Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister zog sich aus der Politik weitgehend zurück. Womit er sich beschäftigt und wie er über seine Amtszeit denkt.
Der erste Blick hinter der Wohnungstür fällt auf Onkel Dagobert. Hüfthoch steht der steinreiche Erpel aus der Comicwelt Entenhausens im Flur. „Ein Geschenk von Freunden zu meinem 30. Geburtstag“, sagt Ole von Beust nach der Begrüßung. 36 Jahre ist das her. Das Bücherregal daneben dokumentiert, dass Hamburgs ehemaligem Bürgermeister das Kind im Manne nicht verloren ging: Hunderte Donald-Bücher sind dort gelagert. Das Abonnement bringt regelmäßig Freude, seit gut 30 Jahren.
Und was machen Sie sonst so, Herr von Beust? Dass der Jurist, CDU-Politiker und Wirtschaftsberater eine Menge Neues zu berichten hat, würzen die folgenden Stunden. Der 66-jährige Hanseat ist dabei, sein Berufsleben neu zu justieren. Privat bleibt das Fundament stabil. Mit Lukas ist er im zwölften Jahr zusammen, seit 2013 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit dem Vorjahr verheiratet. Die in einem Hotel an der Ostsee gebuchte Hochzeitsfeier fiel pandemiebedingt ins Wasser.
Von Beust ist allerbester Dinge, setzt einen Kaffee auf, freut sich über das traumhafte Wetter. Nach dem Gespräch in seiner Wohnung und einem anschließenden Alsterspaziergang will er Richtung Wohnung in Westerland aufbrechen. Ein gutes Gefühl sei es, Herr seiner Zeitplanung und Entscheidungen zu sein.
Trotz Staatspension: Ole von Beust mutet sich noch viel Arbeit zu
Die gediegene Altbauwohnung mit gutbürgerlichem Flair ist lichtdurchflutet. Der Balkon im zweiten Stockwerk wirkt wie eine Oase der Ruhe inmitten von Harvestehude. Bei passenden Temperaturen pflegt von Beust dort zu sitzen, einen Kriminalroman zu schmökern – oder schlicht zu sinnieren. Hier lässt sich’s leben. Seit seinem 65. Geburtstag im April 2020 bezieht der Erste Bürgermeister a. D. Senatspension. Das beruhigt, reicht jedoch nicht aus, um die drei Wohnungen in Hamburg, Berlin sowie auf Sylt zu finanzieren. 23 frühere Jahre als Bürgerschaftsabgeordneter hätten keine staatlichen Altersbezüge gebracht. Auch das hat sich heute geändert. Anders formuliert: Von Beust muss arbeiten. Viel wichtiger für ihn: Er will es. Aber nach seinem Gusto.
Der Reihe nach. Die Zahl selbst bedeutet ihm ähnlich wenig wie der eigene Geburtstag an sich; indes kann man mit 66 Jahren durchaus eine Zwischenbilanz ziehen. Ole von Beust hat Anteile seiner Beratungsfirma verkauft und ist neuerdings in einem Immobilienunternehmen aktiv. Außerdem wird die alte Liebe zu seiner Geburtsstadt Hamburg aktuell neu befeuert. Dazu trägt die vor eineinhalb Jahren bezogene Wohnung nahe dem Klosterstern bei. Zuvor hatte der Jurist drei Jahrzehnte in Rotherbaum gelebt, nicht weit entfernt vom Rechtshaus der Universität.
Ole von Beust bittet an einen großen Tisch aus massivem Holz. Dieser ist zentrales Stück einer gelungenen Kombination aus Esszimmer, Küche und Wohnzimmer. In einer Vase befindet sich ein opulenter Tulpenstrauß. Ein Geschenk seiner Vermieterin. Neben der – nicht nur mit Walt Disneys Werken ausgestatteten – Bücherwand führt eine massiv gebaute Holztreppe ins Dachgeschoss. Der Schreibtisch an der Fensterfront ist ein Erbstück. Die Einrichtung ist modern und gediegen. Plüsch und Pomp sind Fehlanzeige. Wir einigen uns, die Themen Stellenwert der Stadt Hamburg, hanseatischer Geist und das Privatleben am Ende zu besprechen. Die ersten Tagesordnungspunkte sollen Beruf und Politik sein.
