Hamburg. Bei Unternehmensgründungen liegen Männer vorn. Doch Frauen holen auf – mit Mut, Entschlossenheit und besonderen Geschäftsideen.
Hinfallen, aufstehen und weitermachen. Dass sich Mut und Entschlossenheit lohnen können, zeigen täglich Menschen, die Ideen haben, kreativ sind und sich so ein berufliches Standbein aufbauen. Oder ein zweites, weil sie sonst finanziell nicht über die Runden kommen.
Häufig hat Corona diese Menschen in eine missliche Lage gebracht. Das Abendblatt hat drei Frauen getroffen, die zeigen, dass es nötig ist, sich zu bewegen und die flexibel auf Veränderungen reagieren mit ihren Geschäftsideen. Zwar sind es überwiegend immer noch Männer, die Unternehmen gründen, aber Frauen holen auf.
Laut Handelskammer Hamburg und dem Statistikamt Nord gab es vor zwei Jahren 5689 Neugründungen von Frauen, das sind 28,1 Prozent und immerhin rund drei Prozentpunkte mehr als noch 2019 mit 5255 Neugründungen. Im Gegensatz dazu liegen Männer mit einem Anteil von 71,9 Prozent Neugründungen 2021 noch weit vorn, doch ihr Anteil ist seit 2019 (74, 7 Prozent) zurückgegangen.
Start-ups: Drei Hamburger Gründerinnen starten durch
Die Handelskammer macht sich stark für Frauen als Gründerinnen. Etwa mit der Veranstaltungsreihe „Female Startaperitivo“. „Dort stellen sich Start-up-Gründerinnen dem Publikum sowie Investoren und Investorinnen“, so Kerstin Kramer von der Handelskammer. „Das Ganze ist mittlerweile so groß geworden, dass 2022 und auch in diesem Jahr die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen das Konzept unterstützen und eigene Landeswettbewerbe mit Unterstützung aus Hamburg durchführen.“
Anisha Degens, Crumble Bar
Redakteurin, Masseurin, Babypädagogin (Delfi-Kurse), Stand-up-Paddle-Instructor, Franchiseunternehmerin, dazwischen eine Krebserkrankung und nun selbstständige Crumble-Verkäuferin. Ja, Anisha Degens aus Winterhude ist umtriebig, einfallsreich und voller Elan. „Ich bin ein Stehaufmännchen“, sagt sie lachend.
Von beruflicher Eintönigkeit und fehlender Energie kann bei ihr keine Rede sein. Im Sommer verdient sie ihr Geld mit dem Verleih von Stand-up-Paddleboards und Sup-Touren sowie dem Verkauf von Frozen Yoghurt auf Festivals und Straßenfesten als Franchise-Unternehmerin, in der kalten Jahreszeit steht sie nun mit ihrer kleinen italienischen Ape, einem dreirädrigen Rollermobil, mit Lichterkette geschmückt, auf Hamburger Wochenmärkten. Das Gefährt dient als Crumble-Bar.
- Von der Gastronomin zur Entspannungs-Trainerin
- Warum Hamburger weniger neue Firmen gründen
- Hamburger Selbstständige fordern Mutterschutz-Reform
Mit dem Verkauf von Kuchenstreuseln Geld verdienen
Crumble (Englisch für Streusel) sind Kuchenstreusel mit hausgemachtem warmem Kompott, mit Vanillesoße, Sahne oder veganem Joghurt, garniert mit Schokostreuseln, Krokant, Baiser oder Rosenblüten. Jeden Freitag und Dienstag ist die 48-Jährige auf dem Isemarkt , donnerstags auf dem Turmwegmarkt und sonnabends auf dem Hartzlohmarkt in Barmbek.
The Crumble heißt ihr Start-up und ist wohl Hamburgs erste Crumble-Bar. Vor Anisha stehen zwei schwarze Töpfe, links Mixed-Berries-Kompott, rechts Apfel-Zimt-Kompott, dahinter die fertigen Crumbles. Alles hausgemacht in einer angemieteten Gewerbeküche. Einen Nachmittag koch sie Kompott, einen anderen backt sie die Crumbles. Klingt alles ganz süß. Ist aber kein Zuckerschlecken, sondern richtig viel Arbeit und eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die Mutter von drei Kindern (11, 15 und 16 Jahre alt), deren Mann durch Corona arbeitslos geworden ist.
