Hamburg. Der Manager und Ex-Senator rechnet mit der deutschen Energiepolitik ab und erreicht damit die „Spiegel“-Top Ten.
Ein Bestseller-Autor schreibt ein Buch. Es handelt von einem der größten Themen unserer Zeit – der Energiekrise. Kompetenz ist dem Verfasser nicht abzusprechen, er war jahrelang Senator in der Hansestadt, danach in der Wirtschaft als Manager, Vorstandsvorsitzender, Aufsichtsratschef tätig. Sein Buch entert sogar die Bestseller-Listen des „Spiegels“ und liegt zwischenzeitlich auf Rang 6 der Sachbücher.
Trotzdem wird es fast totgeschwiegen – abgesehen von einer freundlichen Rezension in der „Welt am Sonntag“ spielt es in den Medien keine Rolle. Denn der Verfasser ist Fritz Vahrenholt. Der Wegbereiter des Umweltjournalismus, dessen Buch „Seveso ist überall“ 1976 eine Art Erweckungserlebnis für die Ökobewegung war, ist heute eine Persona non grata. Ausgeschlossen vom Diskurs wurde er durch sein klimaskeptisches Werk „Die kalte Sonne“.
Energiekrise: Er wurde „Sarrazin der Klimadebatte“ genannt
Nun lassen sich viele seiner damaligen teils steilen Thesen kritisieren, nur ist an einer Debatte niemandem mehr gelegen. Die Richtung gab 2012 ein böser Artikel in der „Zeit“ vor, der den promovierten Chemiker zum „Sarrazin der Klimadebatte“ abstempelte. Seitdem wird er geschnitten, gemieden, totgeschwiegen.
Das erhöht seine Popularität auf der rechten Seite: „In der konservativen Blase ist das Buch sehr wohl positiv aufgenommen worden. Aber das reicht in Deutschland nicht“, sagt der Sozialdemokrat im Gespräch mit dem Abendblatt. „Von den Massenmedien ist es nicht mit einem Wort erwähnt worden. Deshalb hat es seine politische Wirkung verfehlt.“
Dabei wäre dem Buch ein größeres Echo zu wünschen. Nüchtern, nur an manchen Stellen überspitzt, seziert Vahrenholt die Energiewende und die verheerenden Folgen für die deutsche Wirtschaft. Als Aufsichtsratschef der Aurubis und langjähriger Energiemanager kennt er die Industrie.
Vahrenholt warnt vor dramatischem Energiemangel
Der gebürtige Gelsenkirchener warnt davor, dass der Welt ein dramatischer Energiemangel droht: Die Investitionen in die klassischen fossilen Rohstoffe Öl, Gas und Kohle gehe seit Jahren zurück, während der Energiehunger der Welt zunehme. Das treibt die Preise. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat diese Entwicklung nur beschleunigt.
Die erneuerbaren Energien, so fürchtet Vahrenholt, werden das Problem nicht allein lösen. Er kritisiert die Halbwahrheiten in den Debatten, das Wunschdenken, das Leugnen physikalischer Gesetze. Und die ideologische Verbohrtheit in Deutschland.
Vahrenholt, einst Wind- und Solarmanager, sieht die Chancen erneuerbarer Energien, beschreibt aber auch ihre Grenzen: Jedes neue Windkraftwerk, jede neue Solaranlage erfordere die parallele Bereitstellung eines Back-ups. Und die sind noch konventionell: Sollte der Kohleausstieg beschleunigt werden, wachse der Bedarf nach Gaskraftwerken – in die angesichts der Marktlage aber keiner investieren werde. Bei einem Anteil von 30 bis 50 Prozent Sonne und Wind bleibe das Netz stabil, darüber hinaus würden die Netze instabil und durch hohe Speicherkosten der Strom extrem teuer.