Käfer mit Faltdach und ein Job für „rüstige Rentner“
Seinen CDU-Ausweis mit Ausstellungsdatum 1. Mai 1971 hat von Beust flugs parat. Ein halbes Jahrhundert ist das nun her. Im Sauseschritt sind sie vergangen, die Jahrzehnte. „Manches erscheint wie vor einer Ewigkeit“, sagt von Beust, „anderes, als wäre es gerade eben passiert.“ Unvergessen, als der Chef der Hamburger Schüler-Union Anfang der 1970er-Jahre mit seinem hellblauen VW Käfer mit Station in Bremen zu Tagungen in die damalige Hauptstadt Bonn fuhr. Gefüllte Pfannkuchen waren damals groß in Mode. Und in der Studentenpinte „Uhr“ verlötete die lebensfrohe Jungpolitikerrunde abends schon mal ‚nen Lütten‘.
Sein erstes Auto, schwelgt er weiter in schönen Erinnerungen, war ebenfalls einer dieser knuffigen Volkswagen. HH-PK 205, das blieb haften, auch hellblau, mit Faltdach. 500 D-Mark kostete das Fahrzeug seinerzeit. Verdient durch einen Schülerjob bei einer Fotogroßhandlung in Lemsahl. Der junge Ole bewarb sich auf eine Anzeige: „Rüstiger Rentner gesucht.“ Fünf Mark die Stunde wurde für das Eintüten von Werbepost bezahlt. Heutzutage kurvt von Beust mit einem Smart durch die Stadt. Ins Büro fährt er mit der U 1. Und nach Berlin verkehrt er mit einer Bahncard First. Praktisch und günstig; diese Melange weiß er grundsätzlich zu schätzen.
Nach Abi und Auszug aus dem Elternhaus in Wohldorf-Ohlstedt hatte er bisher vier Wohnsitze: Studentenwohnung in Eilbek, als Referendar Deichstraße, anschließend Rotherbaum und neuerdings Harvestehude. Nach wie vor ist der CDU-Ortsverband Volksdorf seine politische Heimat. Zwar gab es Wahlkampfeinsätze für die Union; eine klassische Parteiversammlung jedoch hat von Beust seit seinem Rücktritt als Erster Bürgermeister im August 2010 nicht mehr besucht. Diese Ära ist passé. Die innere Anhänglichkeit blieb.
Und zu welchem früheren Mitstreiter bestehen noch besondere Kontakte, Herr von Beust? Einer der besten Freunde ist sein früherer Mitschüler Stefan Schulz, aktuell Präsident des Hamburger Rechnungshofs. Längst normalisiert hat sich nach vorübergehendem Hader der Draht zum ehemaligen Justizsenator Roger Kusch. Beide kennen sich aus der Studentenzeit.
Regelmäßig spricht von Beust mit seinem früheren Finanzsenator Wolfgang Peiner sowie dem Ex-Senatskanzleichef Volkmar Schön. Und mit der grünen Koalitionspartnerin und Zweiten Bürgermeisterin Christa Goetsch steht einmal jährlich ein Abendessen auf dem Programm. Was ist mit Ronald Schill, dem Enfant terrible vergangener Tage? Seit 2004 nicht mehr gesehen, weder in natura noch im Fernsehen. „Die CDU bewegt mich durchaus“, sagt Ole von Beust. Mit Hamburgs neuem CDU-Vorsitzenden Christoph Ploß telefoniere er hin und wieder, wolle sich jedoch nicht ins politische Tagesgeschäft einmischen.
Und was verbinde ihn mit Armin Laschet, dem Kanzlerkandidaten seiner Partei? „Er wird in der öffentlichen Berichterstattung unter Wert gehandelt“, findet der prinzipiell liberal denkende Christdemokrat von Beust. Laschet mit Karneval in Verbindung zu bringen, sei „absolut dummes Zeug“. Er habe den damaligen Integrationsminister Nordrhein-Westfalens als äußerst zugänglichen, unprätentiösen, angenehmen Politiker wie Menschen kennengelernt. „Ich traue Armin Laschet eine Menge zu“, meint von Beust. Kaum einer habe sich den Provinzler Helmut Kohl einst als Nachfolger des Weltmanns Helmut Schmidt vorstellen können. Und wer hätte gedacht, dass die anfangs unscheinbare Angela Merkel den robusten Gerhard Schröder mehr als nur ersetzen könne?