Im Sommer Stand-up-Paddling, im Winter Kuchenstreusel
Von ihrem Stand-up-Paddle-Geschäft im Sommer allein könne sie nicht leben. Und weil Frozen Joghurt und Wassersport eher im Sommer laufen, musste eine Geldquelle für die kalten Monate her. Sie muss mehrgleisig fahren. Für die Franchise-Lizenz und den Anhänger, um Frozen Joghurt im Sommer zu verkaufen, hat sie einen Kredit aufnehmen müssen, das Geld für die Ape kam von ihrer Schwester.
„Wenn man einen Kredit über 80.000 Euro aufnimmt, das macht schon Druck.“ Der Verkauf von Frozen Joghurt auf Festivals diene dem Geldverdienen. „Das ist meine Cash-Cow. Die Crumble Bar ist mein Herzensprojekt und meine eigene Idee“, sagt Anisha. Mit der Crumble Bar möchte sie auch auf Events wie Firmenfeiern, Taufen oder Hochzeiten. Wer weiß, was bei Anisha als nächstes kommt. „Ich habe noch drei Millionen weitere Foodideen.“ Wer die Crumble Bar buchen möchte: www.foodtruckbooking.de
Nicole Harms, die Pizzabäckerin
Als Vergolderin lief es irgendwann nicht mehr so mit der Fassmalerei, mit der sie Möbel eine Fassung, also eine Bemalung oder Vergoldung gegeben hat. Nicole Harms stieg um und eröffnete neben ihrer früheren Werkstatt am Eppendorfer Weg in Eimsbüttel einen Frühstücksladen. Dann kam Corona und mit der Pandemie das Aus für ihren Frühstücksladen. „Ich war am Ende“, sagt Nicole Harms.
Sie und ihr Bruder Max waren auch traurig, weil sie nicht wie sonst auf den Campingplatz aus Kindertagen nach Italien reisen konnten. Dort gab es die für sie beste Pizza überhaupt. Pizza! Die Idee überhaupt. Seit Juli 2020 ist Nicola Harms die Pizzabäckerin.
Mit zwei kleinen Miniöfen und der Hilfe von Pizzabäckermeister Nico fing alles an. „Ich hatte ja keine Ahnung. Nico hat mir alles erklärt.“ Er hat sie in die Geheimnisse, nein, in die Wissenschaft des Pizzabackens eingeführt. Wie lange muss ein Teig ruhen, was ist der Unterschied zwischen einer ligurischen/römischen und einer neapolitanischen Pizza?
Nicole Harms backt römische Pizzas, das sind jene mit einem eher dünnen Boden. „Dass ein guter Pizzateig sogar vom Wetter abhängt, habe ich am Anfang gar nicht verstanden“, sagt sie. Doch sie hat sich eingearbeitet. Es folgten Tief- und Höhepunkte.
Fernsehmann Frank Rosin half der Pizzabäckerin
Erst mehr Tiefpunkte, so dass Bruder Max seine Schwester in die Fernsehsendung von Frank Rosin brachte. Rosin half ihr mit Ratschlägen und Investitionen in eine ordentliche Pizzabackstube. Denn schließlich ist die 59-Jährige keine gelernte Gastronomin. „Nun kann ich gut davon leben.“ Aber es ist harte Arbeit. „Pizzabäcker ist ein Knochenjob, den ja auch fast nur Männer machen. Das ist nicht zu unterschätzen“, sagt sie. Es ist ja nicht nur das In-den-Ofen-Schieben.
