Hamburg. Die Energiekrise 2022 zeigt überdeutlich das Versagen von Politik und Medien nach der Naturkatastrophe 2011.

Plötzlich kommt Fritz Vahrenholt wieder zu Wort. Der frühere SPD-Umweltsenator war lange Zeit ein gefragter Experte für Energiefragen. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik 1997 wurde er Manager für erneuerbare Energien, er war Vorstand des Windenergieunternehmens Repower und dann von RWE Innogy. In dieser Zeit wurde er ein scharfer Gegner der Energiewende und der Klimadebatte – und verlor jeden Rückhalt.

Die „Zeit“ machte ihn 2012 in einem unfairen wie gefeierten Stück als „Sarrazin der Klimawende“ nieder. Danach wurde er zur Persona non grata – und einfach nicht mehr befragt. Erst jetzt darf er wieder sprechen: „Zehn Jahre bin ich kaum zu Wort gekommen, und jetzt kann ich mich vor Anfragen nicht retten“, sagte er dem Abendblatt, das ihn auch zuvor nicht gemieden hatte.

Umgang mit Vahrenholt ist exemplarisch

Der Umgang mit Vahrenholt ist kein Ruhmesblatt für den Journalismus. Leider ist er exemplarisch. So wortgewaltig man nun die naive Energiepolitik der ewigen Kanzlerin verdammt und zu Recht das kopflose Verhalten der deutschen Energiemanager verurteilt – ein Schuldiger der erschütternden Versäumnisse des vergangenen Jahrzehnts fehlt. Es sind wir, die Medien.

Auch wenn es „die“ Medien in unserer freien Gesellschaft gottlob nicht gibt, überwog in den vergangenen Jahren eine Vereinfachung komplexer Fragestellungen, eine subjektive Berichterstattung und eine Ausblendung der Gegenargumente. Rudolf Augsteins Aufforderung „Sagen, was ist“ wurde ersetzt durch Pippi Langstrumpf: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

„New York Times“ verriss Merkels Energiewende

Nun haben wir das Ergebnis. Zwar gab es sporadisch auch kritische Stimmen zur deutschen Energiepolitik, zum tollkühnen Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom bei wachsender Abhängigkeit von (russischen) Gasimporten – aber sie gingen in der liebevollen Begleitung der „Energiewende“ unter. Eine wirkliche Debatte fand in den Massenmedien nicht statt.

Kritik gab es durchaus – in angesehenen US-Zeitungen und Magazinen. Die renommierte linksliberale „New York Times“ hat Merkels Energiewende schon 2013 verrissen, viele Argumente aufgeführt und der Kanzlerin eine klare 6 gegeben. Hierzulande wurde der Verriss schulterzuckend zur Kenntnis genommen. „Die Frage ist nur – versteht die ,New York Times‘ die Energiewende?“, kommentierte die „Wirtschaftswoche“ – und überließ die Antwort den Lesern. Im Januar 2019 legte das „Wall Street Journal“ nach und kanzelte die Politik der Kanzlerin als „die dümmste Energiepolitik der Welt“ ab, weil Deutschland nach der Atom- auch die Kohlekraft beenden wolle. Derlei Stimmen fand man hierzulande so gut wie nie.

Abweichler der Meinung hatten schlechte Karten

Der Tag, an dem die Branche die Lust auf jede Debatte verlor, war der 11. März 2011. Als ein Tsunami im Pazifik eine Unfallserie im Atomkraftwerk Fukushima auslöste, war es um die Nutzung der Kernenergie geschehen. Schon der journalistische Reflex, ein einziges Mal auch Gründe für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zu benennen, stieß in den Redaktionen auf empörte Ablehnung, als habe man die Wiedereinführung der Folter gefordert. Die Kanzlerin, die Parteien und die Medien lieferten sich ein Wettrennen um den schnellsten Ausstieg. Als Sieger fühlten sich alle. Deutschland hat verloren.

Nach Fukushima war jede Verteidigung der Atomkraft eine Nichtposition – mo­ralisch verkommen, ewiggestrig, rechts. Dass wir damit auch alle Nachbarn, die an Kernenergie festhalten, abqualifizierten, störte uns nicht. Noch schlimmer erging es Abweichlern nach dem Aufkommen der AfD. Plötzlich waren viele Positionen einer Debatte kontaminiert – jede Forderung der Rechten, egal ob unsinnig oder bedenkenswert, galt fortan als indiskutabel. Bei vielen Konservativen schnippelte schnell die Schere im Kopf los, auf der Gegenseite geriet jede AfD-Position oder „Trump“-Idee ins moralische Abseits.

Die nötigen Diskussionen wurden nicht mehr geführt

Das mag gut gemeint gewesen sein, gut war es nicht: Denn damit haben Rechtspopulisten bestimmt, welche Themen nicht mehr Teil der Debatte sein durften. Wenn die AfD gegen die Energiewende und Trump gegen Gasabhängigkeiten war, bestätigte uns das nur. Damit haben wir nötige Diskussionen um Lösungen nicht mehr geführt. Und nun – nach Putins Angriff auf die Ukraine – spüren wir, wie fatal die Folgen sind. Wir müssen uns dieser Debatte stellen: Wir waren ein Teil des Problems. Werden wir Teil der Lösung.