Deutschland als abschreckendes Beispiel
Er kritisiert zwei parallele Stromsysteme, die der weitere Ausbau der Erneuerbaren erfordere – und die Deutschland geradezu in die Gasabhängigkeit getrieben habe. Der promovierte Chemiker hält es mit dem „Wall Street Journal“, das Deutschlands Energiepolitik ein „leuchtendes Beispiel“ genannt hatte, wie „man es nicht tun sollte“.
Zugleich kritisiert Vahrenholt, dass Deutschland nun endgültig aus der Atomkraft aussteigen werde, während in anderen Staaten der Einstieg, Wiedereinstieg oder Ausbau forciert werde. Zu den 440 bestehenden AKW kommen bis 2027 rund 55 weitere ans Netz.
Nur Deutschland schaltet in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten die verbliebenen drei Meiler ab. Und ist aus der Forschung ausgestiegen – die innovativen Erforscher einer neuen Reaktorgeneration vom Institut für Festkörper-Kernphysik Berlin arbeiten inzwischen in Vancouver.
Wind- und Solarbranche in der Krise
Die deutsche Solarbranche hat den Einstieg der Chinesen in den Markt, hochsubventioniert und wettbewerbsfähig dank niedriger Lohn- und Stromkosten, nicht überlebt. Bei der Windkraft stammen inzwischen sieben der Top-Ten-Hersteller aus China. Einer davon ist Goldwind – Vahrenholt kennt deren Chef Wu Gang noch persönlich: Er hatte 2002 von der Hamburger Firma Repower Systems eine Lizenz zum Nachbau gekauft und dann das Getriebe kopiert. Heute ist Goldwind Nummer 2 im Markt, Repower pleite und kein deutscher Konzern mehr unter den Top Ten vertreten. Das Wirtschaftswunder der Energiewende könnte ausbleiben.
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Denn auch die Alternativen – ob Wasserstoff, Batterien oder Pumpspeicherkraftwerke, seziert der Sozialdemokrat als ineffizient, teuer und begrenzt. Sein Resümee: „Man will zu viel, zu schnell, zu teuer, um auf einem von der Politik als einzig möglichen vorgegebenen Weg zum Ziel zu kommen.“
Der 73-Jährige warnt vor einer planwirtschaftlichen Verengung unserer Energiezukunft auf die drei Technologien Wind, Solar und Wasserstoff. „Das wird schiefgehen“, warnt er und werde Deutschland ökonomisch hart treffen. Ihn empört eine Zukunftsvergessenheit: „Die Zukunft wird von NGOs geprägt und nicht mehr von technischen Hochschulen und innovativen Unternehmen.“
Heute ist Vahrenholt noch pessimistischer
Heute, mehrere Wochen nach der Fertigstellung des Buches, sieht Vahrenholt keine Besserung – ganz im Gegenteil: „Ich bin noch pessimistischer. Bei Abfassung des Buches hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Politik mit dem Gasheizungsverbot so engstirnig und bürgerfeindlich auftreten könnte. Und es ist klimapolitisch keine CO2-Verminderung damit verbunden.“
Der langjährige Umweltsenator und Manager konstatiert im Gespräch mit dem Abendblatt: „Die Großindustrie verabschiedet sich klammheimlich, und die eigentlich Gekniffenen sind die Facharbeiter und ihre Familien, was mich als Sozialdemokrat schmerzt.“ Das Steueraufkommen, also unser Wohlstand, werde sinken, die Wertschöpfungsketten brechen.
Energiekrise: Sorge um Hamburg
„Deutschland war Weltmeister der Wertschöpfungsketten, daher hatten wir auch im Vergleich zu anderen Ländern einen geringen CO2-Fußabdruck, weil wir die Kreisläufe geschlossen haben.“
Auch um seine Heimatstadt sorgt er sich: „Der Industriestandort Hamburg wird verlieren, das fängt bei Aluminium an und hört bei Stahl nicht auf. Aurubis wird vorerst nicht betroffen sein, da wir durch den hohen Kupferpreis die Zusatzenergiekosten vorerst verkraften können.“
Fritz Vahrenholt: Die große Energiekrise. Langen-Müller. 208 Seiten. 22 Euro