Hamburg. Philipp F.s Machwerk war der Behörde, anders als zunächst gesagt, doch bekannt. CDU und Linke fordern Rücktritt der Verantwortlichen.

Jetzt also doch: Entgegen ersten Aussagen der Hamburger Polizeiführung hatte die Polizei das mit wirren, religiösen Thesen vollgestopfte Buch des Amokläufers Philipp F. im Internet gefunden. Bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Groß Borstel hatte der 35-Jährige am 9. März sieben Menschen erschossen, darunter ein ungeborenes Kind. Dann brachte er sich selbst um. Neun weitere Menschen wurden verletzt.

Polizeipräsident Ralf Martin Meyer hatte noch auf der Pressekonferenz am 14. März erklärt, das Buch „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ sei von der Waffenbehörde nicht entdeckt worden, Experten hätten bestätigt, dass es nicht zu finden gewesen sei. In der am Mittwoch veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken räumte der Senat nun ein, dass das Machwerk den Behörden doch bekannt gewesen sei, diese aber nichts unternommen hätten.

Nach Fall Philipp F.: Rücktritt von Polizeipräsident gefordert

Die Linksfraktion fordert nun Meyers Rücktritt. „Entweder Meyer hat die Öffentlichkeit bewusst getäuscht oder er weiß nicht, was innerhalb der Polizei vor sich geht – so oder so ist er dadurch als Polizeipräsident nicht mehr tragbar“, sagte der Linken-Innenexperte Deniz Celik. Dass die Waffenbehörde den Buchtitel nicht alarmierend gefunden habe, zeigt für Celik ein fehlendes Problembewusstsein. „Angesichts des anonymen Schreibens mit dem Hinweis auf den Hass des späteren Amokschützen auf die Zeugen Jehovas hätten bei dem Buchtitel dann nun wirklich alle Alarmglocken schrillen müssen.“ Dass dies nicht geschehen sei, sei ein Versagen der Waffenbehörde, für das Meyer und Innensenator Andy Grote (SPD) die politische Verantwortung trügen und Konsequenzen ziehen müssten. Was Grote angeht, sieht es die CDU-Fraktion ähnlich. Dem Nachrichtenportal t-online sagte Innenexperte Dennis Gladiator, Grote sei für das Amt nicht geeignet. „Der Senator muss jetzt zurücktreten.“

Ralf-Martin Meyer Polizeipräsident trägt sich ins Kondolenzbuch für die Opfer des Amoklaufes Zeugen Jehovas ein im Hamburger Rathaus.
Ralf-Martin Meyer Polizeipräsident trägt sich ins Kondolenzbuch für die Opfer des Amoklaufes Zeugen Jehovas ein im Hamburger Rathaus. © Daniel Herder (FMG)

In der Antwort auf die Kleine Anfrage erklärte der Senat, dass im Rahmen der Recherche Ende Januar bei der Suche in einer Suchmaschine bei Eingabe des Namens des Täters und des Begriffs „Buch“ keine Treffer erzielt worden seien. „Bei einer weiteren Recherche auf der Webseite des Täters wurde – wie inzwischen rekonstruiert werden konnte – unter „Publications“ das Buch des Täters gefunden.“ Allein den Titel habe die Waffenbehörde aber nicht als ausreichenden Hinweis bewertet, der Zweifel an der waffenrecht­lichen Eignung und damit weitere Maßnahmen hätten begründen können.

Polizei räumt Missverständnisse bei der Kommunikation ein

Zur ersten Aussage Meyers kam es nach Angaben der Polizei durch einen Kommunikationsfehler – ein Missverständnis im Zusammenhang mit der Befragung einer Polizistin. Dem Abendblatt sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün, dass Meyer auf der Pressekonferenz kurz nach der grauenvollen Tat die Ereignisse aus Sicht der Polizei nach „jetzigen Erkenntnissen“ referiert habe. Zuvor sei eine Mitarbeiterin der Waffenbehörde, die nach einem anonymen Hinweis mit der waffenrecht­lichen Überprüfung des späteren Amokläufers befasst war, gefragt worden, ob sie das Buch kenne. Das habe die Beamtin, die zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus lag, verneint – eben weil sie das Buch nicht gelesen habe. Dass sie es im Internet gefunden hatte, ließ sie offenbar unerwähnt – das kam erst später heraus.

Meyer trug sich gestern im Rathaus in das Kondolenzbuch für die Opfer der Amoktat ein. Dem Abendblatt sagte er, dass die Polizei nach Bemerken des Irrtums zwei Gutachten zum Buch in Auftrag gegeben habe. Die Experten hielten demnach eine Persönlichkeitsstörung des Amokläufers für wahrscheinlich. Hinweise auf ein bevorstehendes gewalttätiges Handeln ergäben sich daraus aber nicht.

(mit dpa)