Die fetten Jahre haben das Land satt und träge gemacht – die Folgen könnten verheerend sein.

Der Abstieg erfolgt oft schleichend – und deshalb nehmen ihn viele kaum wahr. Was langsam vor sich geht, entzieht sich der menschlichen Aufmerksamkeit. Es fahren ja noch immer Schiffe die Elbe hinauf, noch immer wird im Hafen gutes Geld verdient, Hapag-Lloyd blickt sogar auf das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte zurück.

Doch diese Zahlen lügt nicht: Im vergangenen Jahr konnte sich der Hamburger Hafen als Nummer 20 der Welt nur noch knapp in der Bestenliste halten; zehn Jahre zuvor lag die Hansestadt auf dem 14. Rang, im Jahr 2002 sogar in der Top Ten auf Platz acht. Man mag sich damit trösten, dass die Veränderung viel mit dem Aufstieg Asiens zu tun hat – die Globalisierung erklärt aber nicht, warum sich die direkten Konkurrenten Antwerpen und Rotterdam besser entwickelt haben.

Hamburgs Abstieg könnte mit der deutschen Krankheit zu tun: Man zehrt von der Erfolgen der Vergangenheit und gibt sich einer Vermögensillusion hin. Man investiert zu wenig, aber konsumiert zu viel. Die wirtschaftlichen Erfolge des zurückliegenden Jahrzehnts haben viele satt, träge und blind gemacht – sie halten Wohlstand für eine gottgegebene Selbstverständlichkeit.

Dem Hafen fehlt längst eine starke Lobby

Wichtiger als das Erarbeiten wird das Verteilen, wichtiger als das Erwirtschaften das Debattieren, wichtiger als das Gemeinwohl werden Partikularinteressen. Auch am Hamburger Hafen lässt sich das eindrucksvoll besichtigen – spätestens seit der Jahrtausendwende hat er in der Hansestadt mehr und mehr den nötigen Rückhalt verloren, erst in der Öffentlichkeit, zuletzt im Rathaus.

Rund 20 Jahre hat allein die letzte Elbvertiefung gedauert. Waren die früheren Erfolge im Hafen zunächst vermeintlich der Beleg, dass keine Fahrrinnenanpassung nötig sei, wird dieses Argument nun ins Gegenteil verkehrt: Jetzt zeigt der Absturz, dass die Baggerarbeiten überflüssig waren. Vielleicht ist die Wahrheit eine andere: Wo stünde der Hafen heute, wäre die Elbvertiefung schon vor einem Jahrzehnt gekommen?

Wirtschaftliche Fragen geraten aus dem Fokus

Natürlich sind die ökologischen Bedenken gewichtig – aber so, wie bis tief in die 80er-Jahre Umweltfragen komplett ausgeblendet wurden, Flüsse verdreckt, die Luft verschmutzt und die Böden vergiftet wurden, hat sich die Debatte inzwischen komplett gedreht. Über ökonomische Fragen wird kaum noch diskutiert, alles steht unter dem Leitbild des Klimaschutzes. Und da gibt es offenbar manche, die die Deindustrialisierung für ein nötiges Übel halten, um dem Ziel der klimaneutralen Republik näher zu kommen.

Was dabei für das Weltklima gewonnen ist, wenn deutsche Stahlkocher, Aluhersteller, Chemiewerke und Kupferhütten ihre Produktionsanlagen in den USA oder China verlagern, wird nicht einmal diskutiert. Die Sektierer der „Letzten Generation“ bekommen die Schlagzeilen, die letzte Generation der deutschen Schwerindustrie stirbt leise und kaum betrauert.

Der Wohlstand gerät in Gefahr

Eine der Grundannahmen des ökologischen Umbaus – egal ob im Hafen oder der Industrie – ist grundfalsch: Viele glauben, dass der deutsche Wohlstand sicher ist. Dieser Wohlstand aber wird zu einem beträchtlichen Teil genau in den bedrohten Branchen erwirtschaftet – von innovativen Unternehmern und gut ausgebildeten Fachkräften.

Keine andere Industrienation hat einen so hohen Anteil an industrieller Wertschöpfung. Die drohende Deindustrialisierung wird keinen klimapolitischen Gewinn bringen, aber einen erheblichen Wohlstandsverlust. Wie beim Hafen glauben viele, das sei zu verschmerzen. Wenn aber die Folgen des Niedergangs nicht mehr zu übersehen sind, könnte es zu spät sein.