Hamburg. Der Schlickstreit belaste Rot-Grün, sagt Maryam Blumenthal und fordert, „grundlegend“ über die Zukunft des Hafens zu diskutieren.

Nachdem es im ersten Teil des Interviews um die Messerattacke von Brokstedt ging, spricht die Landesvorsitzende der Hamburger Grünen, Maryam Blumenthal, im zweiten Teil über die Stimmung in der Koalition, die Hafenpolitik, die A 26 und die Pläne für die Bürgerschaftswahl 2025.

Hamburger Abendblatt: Es kriselt in der rot-grünen Koalition im Rathaus. Sind sieben Jahre gemeinsames Regieren genug?

Maryam Blumenthal: Das verflixte siebte Jahr? Wir haben einen Koalitionsvertrag, der bis zum Ende der Legislaturperiode gilt, und wir arbeiten gut zusammen. Dass es Reibereien gibt, ist normal. Wir sind zwei unterschiedliche Parteien. In einer Koalition steht man auch immer in Konkurrenz zueinander. Es ist wie bei dem Basketballteam, das ich betreue: Innerhalb des Teams gibt es immer auch noch ein kleines, gesundes Konkurrenzspiel.

Es fällt auf, dass von beiden Seiten etwas abfällig übereinander gesprochen wird. Aus Ihrer Partei gab es deutliche Stimmen, dass es mit der Energie- und Mobilitätswende nicht schnell genug vorangeht – wegen der SPD. Teilen Sie diese Vorwürfe?

Maryam Blumenthal: Ich teile die Vorwürfe nicht und äußere mich auch nicht abfällig über die SPD. Es gibt aber immer das Ringen um das Wie. Beim Ob sind wir uns sehr einig zwischen Rot und Grün: dass wir die Mobilitätswende wollen und beim Klimaschutz schneller vorangehen müssen. Dass wir uns zwischendurch streiten, zeigt, wie wichtig die Themen sind. Alle internen Runden, an denen ich teilnehme, enden immer kon­struktiv.

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hat gesagt: „Wir wollen den Klimaschutz voranbringen, aber es muss bezahlbar bleiben.“ Er dachte dabei nicht zuletzt an Mieterinnen und Mieter. Ist das die richtige Einstellung?

Maryam Blumenthal: Es bringt gar nichts, Klimaschutz und bezahlbare Mieten gegeneinander auszuspielen, nach dem Motto: Wenn wir schneller vorangehen beim Klimaschutz, dann geht es euch ans Portemonnaie. Genau das wollen wir in der Koalition nicht. Vielleicht hat sich Dirk Kienscherf etwas unglücklich ausgedrückt.

Ist der Satz nicht vielmehr ein Beleg dafür, dass die SPD aus grüner Sicht beim Klimaschutz immer wieder bremst?

Maryam Blumenthal: Der Satz fiel auf dem Neujahrsempfang der SPD. Da geht es auch darum, sich vom Koalitionspartner abzugrenzen. Das ist völlig legitim.

Grünen-Chefin Maryam Blumenthal: Ständige Elbvertiefung „Wahnsinn“

In der Frage der Verklappung von Elbschlick fährt Bürgermeister Peter Tschentscher einen recht eigenen Kurs, indem er die Option Scharhörn gegen den Willen der Grünen aufrechterhält. Wie stark belastet diese Position das Koalitionsklima?

Maryam Blumenthal: Das Thema Schlick ist eine Belastung. Wir ringen um die beste Lösung für ein Problem mit enormer Tragweite. Es geht einerseits um die Zukunft des Hamburger Hafens, der nicht an Bedeutung verlieren soll, andererseits müssen wir klima- und umweltpolitische Aspekte beachten und den Wahnsinn der ständigen Elbvertiefung hinterfragen. Es ist ein schwieriger Prozess, zu einer Lösung zu kommen, die dauerhaft trägt. Der Bürgermeister spricht sich dazu sicher auch mit der Wirtschaftssenatorin ab, die ja mitunter einen anderen Blick auf das Thema hat.

Sie meinen, dass Melanie Leonhard die Bedeutung einer Einigung mit den Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein hervorhebt, während der Bürgermeister die Nachbarn mit seinen Scharhörn-Äußerungen brüskiert.