Einkaufen, den Belag morgens ab 9 Uhr klein schnippeln, den Teig ansetzen, den Laden putzen – bevor ab 13 Uhr auch nur eine Pizza verkauft wurde, hat Nicole Harms schon ganz schön geschuftet. Ein 13-Stunden-Tag ist normal. Mittlerweile hat sie eine Angestellte – ihre Schwester hilft ihr drei Mal die Woche. Ihr Steckenpferd, sagt sie, ist die vorgebackene Pizza. Diese kommt nur kurz in den Ofen, und muss vom Kunden zu Hause nur noch drei Minuten lang aufgebacken werden. Ganz so gut wie die Pizza aus ihrer Kindheit schmeckt ihre eigene nicht, gibt Nicole Harms zu. Aber Eimsbüttel ist eben nicht Italien.
www.die-pizzabackerin.business.site
Franziska Kausch, Fotografin und Inhaberin von „Sommerbunt“
Die 48-Jährige wollte nicht immer Fotografin werden, sondern hat erst nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg und dem ersten Staatsexamen gemerkt, dass das doch nicht das Richtige für sie ist. Es folgte ein Aufbaustudium an der Fernuni und ein Schlenker als Mediatorin. Die Krebserkrankung ihrer Mutter brauchte die endgültige Wende für Franziska Kausch.
„Ich habe gemerkt, dass ich mich nicht immer mit Streitereien beschäftigen möchte“, sagt sie. Das Leben kann so kurz sein, warum also Träume aufschieben? Also entschloss sie sich, Fotografin zu werden. „Das war früher schon ein Hobby von mir. Ich habe mich dann doch getraut, aus dem Hobby meinen Beruf zu machen.“ An einer privaten Schule machte sie ihre Ausbildung.
Corona-Lockdown und die Aufträge blieben aus
Klar, sie liebt die Fotografie noch immer und verdient damit ihren Lebensunterhalt. Aber dann kam Corona, Aufträge blieben aus. Und statt tatenlos in ihrer Eimsbütteler Altbauwohnung mit ihrem Golden Retriever Lupo herumzusitzen und deprimiert zu werden, handelte sie lieber. Dafür ist sie auch viel zu pragmatisch. „Ich fand viele Hundeleinen schon immer zwar schön, aber häufig unpraktikabel“, sagt sie.
Also begann sie während des ersten Corona-Lockdowns damit, selbst Hundeleinen herzustellen. Tutorials auf Youtube halfen ihr dabei, Leinen und Schlüsselanhänger aus Kletterseil anzufertigen. „Ich habe schon immer mit den Händen gewerkelt.“ Hauptsache bunt und farbenfroh scheint ihr Motto zu sein. „Meine Leinen kamen gut an, und es sprach sich herum.“
Sommerbunt: Die Leinen gibts manchmal auch am Strand von St. Peter-Ording
Also stieg sie voll in die Produktion ein unter dem Firmennamen „Sommerbunt“, auf Etsy bietet sie ihre Leinen online an, sie ist manchmal auf dem Isemarkt mit einem Stand und präsentiert und verkauft ihre Leinen und Schlüsselanhänger auf dem Besondersmarkt im Museum der Arbeit. Bunt kommt an.
Manchmal ist Franziska mit ihren Leinen auch in St. Peter-Ording anzutreffen. Dort nimmt sie sich im Beach Motel regelmäßig eine kleine Auszeit, aber immer mit den Kisten mit Kletterseilen und Verschlüssen dabei. „Wenn ich dort auf der Terrasse meine Leinen herstelle, kommen Leute schon mal und kaufen sie mir sofort ab.“ Besser geht es nicht.
Sie mag das Haptische an der Arbeit und dass es ruck, zuck geht. „Das ist wie Stricken, richtig nett. Man kann das nebenbei machen, und es entspannt.“ Am Anfang hat sie eine Stunde für eine Leine gebraucht, jetzt schafft sie es in einer Viertelstunde. Corona ist vorüber, „Sommerbunt“ ist geblieben. Denn als freiberufliche Fotografin ist das mit den Aufträgen so eine Sache. Mal läuft es richtig gut, mal eben auch weniger. Und in diesen weniger guten Zeiten ist die Leinenproduktion ein wichtiges zweites Standbein.