Hamburg. Die Zahl der Senioren in Hamburg wird weiter steigen. Saga und Genossenschaften zeigen Wohnlösungen abseits von Pflegeheimen.
Die Wohnung bietet mit 340 Quadratmetern mehr Platz als viele Doppelhäuser. Am Dienstag wird der erste Bewohner an den Spannskamp in Stellingen einziehen, in zwei Wochen ist dann eine der ungewöhnlichsten Wohngemeinschaften im Bezirk Eimsbüttel komplett. Im Neubau der Schiffszimmerer-Genossenschaft werden neun Senioren leben, die ein Schicksal teilen: Sie sind an Demenz erkrankt. Betreut werden sie rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst.
Am vergangenen Dienstag kam Cornelia Prüfer-Storcks zur Einweihung. Einen Tag zuvor hatte die Gesundheitssenatorin den Demografie-Bericht vorgestellt – 91 Seiten, die die Herausforderungen für die wachsende Stadt dokumentieren. Eine zentrale Frage: Wie reagiert die Stadt auf die steigende Zahl älterer Menschen? 2030 werden in Hamburg 388.000 Senioren im Alter von über 65 Jahren leben, ein Anstieg von 54.000 binnen 15 Jahren.
Wo sollen alte Menschen wohnen?
Natürlich sind die meisten Mitt-60er fit, viele Rentner treiben Sport, unternehmen Fernreisen. Aber mit zunehmendem Alter wächst das Risiko gesundheitlicher Handicaps. Laut Bertelsmann-Stiftung wird bis 2030 der Anteil der Pflegebedürftigen in Hamburg um 22,7 Prozent auf fast 62.000 Menschen steigen. Und mehr als 69.000 Hamburger werden Hilfe im Alltag brauchen.
Wo sollen diese Menschen wohnen?
Umfragen zeigen, dass die meisten Senioren so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben möchten, den Umzug in ein Pflegeheim scheuen. Gegen diesen Wunsch sprechen enge Badezimmer, schmale Türen, viele Stufen – und vor allem fehlende Fahrstühle in mehrgeschossigen Wohnanlagen. Dass Hamburg von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich altert, macht die Situation nicht einfacher.
Die Karte zeigt, dass in Poppenbüttel jeder dritte Bewohner über 65 Jahre alt ist (33,4 Prozent), in der HafenCity nicht einmal jeder Zehnte (9,3 Prozent). Patentlösungen kann es da nicht geben.
Genossenschaften garantieren lebenslanges Wohnrecht
Genossenschaften, ihnen gehören rund 132.000 der insgesamt 946.000 Wohneinheiten der Hansestadt, beschäftigen sich besonders intensiv mit den demografischen Herausforderungen, da sie ihren Mitgliedern ein lebenslanges Wohnrecht garantieren. Aber auch die Saga (ebenfalls 132.000 Wohneinheiten) sieht sich hier als öffentliches Unternehmen gefordert.
Wie sehr die Tücke im Detail steckt, zeigt gerade das Projekt der Schiffszimmerer in Stellingen. Bereits 2010 gab es erste Pläne für den Neubau am Spannskamp. Die dort bereits wohnenden Mitglieder protestierten, zumal Bäume gefällt werden sollten. Die Genossenschaft leistete sogar in den Treppenhäusern Überzeugungsarbeit: Eine eigens engagierte Mitarbeiterin stellte auf den Zwischenetagen ein Tischchen auf und sprach bei Kaffee, Tee und Gebäck mit den Bewohnern. Ein Argument zog besonders: Wir bauen den Neubau barrierearm, installieren zudem Pflegebereiche. „Die Perspektive, im Quartier wohnen bleiben zu können, auch wenn man pflegebedürftig werden sollte, hat viele Mitglieder überzeugt“, sagt Vorstand Thomas Speeth.
Für die Genossenschaft ein doppeltes Erfolgsmodell: Denn wer in eine altersgerechte, aber kleinere Wohnung zieht, macht Platz für eine junge Familie, die dringend eine größere Wohnung sucht und in der Regel ohne Probleme auf einen Fahrstuhl verzichten kann.
Wohnprojekte anderer Genossenschaften
Der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba), der 2012 die erste Demenz-WG gründete, baut nur noch Wohnhäuser mit Fahrstühlen. „Ein Verzicht, um Kosten zu sparen, ist für uns keine Option“, sagt Vorstand Burkhard Pawils: „Auch im Bestand bemühen wir uns, Barrieren abzubauen.“ Denkmalschutz und Bauphysik setzten jedoch enge Grenzen, auf das Nachrüsten mit Außenfahrstühlen verzichtete die Altoba: „Wir möchten das Budget unserer Mitglieder nicht zu sehr strapazieren.“ Dafür unterstützt die Genossenschaft Mitglieder, die von einer großen in eine altersgerechte kleinere Seniorenwohnung umziehen möchten. Der Verein „Vertrautes Wohnen“ kümmert sich um alte Menschen, die Hilfe brauchen oder sich einsam fühlen.
Auch die Genossenschaft Kaifu-Nordland gewährt Zuschüsse für Umzüge, der Quadratmeterpreis bei einer vergleichbar ausgestatteten Wohnung bleibt. „Wichtig ist uns, dass der Umzugswunsch von den Mitgliedern an uns herangetragen wird, alles ist freiwillig“, sagt Vorstand Dennis Voss. Die Kaifu-Nordland errichtete schon Mitte der 1980er-Jahre in Eidelstedt 46 Wohnungen, die ausschließlich an Mitglieder über 65 Jahren vergeben werden. Sie wohnen dort eigenständig, werden aber auf Wunsch und nach Bedarf betreut. Derzeit errichtet die Kaifu-Nordland auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Altona ein Wohnprojekt für deutsche und türkische Senioren.
Fahrstühle für die Mieter
Die Genossenschaft Gartenstadt Farmsen (MGF) baute in ihre fünfgeschossigen Mehrfamilienhäuser (335 Wohnungen) mit offenen Laubengängen zwischen 2004 und 2007 nachträglich Fahrstühle ein. In anderen Häusern wurden nachträglich in Erdgeschossbereichen barrierefreie Eingänge für Rollstuhlfahrer geschaffen.
Die Saga setzt auf das Nachbarkonzept „Lebendige Nachbarschaft“ (LeNa) mit Nachbarschaftstreffs, wo ehrenamtliche Hilfe organisiert wird – vom Leeren des Briefkastens im Urlaub bis zu Einkaufshilfen. Im Nachbarschaftsbüro können Mieter klönen. „Wir werden bewährte Konzepte in immer mehr Stadtteilen anbieten“, verspricht Saga-Vorstand Wilfried Wendel. Zudem bietet der Konzern Service-Wohnen (früher Betreutes Wohnen) für 2000 ältere und behinderte Menschen an.
Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) – hier sind die Genossenschaften und die Saga organisiert – sieht den Verband auf Kurs: „Unsere Unternehmen geben jedes Jahr 200 Millionen Euro dafür aus, Wohnungen barrierearm zu gestalten.“ Die Stadt fördert Projekte wie LeNa, allein in Nachbarschaftstreffs fließen in den nächsten Jahren 1,2 Millionen Euro.
Mitunter zahlen sich Investitionen sehr schnell aus. In die Pflegewohnung am Spannskamp, gebaut für Mitglieder der Schiffszimmerer-Genossenschaft, die kurzfristig pflegebedürftig werden, zog jetzt eine 99-jährige Dame ein. Ihre angestammte Wohnung wird nach einem Küchenbrand gerade renoviert.