Maryam Blumenthal: Natürlich treffen wir so eine Entscheidung nicht ohne die Nachbarländer. Es ist uns sehr wichtig, dass wir da zu einer Verständigung im Norden kommen und Hamburg nicht einfach zur Verärgerung anderer sein Ding durchzieht.

Verstehen Sie, was Tschentscher da reitet?

Maryam Blumenthal: Die nächste Wahl ist nicht mehr weit entfernt. Ich glaube, dass er klarmachen möchte, dass er ohne Wenn und Aber hinter dem Hafen steht.

Während die Grünen, die die Elbvertiefung als gescheitert bezeichnen, als Hafenfeinde dastehen.

Maryam Blumenthal: Auch wir stehen hinter dem Hafen. Ich glaube, wir kommen nicht drum herum, grundlegend die Frage zu stellen und zu diskutieren, wie die Zukunft des Hafens aussehen soll.

Nämlich?

Maryam Blumenthal: Zumindest sollten wir nicht bis in alle Ewigkeit Milliarden in diesen Kreislauf aus Ausbaggern und Schlickentsorgen stecken. Das bedeutet nicht, dass man die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen einfach davonziehen lässt. Aber wir müssen uns überlegen, ob wir nicht stärker auf Kooperationen setzen sollten. Die Wirtschaftssenatorin fordert doch auch, dass die vom Bund angekündigte nationale Hafenstrategie endlich kommen muss.

Also sollten die größten Schiffe in Wilhelmshaven abgefertigt werden, während Hamburg eher zum Regionalhafen wird?

Maryam Blumenthal: Das würde ich so drastisch nicht sagen, aber wir sollten zumindest gemeinsam über alternative Lösungen diskutieren.

Tschentscher würde zur Not Windkraftanlagen auch am Rand von Naturschutzgebieten errichten lassen. Die Grünen sind strikt dagegen. Ist das nicht Prinzipienreiterei? Schließlich geht es doch um die Energiewende, da muss man vermutlich auch mal einen Kompromiss machen.

Maryam Blumenthal: Wir sollten alle anderen Flächen prüfen und verhindern, dass Naturschutzgebiete in Anspruch genommen werden. Diese Gebiete haben ja einen Zweck, und wir haben die Vereinbarung mit einer Volksinitiative, dass wir zehn Prozent der Stadtfläche als Naturschutzgebiete ausweisen. Wenn man davon abweichen will, müsste das schon hart alternativlos sein. Das sehe ich nicht. Der Bürgermeister weiß, dass für uns Grüne Artenschutz und Artenvielfalt wichtige Anliegen sind und wir ein Problem damit hätten, das gegen den Bau von Windrädern auszuspielen.

Umgekehrt bringen die Grünen die SPD mitunter auf die Palme, etwa wenn Fraktionschef Dominik Lorenzen und Umweltsenator Jens Kerstan den Bau der Hafenautobahn A26-Ost infrage stellen. Wie steht die Landesvorsitzende zu dieser Vereinbarung im Koalitionsvertrag?

Maryam Blumenthal: Die Frage dahinter ist doch: Muss alles, was im Koalitionsvertrag steht, auch bis zum bitteren Ende starre Gültigkeit haben – während sich die Welt drum herum drastisch verändert?

Eben sagten Sie, dass Sie hoffen, dass der Koalitionsvertrag noch zwei Jahre hält.

Maryam Blumenthal: So ist es! Aber die Details so eines Vertrages muss man doch hinterfragen dürfen. Dass sich im Laufe von fünf Jahren Realitäten und Einschätzungen ändern können und man darüber spricht, ist doch normal. Manchmal geht es dabei nur um das Wie, manchmal auch um das Ob. Insofern ist es nachvollziehbar, über die A26-Ost zu diskutieren.

Die SPD will das Projekt aber nicht zur Debatte stellen.

Maryam Blumenthal: Die SPD schaut da aus ihrer Perspektive drauf, wir aus unserer. Dominik Lorenzen hat ja nicht gesagt, dass wir sie auf keinen Fall wollen, sondern dass man angesichts des fortschreitenden Klimawandels einerseits und des ausgebliebenen Hafenwachstums andererseits noch einmal diskutieren sollte, ob wir so eine Hafenautobahn wirklich brauchen. Diese Debatte hat noch gar nicht richtig begonnen.

