkende Frustrationstoleranz und fehlende Impulskontrolle abladen: die Polizei. Ein gutes Jahr lang hat das Abendblatt eine Dienstgruppe des Kommissariats in Rahlstedt bei ihrer Arbeit begleitet. Was sich herausstellte: Das größte Problem, mit dem sich die Frauen und Männer in den Streifenwagen herumschlagen müssen, ist die steigende Zahl psychisch gestörter oder instabiler Menschen, deren Verhalten in Ausnahmesituationen kaum steuerbar ist – mit erheblichen Risiken für alle, die mit ihnen zu tun haben, Polizisten wie Rettungskräften. Was Falk Schnabel, der neue Hamburger Polizeipräsident, hier plant:

Wo wollen Sie 2024 als Hamburger Polizei einen Schwerpunkt setzen?

Wir stellen fest, dass die Kolleginnen und Kollegen im Einsatz zunehmend auch mit Menschen zu tun haben, die suchtkrank oder psychisch auffällig und damit in ihrem Verhalten weniger berechenbar sind. Diese Menschen brauchen oftmals Hilfe, ohne dass das in der konkreten Einsatzsituation klar ist. Wir als Polizei müssen es schaffen, uns besser auf sie einzustellen. Ein Beispiel, das mir als Staatsanwalt einmal begegnet ist: Ein Mensch, der aufgrund einer psychischen Störung meint, die Polizei verfolge ihn oder trachte ihm gar nach dem Leben, reagiert womöglich auf unsere Kräfte schnell gewalttätig, was dazu führt, dass auch wir Zwang anwenden müssen. Mehr Wissen um solche Störungen kann helfen, Situationen zu deeskalieren und gewaltfrei zu lösen.

Neuer Polizeipräsident: Besser mit Klinikbereich vernetzen

Und was heißt das konkret?

In den vier Jahren, in denen ich im NRW-Gesundheitsministerium für psychiatrische Kliniken zuständig war, habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Personengruppe, die aufgrund von Suchtkrankheiten oder psychischen Störungen fremdgefährdend sein kann, nicht klein ist. Oftmals werden diese Menschen dann vorübergehend zwangsweise in einer Klinik untergebracht und in rund einem Drittel der Fälle schon nach zwei oder drei Tagen wieder entlassen. In diesem Zeitraum kann man oft nur die akute Gefährdung abmildern. Meine Kolleginnen und Kollegen sind nicht selten die ersten, die durch neue Einsatzanlässe mitbekommen, dass eine krankheitsbedingte Fremdgefährlichkeit wieder eingetreten ist und die Person therapeutische Hilfe braucht. Ich glaube daher, dass wir uns besser mit dem Klinikbereich vernetzen sollten. Eine Herausforderung ist dabei der Datenschutz. Es gibt gute Gründe, dass die Polizei nur in Ausnahmefällen Gesundheitsdaten kennen darf. Allerdings können wir nur eingeschränkt passgenau reagieren und Eskalationen vermeiden, wenn wir wenig über die Person wissen.

Schweben Ihnen regelmäßige Fallkonferenzen vor?

Sinnvoll wäre, dass wir als Polizei nicht nur immer wieder eine unmittelbare Gefahr abwehren, sondern mit einbezogen werden in das vorhandene Netz von Hilfe und Unterstützung für diesen Personenkreis. In einigen tragischen Fällen gab es vor einer Tat bereits Hinweise durch mehrfache Unterbringungen in der Psychiatrie, dass eine Person wieder gewalttätig werden könnte. Solche Hinweise müssen, selbstverständlich unter Wahrung des Datenschutzes, auch bei der Polizei bekannt sein.

Neuer Polizeipräsident: Kompetenzzentrum für Risikobewertung wird im LKA aufgebaut

Aber wie kann das funktionieren?

Ich wünsche mir, dass Polizei und Gesundheitsbereich eine Form der Zusammenarbeit finden, um gemeinsam zu entscheiden, was präventiv nötig ist, um es gar nicht erst zu Gewalttaten kommen zu lassen. Wir bauen im LKA gerade das Kompetenzzentrum für Risikobewertung auf. Damit reagieren wir unter anderem auf den Amoklauf bei den Zeugen Jehovas. Wir wollen als Polizei mit der Unterstützung unserer Psychologinnen und Psychologen eine eigene Expertise entwickeln, um in der Lage zu sein, im Vorfeld für Menschen, die fremdgefährdend sein können, individuell die richtigen polizeilichen Maßnahmen vorzusehen. Ich glaube, es ist einleuchtend, dass dies bei Gefährdern aus dem extremistischen Bereich ganz anders sein dürfte als bei Menschen mit einer psychischen Störung.

Die Zahl der Straftaten und der Gewalt gegen Polizisten steigt seit Jahren an. In Düsseldorf hatten Sie als Chef der Staatsanwaltschaft ein Sonderdezernat für diese Fälle gegründet, um die Kompetenzen zu bündeln. Was planen Sie in Hamburg, um Polizisten und Polizistinnen im Einsatz zu schützen?

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Es gibt wenige Sachen, die mich auf die Palme bringen, aber Gewalt gegen Einsatzkräfte gehört auf jeden Fall dazu. Das ist nicht tolerabel, und ich finde es erschütternd, dass die Zahlen ansteigen. Mangelnder Respekt für unsere Kolleginnen und Kollegen ist eine Sache, aber sie körperlich anzugreifen ist eine Dimension, wo es für mich keine rechtliche Toleranz geben darf. Die Gesetze sind in den vergangenen Jahren verschärft worden. Damit verbunden war die Erwartung, dass das zu einem stärkeren Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen führt. Leider hat die Gesetzesänderung allein noch nicht die erwünschte Wirkung gezeigt, wie die Statistik beweist. Mein Wunsch ist, dass die verschärften Strafrahmen in der Praxis auch ausgeschöpft werden.