Hamburg. Die Regierungen kamen zur falschen Zeit: die Große Koalition in den Boomjahren, die Ampel in der Krise.
Ein Satz geht mir nicht aus dem Kopf. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte FDP-Chef Christian Lindner im November 2017, als die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis gescheitert waren. Das war damals bedauerlich, aber nicht unverständlich. Die Positionen von Union, Grünen und FDP lagen weit auseinander, es fehlte am Ende das Vertrauen in die Partner, aber auch ein wenig in sich selbst: Die Liberalen waren erst 2017 in einer der seltenen politischen Reanimationen wiederauferstanden und in den Bundestag zurückgekehrt.
Realisiert wurde nicht das Notwendige, sondern das Wünschenswerte
Nach dem Ende von Jamaika kam eine Große Koalition, die dritte in diesem Jahrtausend. Hinterher ist man immer klüger, aber so viel steht fest: Sie hat das Land nicht vorangebracht, ganz im Gegenteil. Eine mutlose Kanzlerin musste Union und Sozialdemokraten zusammenhalten, die nicht nur am anderen, sondern auch an sich selbst zweifelten. Die inhaltlichen Gräben wurde mit Geld zugeschüttet; realisiert wurde nicht das Notwendige, sondern das Wünschenswerte.
Großzügigkeiten wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente waren wichtiger als die Weichenstellung im Klimaschutz. Die ewige Kanzlerin stand sich am Ende vielleicht selbst im Weg. Ole von Beust beschrieb den Fluch langer Amtszeiten im Abendblatt kürzlich so: „Man wird am Ende immer mutloser. Auf der einen Seite hängt man an dem Amt, weil es das Leben bestimmt. Auf der anderen Seite schwindet der Mut, neue Dinge anzupacken, weil man immer auf Widerstand trifft. Neue Besen kehren gut, alte Besen stehen nur noch an der Wand.“
Jamaika hätte noch den Rückenwind der Goldenen Ära gespürt
Keiner weiß, ob ein Jamaika-Bündnis es besser hinbekommen hätte – aber viel schlechter hätte es eine Koalition aus Union, FDP und Grünen sicherlich nicht gemacht. Sie hätte zumindest zu Beginn ihrer Amtszeit noch den Rückenwind der goldenen Ära der deutschen Wirtschaft gespürt – die Steuereinnahmen stiegen schneller, als sie zu verteilen waren. Es gab Raum, Zeit und Ressourcen für den Umbau der Volkswirtschaft. Und der grüne Eifer bei Energie-, Wärme- und Verkehrswende wäre wohl in marktwirtschaftlichere Bahnen gelenkt worden. Es hat nicht sollen sein.
Vier Jahre später musste Lindner das Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen wagen, das ihm eigentlich fremd ist – und das allem Zauber um den Anfangszauber zum Trotz wenig belastbare Fundamente hat. So kam es zu Reformen, die irgendwo im Parteiprogramm standen, aber die kein Mensch bei klarem Verstand benötigt, wie etwa die Freigabe von Cannabis.
Diese Ampel gleicht weniger einer Koalition als einer „Mission Impossible“
Bei den wirklich großen Reformen aber scheitern die drei Parteien nicht nur an ihren Gegensätzen, sondern den Umständen. Politik in Zeiten des Krieges, der Inflation und der Wirtschaftskrise ist schon für Regierungen mit absoluter Mehrheit komplex, für Koalitionen extrem schwierig und für Dreierkonstellationen eigentlich unmöglich. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass angesichts von Raum, Zeit und Ressourcen diese Ampel weniger ein Bündnis als vielmehr eine „Mission Impossible“ ist.
Deutschland hat sich also einen doppelten Fehler geleistet – oder müsste es heißen, die Wähler haben sich gleich mehrfach hintereinander verwählt? In den fetten Zeiten regierten eine Große Koalition ambitionslos, in den mageren Jahren scheitert nun das Dreierbündnis an seinen Ambitionen. Was verbindet die SPD, die Grünen und die FDP derzeit am stärksten? Wohl nur die Angst vor einer Niederlage, alle drei Parteien liegen unter ihren Wahlergebnissen von 2021. Ob dieser Kitt für zwei weitere Jahre ausreicht?
Angesichts der Herausforderungen wäre jetzt eine Große Koalition wohl die bessere Wahl
Nachträglich kann man die verlorenen Jahre der Großen Koalition nicht mehr zurückgewinnen. Aber für die Zukunft stellt sich die Frage, ob angesichts der dramatischen Herausforderungen, vor denen dieses Land steht, nicht eine Große Koalition aus der Mitte der Gesellschaft heraus die bessere und stärkere Variante wäre.
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Olaf Scholz’ Angebot eines Deutschlandpaktes, um das Land zu modernisieren und zurück in die Spur zu bringen, ging in diese Richtung – ebenso wie die Erinnerung der CDU an den Asylkompromiss, den SPD, Union und FDP zur Linderung der Zuwanderungskrise 1993 schlossen. Jetzt geht es nicht mehr ums Verteilen, sondern ums Anpacken.
Vielleicht wäre es für alle eine Chance, wenn sich Christian Lindner seiner Worte erinnerte: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“