Ausstieg aus der im Alleingang gegründeten Beratungsfirma
Mit einigen früheren Kollegen wie Roland Koch, Günther Oettinger und Ronald Pofalla hegt Ole von Beust sporadische Beziehungen. An Treffen real existierender Zirkel altgedienter Ministerpräsidenten und anderer Granden nehme er nicht teil. „Ich war nie ein Freund von Seilschaften“, sagt er, „und von jeher mehr Einzelkämpfer.“ Er habe sich niemals durch das Amt oder den Beruf definiert. Entsprechend seien weder das eine noch das andere zum Lebensinhalt geworden: „Daher bin ich auch nie in ein Loch gefallen.“
Den Abschied aus der großen Politik hat von Beust daher als Erleichterung empfunden. Motto: „Alles hat seine Zeit.“ Als Ole von Beust vor 38 Jahren sein Studium mit dem Zweiten Staatsexamen abschloss, wurde er Rechtsanwalt. In diesem Beruf arbeitete er zehn Jahre. Zwei Jahre in Diensten der Unternehmensberatung Roland Berger folgte die Gründung einer eigenen Beratungsfirma: von Beust & Collegen. Später gesellten sich weitere Gesellschafter dazu, zum Beispiel der frühere Staatsrat Nikolas Hill. Was Ole von Beust in Alleinregie ins Leben rief, umfasst heute 27 Mitarbeiter und Büros am Neuen Wall, in der Friedrichstraße in Berlin sowie in Brüssel. Ende des vergangenen Jahres schied der Gründer aus der Geschäftsführung seiner Firma aus. Es war ein bewusst gesetzter Schlussstrich – ein halbes Jahr nach seinem 65. Geburtstag. Zwar hätte ihm die Pension aus der Bürgermeisterära bereits ein Jahrzehnt davor zugestanden, doch entfielen die Bezüge wegen seiner reellen Verdienste als Privatunternehmer. Der von ihm gegründeten Firma bleibt er als Berater treu. „Ich neige dazu, immer irgendwann loszulassen“, sagt er.
Bei diesen Worten stellt er frischen Kaffee auf den Tisch – und beginnt zu rechnen. Sein Leben sei in Zyklen eingeteilt, sinniert von Beust. Jeweils rund ein Jahrzehnt als Rechtsanwalt, als Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, als Erster Bürgermeister sowie als Chef der eigenen Beratungsgesellschaft. Das Maß dieser vier Perioden hätte sich zufällig ergeben. Die Zeit war jeweils reif. Grundsätzlich sei er mit eigenem Willen gegangen – und mit gut aufgeräumtem Schreibtisch.
Wie sah eine solche Beratungstätigkeit eigentlich aus, Herr von Beust? „Wir bieten nationalen und internationalen Unternehmen und Verbänden Unterstützung in Strategie-, Wirtschafts- und Kommunikationsfragen“, antwortet er. „Und übersetzen die Interessen der Wirtschaft für die Politik.“ Mit dem Begriff „Lobby“ habe er keinerlei Berührungsprobleme. Es handele sich um eine „gehobene Lobbyarbeit“.
Nichts sei schmierig, alles „transparent und anständig“. Nach dem Ausstieg bei von Beust & Coll. habe er Anteile der Lauenburgischen Treuhandgesellschaft in Mölln erworben. Er wolle Projektentwicklungen mit unterstützen. „Immens interessant“, sagt er. Zudem ist der Jurist Gesellschafter des Hanselicht Kontors, einer Firma für Lichtplanungen und LED-Beleuchtungskonzepte. Alt oder gar abgenutzt fühle er sich überhaupt nicht. Auch wenn die Rasanz der Entwicklung verblüfft. „Früher sangen wir Lieder über 66 Jahre alte Säcke“, stellt er schmunzelnd fest, „und nun ist man selbst einer.“
Was als Bürgermeister gut lief – und was eher nicht
Die neunjährige Ära als Erster Bürgermeister seiner Heimatstadt liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück. „Rückblickend bin ich überzeugt: Es waren gute Jahre“, meint von Beust.
