Hamburg. Logopädin Franziska Jessen behandelt Menschen nach Schlaganfällen und in der Geriatrie. Mit welchen Wörtern Betroffene üben sollten.

Logopäden helfen, wenn ein Kind lispelt oder über den spitzen Stein stolpert. Doch Franziska Jessen muss mehr tun, als einen vernünftigen Zungenschlag beizubringen. Ihre Patienten können gar nicht mehr reden oder nur noch Laute von sich geben – aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankung müssen sie das Sprechen wieder ganz neu lernen.

Franziska Jessen arbeitet als Logopädin am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf und ist dort vor allem auf der Schlaganfallstation, in der Geriatrie und auf der Intensivstation im Einsatz. Gerade nach einem Schlaganfall komme es häufiger vor, dass Betroffene ihre volle Sprache verlieren, sich nicht mehr richtig artikulieren können und Probleme mit dem Schlucken haben, so Jessen. Für diese Fälle gibt es verschiedene Therapiekonzepte, die gemeinsam mit dem Patienten individuell ausgearbeitet werden.

Krankenhaus Hamburg: Klinikhelden trainieren die Zungenkraft

Dazu gehören zu Beginn zum Beispiel Übungen für die Zungenkraft. „Wir üben, die Zunge rauszustrecken, sie nach rechts und links, nach oben und nach unten zu bewegen“, erklärt Jessen. „Dazu kann man noch einen Spatel rechts und links an die Zunge halten, gegen den die Patienten dann drücken müssen.“

Bei Patienten, die eine Mundastschwäche erlitten haben, also ein Teil des Gesichts gelähmt ist und ein Mundwinkel herunterhängt, helfen diverse Artikulationsübungen. „Wir üben mit Lauten wie dem i, bei dem die Lippen breit werden, und dem o, bei dem man die Lippen spitzt“, sagt Jessen. „Dieses Training hilft, um wieder mehr Deutlichkeit beim Sprechen zu bekommen.“

Dafür eigneten sich dann Wörter wie „Olive“ oder „Violine“. Von den ersten Lauten übertrage es sich meist schnell auf die weiteren, so Jessen. Denn anders als bei einem Kind haben ihre Patienten die Sprache ja schon einmal gelernt und wussten, wie sie funktioniert.

Aufgabe der Logopädin: Wege finden, die Sprache wiederzuerlangen

Oft ist aber nicht nur das Sprechen an sich das Problem. Nach einem Schlaganfall oder auch im Alter sind viele Wörter einfach weg. Auch hier ist es die Aufgabe der Logopädin, einen Weg zu finden, die Sprache wiederzuerlangen. „Eine Strategie ist, den Patienten das Wort beschreiben zu lassen“, sagt Jessen, die als Beispiel den Begriff „Pinsel“ nimmt. „Ich frage den Patienten, der nicht auf das Wort kommt: Wie sieht es aus? Was macht man damit? Was ist der Unterschied zu einem Stift, mit dem man auch malen kann?“

So lernten die Betroffenen, wie sie sich helfen können, die fehlenden Wörter zunächst zu umschreiben, um dann im Gespräch darauf zu kommen.

Hierbei gehört es auch zu Jessens Aufgaben, die Angehörigen entsprechend vorzubereiten. Wie redet man mit jemandem, der jetzt eine Sprachstörung hat und dem die Hälfte der Wörter nicht mehr einfällt? „Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen und für ein störungsfreies Umfeld zu sorgen“, sagt Jessen. Und dann sollte vorher unbedingt das Vorgehen abgesprochen werden: Soll man dem Patienten das Wort, das ihm nicht einfällt, vorsagen? Oder lieber warten, bis dem Betroffenen das Wort selbst einfällt?

Expertin: Unterschiedlich, wie schnell Betroffene ihren Wortschatz wiederhaben

Wie lange es nach einem Schlaganfall dauert, bis ein Betroffener wieder einen normalen Wortschatz besitzt, sei sehr unterschiedlich, so die Expertin. Die erste Woche sei jedoch sehr entscheidend, weil in dieser Zeit die meiste Regeneration im Gehirn stattfinde. In den darauffolgenden sechs Wochen sollte weiterhin eine intensive Therapie stattfinden. Von da an hätten Patienten generell bis zu einem Jahr Zeit, alles, was verloren gegangen sei, wieder aufzuholen, so Jessen. „Danach wird es schwierig.“

Dieser Prozess hänge natürlich auch maßgeblich davon ab, wie sehr die Patienten daran arbeiten wollten oder auch nicht. Gerade bei älteren Menschen könne die Motivation gering sein, wenn diese ohnehin weniger Gelegenheit hätten, sich zu unterhalten. Das fällt dann manchmal erst auf, wenn diese Menschen aus einem ganz anderen Grund in der Klinik landen, zum Beispiel nach einem Unfall oder einer Hüftoperation.

Franziska Jessen versucht ihre Patienten dadurch zu motivieren, indem sie ihnen deutlich macht, welche Dringlichkeit das Sprechen hat. Und wenn es nur darum gehe, dem Arzt erklären zu können, was einem fehle, oder einen Einkaufszettel zu verfassen.

Krankenhaus Hamburg: Bedarf an Logopäden ist hoch

Der Bedarf ist auf jeden Fall groß: Am Bethesda Krankenhaus gibt es außer Franziska Jessen noch zwei weitere Logopäden. Ihr Team arbeitet eng mit dem Physio- und Ergotherapeuten zusammen. Für Jessen, die eine dreijährige Ausbildung an der Berufsfachschule absolviert hat, war schnell klar, dass sie an einem Krankenhaus und nicht in einer Praxis arbeiten möchte. Gerade weil man einen Patienten zu Beginn intensiv begleiten und bei Bedarf täglich trainieren könne.

So wie bei dem älteren Herrn, der einen Luftröhrenschnitt hat und durch eine Kanüle beatmet werden muss. Sprechen ist so nicht möglich, weil keine Luft beim Ausatmen durch den Kehlkopf fließen kann. „Am Anfang war der Patient sehr aggressiv, auch körperlich, hat halluziniert und kaum etwas verstanden“, erzählt Jessen. Doch das habe sich durch die Therapie im Krankenhaus massiv gewandelt.

„Jetzt freue ich mich jeden Tag, wenn unsere Physiotherapeuten ihn hingesetzt haben und ich ihm einen sogenannten Sprechaufsatz aufsetzen kann, der die Luft wieder richtig leitet. Auch wenn er noch keine richtigen Wörter sprechen kann, ist das ein riesiger Fortschritt.“ Und eine große Motivation für die Logopädin.