Im kommenden Jahr ist Bezirksversammlungswahl. Die Grünen wurden 2019 in vier der sieben Bezirke stärkste Kraft, in Eimsbüttel und Mitte verspielten sie das aber durch interne Querelen. Können die Grünen mit Macht nicht richtig umgehen?

Maryam Blumenthal: Doch. Das sehen wir ja in der Bürgerschaft, in Hamburg-Nord und in Altona, wo wir die Bezirksamtsleitung stellen. Eimsbüttel und Mitte sind zwei völlig unterschiedliche Fälle, die vereinfacht immer wieder in einen Topf geworfen werden und über die sich niemand mehr ärgert als wir selbst.

Was folgt daraus für die Wahl 2024?

Maryam Blumenthal: Wir sind 2019 die Bezirkspartei Nummer eins in Hamburg gewesen, und das streben wir natürlich erneut an. Überall dort, wo wir mitregieren, zeigen wir, dass wir die Macht, die die Wählerinnen und Wähler uns anvertraut haben, in gute Politik umsetzen.

Kurz nach der Bezirks- steht schon die Bürgerschaftswahl 2025 an. Was ist Ihr Ziel?

Maryam Blumenthal: Nach dem Erfolg von 2020 wollen wir 2025 natürlich den nächsten Schritt gehen. Für uns hat sich bestätigt, dass wir nicht mehr wegzudenken sind und diese Stadt die Grünen in der Regierung braucht und will.

Mit Katharina Fegebank als Bürgermeisterkandidatin?

Maryam Blumenthal: Wenn sie dazu bereit ist, stehen ihr alle Türen offen und die Partei hinter ihr. Sie ist eine tolle Zweite Bürgermeisterin und wäre auch eine gute Erste Bürgermeisterin geworden.

Katharina Fegebank hat es 2020 nicht gegen Peter Tschentscher geschafft. Am Ende war der Abstand mit rund 15 Prozentpunkten deutlich. Daher stellt sich natürlich die Frage, ob man es in der gleichen Konstellation noch einmal versucht.

Maryam Blumenthal: Sie hat hohe Beliebtheitswerte und macht einen super Job. Vielleicht brauchte es einfach noch etwas, bis die Stadt reif ist für eine grüne Bürgermeisterin. Die Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung ist zwar hoch, aber sie schlug sich 2020 noch nicht in gleichem Maße in der Wahlkabine nieder. Viele wollen unsere Inhalte, machen aber noch aus Tradition ihr Kreuz bei SPD oder auch CDU.

Was muss denn passieren, damit es 2025 nicht wieder so kommt?

Maryam Blumenthal: Wir sind noch nicht so gut darin, wie andere unsere Erfolge öffentlich herauszustellen und zu verdeutlichen, dass wir mehr können als das, was alle mit uns verbinden – etwa Umwelt, Energie und Klimaschutz.

Wirtschaft zum Beispiel.

Maryam Blumenthal: Genau. Oder Sozial- und Bildungspolitik. Alles, was die Menschen konkret in ihrem Alltag betrifft. Innerparteilich sind diese Themen sehr präsent. Im Verkehrsbereich zeigen wir mit unserem Senator Anjes Tjarks schon, dass wir auch Alltagsthemen beherrschen und für Verbesserungen sorgen können. Das müssen wir auch auf anderen Feldern nach außen tragen.

Wäre für Sie auch ein Bündnis mit einer erstarkten CDU denkbar?

Maryam Blumenthal: Ich finde, dass Rot-Grün sehr gut funktioniert – inhaltlich und menschlich. Auch wenn am Ende jede Partei für sich um Wählerstimmen kämpft: Ich halte viel von dieser Konstellation.

Aber wenn Sie wieder zweitstärkste Kraft werden sollten und dennoch die Möglichkeit hätten, mithilfe der CDU Katharina Fegebank zur Bürgermeisterin zu wählen, hätte das doch seinen Reiz, oder?

Maryam Blumenthal: Grün-Rot reizt mich mehr.

Welche Ambitionen auf die Spitzenkandidatur oder ein Amt im Senat haben Sie persönlich?

Maryam Blumenthal: Ich möchte nicht Spitzenkandidatin werden. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich mich nicht scheue, Verantwortung zu übernehmen, wenn ich zu einem Team beitragen kann – aber nicht auf Biegen und Brechen.

Den ersten Teil des Interviews mit Maryam Blumenthal lesen Sie hier.