Sichtbare Zeichen seien die Neugestaltung von Spielbudenplatz und Jungfernstieg, der Aufbau der HafenCity, die Elbpromenade, aber auch die Einführung von Business Improvement Districts (BIDs). Auf diese Art tragen Grundeigentümer und Gewerbetreibende gemeinsam zur Verbesserung vor Ort bei. Besonders wichtig sei dem CDU-Politiker zudem die Integration von Menschen mit Zuwanderungshintergrund. Stichworte: verpflichtende Deutschtests sowie gezielter Unterricht vor der Einschulung.
Und was ist mit den heftig kritisierten Verkäufen der staatlichen Krankenhäuser und lukrativer Immobilien aus städtischem Besitz? „Ich stehe zum Verkauf der Krankenhäuser“, entgegnet von Beust. „Sie hatten in Zeiten knappster Kassen ein jährliches Defizit von rund 100 Millionen Euro und einen Investitionsstau von mehr als zwei Milliarden Euro.“ Während vor Corona Steuern üppig sprudelten und Zinsen für Schulden fast null betrugen, sei die Situation seinerzeit problematischer gewesen. Um trotz eines jährlichen Defizits von einer Milliarde Euro und höherer Zinsen in die Zukunft investieren zu können, wurde Stadtvermögen verkauft.
Was hätte im Rückblick besser gemacht werden können? „Wir und ich haben das knapper werdende Angebot an Wohnungen viel zu spät erkannt und zu spät reagiert“, sagt Ole von Beust. „Das hat Bürgermeister Olaf Scholz gut korrigiert.“ Außerdem hätte von Beust Tempo und Vorgehen bei der Schulreform im Nachhinein anders angepackt: „Das Ziel war richtig, der Weg war falsch.“ Man hätte flexibler sein müssen. Heutzutage schaue er entspannt auf seine drei Amtszeiten zurück. Seinen Entschluss, letztlich freiwillig auf die Bremse zu treten, habe er intuitiv gefällt – quasi aus dem Bauch heraus.
Apropos Bauchgefühl. Nach dem Rückzug aus der Geschäftsführung seiner Beratungsfirma muss Ole von Beust nur noch selten zu Terminen in die Hauptstadt reisen. Hat der Wohnungs-Spagat zwischen Hamburg und Berlin ein Ende? Seit 2003 hat das Paar einen Zweitwohnsitz in einer Dachwohnung am Spittelmarkt in Berlin-Mitte. Dabei handelt es sich um einen alten, grundsanierten Plattenbau aus DDR-Bausubstanz, rund 200 Meter Luftlinie von der früheren Mauer entfernt. Zum Gendarmenmarkt, einem seiner Lieblingsplätze in der Metropole, sind es zu Fuß rund sieben Minuten.
Die Renaissance einer alten Liebe zu Hamburg
Ohnehin gut in Form, kommt Ole von Beust bei diesem Stichwort zusätzlich in Schwung. „Ich bin Hamburgischer, als ich dachte“, stellt er fest. Mit der Erfahrung von nunmehr 66 Lebensjahren. Nichts gegen das quirlige, spannende und an fast jeder Ecke andere Berlin – Hamburgs Pluspunkte jedoch würden bei reiflicher Betrachtung für ihn schwerer ins Gewicht fallen. Die Hauptstadt sei durch die neuere deutsche Geschichte mehr denn je eine internationale Metropole von Weltgeltung. Allerdings, fügt von Beust hinzu, produziere Berlin auch „hochtourigen Leerlauf“. Eine Menge Tamtam, lange Wege, eine aufgeregte Art.
In letzter Zeit sei er selten in Berlin gewesen. Die Sympathie zur Stadt und zu den Menschen bestehe unverändert. „Hamburg aber ist meine alte Liebe“, sagt er. „Hier bin ich to huus.“ Bei diesen Worten summt von Beust einen alten Klassiker von Hans Albers. Ole Freiherr von Beust, so steht der Name im Ausweis, bezeichnet sich als „norddeutsches Gewächs“. Sein Vater stammt aus Lübeck, die Mutter aus Lübtheen, Kreis Hagenow, in Mecklenburg. Man habe „Blei im Mors“, hieß es dort von jeher. Vornehm übersetzt heißt das, vom Naturell her sesshaft zu sein. „Ich spüre eine starke Gefühlsbindung zu Hamburg und dem Norden“, formuliert von Beust. Ein Bruder lebt in Glücksburg in Schleswig-Holstein, der andere in Kärnten. Die Kontakte sind eng.
