Hamburg. Diesmal besser regieren als nicht regieren – aber mit wem? Schwierigkeit wird für FDP darin bestehen, die eigene Stellung zu festigen.
Die Verhältnisse wenige Monate vor der Bundestagswahl sind geklärt: Das Spiel alle gegen einen hat begonnen. Ausgerechnet die CDU/CSU steht nach 16 Jahren Angela Merkel isoliert da, sieht sich von allen anderen Parteien attackiert und einer Bevölkerung gegenüber, in der Demoskopen eine ausgeprägte Wechselstimmung wahrnehmen. Armin Laschet wird auf die Frage, mit wem man denn nach der Wahl ein Bündnis eingehen könnte, wie jeder Spitzenkandidat und jede Spitzenkandidatin immer antworten, dass man zunächst für ein „gutes Ergebnis der eigenen Partei“ kämpfe.
Nur dürfte das diesmal eben nicht reichen, weil die CDU/CSU weit von ihrem früheren Ziel, 35 Prozent plus x, entfernt ist. Mehr noch: Die schwindende Aussicht auf Schwarz-Grün wird der Union bei der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern genauso schaden, wie die guten Werte für eine Ampel den Grünen und der SPD nutzen. Denn dass die beiden Parteien, wenn überhaupt, nur mithilfe der Linken an die Regierung kommen könnten, stimmt nicht mehr. Im Gegenteil: Die Variante mit der FDP ist rechnerisch die wahrscheinlichere und für viele Wähler attraktivere.
Christian freut sich – und hat trotzdem ein Problem
Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass Christian Lindner darum fürchten musste, mit seinen Liberalen den Wiedereinzug in den Bundestag zu verpassen, die fünf Prozent waren gefährlich nah. Das ist heute völlig anders. Die FDP profitiert von ihrer Rolle als der Partei, die trotz des Virus die Freiheits- und Grundrechte nicht vergisst. Wahlforscher sagen wieder zweistellige Werte für die FDP voraus, die plötzlich knapp hinter der SPD liegt.
Und Christian Lindner? Der freut sich – und hat trotzdem ein Problem. Schon jetzt kann man mit großer Sicherheit sagen, dass es nach der Wahl keinen neuen Versuch geben dürfte, eine Jamaika-Koalition im Bund zu bilden. CDU/CSU und Grüne brauchen die FDP dazu nach allen Umfragen schlicht nicht mehr, Schwarz-Grün hätte immer eine eigene Mehrheit. Heißt für Lindner: Er muss sich umorientieren, wenn er seine Partei nach dem legendären „Besser nicht regieren, als falsch zu regieren“ vor vier Jahren diesmal in Regierungsverantwortung führen will.
Diese Wahl könnte mehr als nur ein personeller Neuanfang werden
Möglich ist das durchaus, allerdings nur mit dem Lieblingsgegner der FDP, den Grünen, und mit der SPD: Die Ampel-Konstellation käme aktuell auf eine ordentliche Mehrheit, die für alle Beteiligten Verlockungen mit sich bringt. Die Grünen würden mit Annalena Baerbock erstmals die Bundeskanzlerin stellen, die SPD könnte die CDU/CSU aus der Regierung drängen – und die FDP dürfte endlich wieder mitentscheiden. Diese Möglichkeit ein weiteres Mal verfallen zu lassen, schließt sich aus, weil Lindner und Co. dann massiv an Glaubwürdigkeit verlieren würden: Wer wählt schon eine Partei, die vorgibt, etwas im Land verändern zu wollen, die Chance dazu aber zweimal ungenutzt lässt?
Die Schwierigkeit wird für die FDP darin bestehen, die eigene Stellung zu festigen, ohne sich zu stark von den möglichen Partnern Grüne und SPD abzusetzen, mit denen man nach wie vor weniger inhaltliche Übereinstimmungen hat, Stichwort: Steuererhöhungen. Wie stark sich Angela Merkels endgültiger Abschied auf die Zustimmungswerte für die Unions-Parteien auswirken wird, wird man endgültig erst im September sehen. Dass Grüne und FDP die CDU/CSU schon heute nicht mehr brauchen, um eine Regierung zu bilden, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Wahl mehr als nur ein personeller Neuanfang werden könnte.