In diesem Moment trifft auf seinem Handy eine Nachricht seines Ehemannes Lukas ein. Ein kurzer, spontaner Fotogruß aus Berlin. Im Sommer wollen die beiden mehr Zeit auf der Dachterrasse am Spittelmarkt verbringen. Sie ist 120 Quadratmeter groß, inklusive Flieder, Schilf, Ahorn, Weinreben, Liegestühlen und Grill. Es ist eine Idylle inmitten der Metropole. Gepflanzt haben Profis, gegossen wird selbst. „Ich hätte früher nicht gedacht, eines Tages mal so viel Freude am Grün zu haben“, meint von Beust.
Passende Zwischenfrage: Wäre eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl eine Option? So wie bei ihm damals im Rathaus? „Gehen würde es“, antwortet er. Wenn sich alle bewegen. Armin Laschet, wie gesagt, traut er eine Menge zu. Zum Herausforderer Olaf Scholz hat von Beust, ebenso wie zu dessen Nachfolger Peter Tschentscher, keine Kontakte, die über offizielle Termine hinausgehen.
„Mich zieht es wieder mehr nach Hamburg“, sagt Ole von Beust. Im kommenden Jahr wird Lukas sein Studium in Berlin abschließen und als Assistenzarzt beruflich in Hamburg Fuß fassen, gleichfalls seine Geburtsstadt. Die Rückbesinnung auf die Vorteile Hamburgs ist eine persönliche Renaissance. „Die Schönheit unserer Stadt“, erkennt von Beust, „kommt mir immer dann besonders markant vor, wenn ich zurückkomme.“ Im internationalen Vergleich sei die Hansestadt zwar nicht der Nabel der Welt. Allerdings sei die „engagierte Heimatverbundenheit“ herausragend: „Die Hamburger wollen, dass ihre Stadt so schön bleibt.“ Dafür unternehmen sie eine Menge. Aus seiner Sicht sei Hamburg nicht mehr statisch, so wie früher, sondern befinde sich permanent im Wandel.
Hanseaten-Klüngel ärgert ihn noch immer etwas
Doch schlägt von Beust an diesem Vormittag auch kritische Töne an. Er meint, dass sich nicht nur die Stadt, sondern auch der hanseatische Geist verändert habe. Wenn damit Tugenden wie Zurückhaltung, Bescheidenheit und der Wesenszug „Mehr Sein als Schein“ gemeint sind, entspricht dies der norddeutschen Seele. Allerdings gab es früher einen geschlossenen Kosmos, in der Traditionen sinnstiftend waren. In der heutzutage globalisierten Welt dagegen stürme so viel auf die Hamburger ein, „dass jeder den Sinn selbst suchen muss“. Konsequenz: „Formale Abläufe verlieren an Bedeutung.“ Anders gesagt: Oft wird zu viel Wert auf Fassade gelegt. Wenn es um Geschäfte geht, präsentieren sich die Pfeffersäcke nicht anders als Geschäftsleute in Berlin, München oder Düsseldorf. Oft übertünche eine vornehme Attitüde das merkantile Ziel. Es herrsche eine gewisse Selbstzufriedenheit.
Wer will und finanziell gut ausgestattet ist, kann in Hamburg behütet wohnen, ohne jemals mit den Niederungen des Lebens konfrontiert zu werden. Das sei schon eine Scheinidylle. „Wenn diese mit Demut und Hilfsbereitschaft verbunden ist, geht das ja in Ordnung“, sagt er. „Aber die Grenze zum Hochmut, sich und seinen Wohlstand als selbstverständlich zu empfinden, sollte man nicht als hanseatisch tarnen.“
Wer Ole von Beust kennt, weiß um seine Bodenhaftung. In mittlerweile 50 Partei- und fast 40 Berufsjahren hat er viele Leute kommen und gehen sehen. Wer aus einem politischen Amt, einer Firmenposition oder einem Titel Lebenselixier beziehe, könne anschließend tief plumpsen. Der Verlust an Bedeutung treffe manchen zuvor Wichtigen im Mark. Weggefährten beschreiben von Beust als kampferprobtes, instinktsicheres Schlachtross, das seiner Linie stets treu blieb. Er habe das traditionelle Credo des altmärkischen Adelsgeschlechts der Beusts beherzigt: Nihil admirari. Bewundere nichts. Mit diesem Prinzip sei er prima gefahren. Außerdem bleiben einem mit dieser Einstellung Enttäuschungen erspart.
Ein Partylöwe war Ole von Beust nie. Statt ausschweifender Lebensführung konnte er sich damals wie heute über die kleinen Dinge freuen. Kaum ein anderer verstand es so meisterhaft wie der Erste Bürgermeister von Beust, bei einer gesellschaftlichen Versammlung aufzumarschieren, reichlich Hände zu schütteln und sich dann diskret vom Acker zu machen. Wenn andere sich noch Small-Talk widmeten und Drinks kreisen ließen, saß von Beust längst zu Hause. Ein Wochenende ohne jede Verpflichtung, mit Spaziergängen (gerne mit Fischbrötchen auf die Hand am Elbstrand in Blankenese), Bücherlektüre oder Müßiggang veredelt, bringt ihm Zufriedenheit. Sieht man vom Faible für Onkel Dagobert, dessen Neffen und alles Entenartige ab, hat der 66-Jährige keine klassischen Hobbys. „Mein Hobby war immer Politik“, sagt er selbst, „und daraus wurde später mein Beruf.“ Da er zudem Sport nur bedingt wertschätzt und das Gegenteil eines „Vereinsmeiers“ ist, muss er sich für die kommenden Jahre neue Freizeitbeschäftigungen suchen. Derzeit stellt sich die Frage nicht. Alte Freunde beschreiben Ole von Beust als Menschen, der bei aller Nachdenklichkeit von einer positiven Lebenseinstellung beflügelt wird. Ein deutscher Kanon aus dem 19. Jahrhundert passe prima: „Froh zu sein bedarf es wenig ...“.
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Mit einem Hang zur Sparsamkeit aufgewachsen, weiß der Rechtsanwalt den Wert verdienten Geldes zu schätzen. Früher freute er sich über Klamotten-Schnäppchen beim Discounter KIK. Statt Champagner trank er viel lieber Fassbier; statt Hummer und Langusten bevorzugt er Norddeutsches. Favorit heute ist asiatisches Essen, gerne Sushi. Aber es wird auch viel selbst gekocht. Augenblicklicher Favorit: Fisch-Fenchel-Gemüsetopf.
Kommilitonen erinnern sich, wie der junge Ole in seiner Eilbeker Studentenbutze eine schmackhafte Tomatensuppe zuzubereiten wusste. Der Clou: passierte Bananen und besondere Gewürze als Zutaten. Gekrönt wurde die „Spezialität à la Ole“ mit fein geschnittenen Bananenscheiben. Entdeckt hatte er die ungewöhnliche Komposition in einem brasilianischen Restaurant am Grindel. Heutzutage wird sie nur selten aufgetischt.
Das Zebra auf dem Schachbrett
Bei Erinnerungen wie diesen erhebt sich Ole von Beust vom Esstisch. Zeit für einen Alsterspaziergang. Anschließend will er sich auf den Weg Richtung Nordsee machen. Ein paar Tage Ruhe auf Sylt. Ganz alleine. Das Gefühl der Einsamkeit ist ihm unbekannt. Der Rucksack ist gepackt. Darin befinden sich Spargel, Kartoffeln und Schinken.
Auf einem Regal an der Wand stehen zwei Enten aus Holz. Eine trägt Gummistiefel. Das große, rechteckige Bild mit einem weißen Rahmen darüber entpuppt sich als Fernsehgerät. Die Technik ist so raffiniert, dass man Standfotos einblenden kann. Je nach Stimmungslage ergibt sich ein Bild.
Heute hat sich Ole von Beust für ein Zebra entschieden – in Harmonie zur Couch im Zebralook daneben. Zufall ist das nicht. Er mag dieses Tier. Wahrscheinlich liegt das an seiner Tante Lilli. An der Hamburger Kunsthochschule arbeitete sie einst als Sekretärin des Präsidenten. Von dort stammt ein Bild, das sie Ole vor vielen Jahren schenkte. Es zeigt ein gestreiftes Zebra auf einem karierten Schachbrett. Für Ole von Beust ist die Aussage klar. „Ich bin ich“, sagt er.