Hamburg. Immer mehr Menschen geben ihren Beruf auf und beginnen etwas völlig anderes. Das Abendblatt stellt sieben Lebenswege vor.
Da ist dieses nagende Gefühl der Unzufriedenheit. War das schon alles? Was ist aus den Träumen geworden? Solche Gedanken führten bei Inga Theedt aus Horst bei Elmshorn dazu, ihr berufliches Leben neu zu überdenken: raus aus dem Bürojob in einer Wollfabrik und rauf auf die Wiese als Hundetrainerin beziehungsweise rein in den VW-Bus, um die Welt zu entdecken und damit auch noch Geld zu verdienen. Das ist ihr Lebenstraum. Bei Online-Redakteur Ludger Menke dagegen hatte es andere Gründe, dass er seinen bisherigen Job aufgab: Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Dass er sich auf das besinnt, was er wirklich liebt – die Musik und die Arbeit als DJ –, darauf musste er erst einmal kommen. Ein Coach half ihm dabei.
"Veränderungen sind normal"
Was auch immer Menschen veranlasst, einen beruflichen Neustart zu wagen, ob freiwillig auf der Suche nach etwas anderem oder unfreiwillig durch Jobverlust – alles scheint möglich. „Wir leben in einem Zeitalter des Wandels – ob Klimawandel, Anspruchswandel, Wandel in der Arbeitswelt oder eine sich wandelnde Welt durch die Globalisierung, Digitalisierung, Demokratisierung, Feminisierung“, sagt Professor Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen. Veränderungen würden derzeit geradezu als normal gesehen. Dies trifft auf fast jedes Alter zu.
Da seien die jüngeren Arbeitnehmer, sagt Reinhardt, die sich ausprobieren wollen. Dann die in der Mitte des Lebens, wenn die Kinder aus dem Haus sind, Karriere gemacht wurde und die Sinnfrage sich neu stellt. Oder im höheren Alter, um mit Erfahrung und Mut etwas Neues zu machen – etwas, von dem man schon lange überzeugt war. Attila Albert, Coach und Autor, sagt aber auch, dass für Menschen um die 50 Jahre und älter der Neubeginn selten freiwillig ist: „Sie werden vom bisherigen Arbeitgeber herausgedrängt, da zu teuer oder angeblich zu unflexibel und unbequem.“
Nach Angaben der Stiftung für Zukunftsfragen haben 49 Prozent der Berufstätigen Interesse an einem Sabbatical, wollen also eine befristete Arbeitspause einlegen. 40 Prozent der Berufstätigen wollen dieses Jahr gern „weniger arbeiten beziehungsweise eine bessere Balance von Privatleben und Beruf“ erreichen, und 22 Prozent wollen wahlweise im Beruf durchstarten oder sich einen neuen Job oder gleich einen neuen Beruf suchen. Und 35 Prozent der Bürger sagen: „Für eine Arbeit, die für mich Sinn stiftet, bin ich auch bereit, weniger Geld zu verdienen.“
Deutschland hat keine Kultur der spontanen Neuanfänge
Was viele Selbstverwirklicher eint, ist eine jahrelange Unzufriedenheit. Attila Albert: „Erst wenn derjenige merkt, dass der sicherste Arbeitsvertrag und der schönste Jahresurlaub kein Ausgleich für dauerhafte berufliche Unzufriedenheit sind, wird er aktiv.“ Aber das kann dauern. In Deutschland gebe es keine Kultur der spontanen Neuanfänge, „wir denken viel sicherheitsorientierter und überlegen länger“. Anders in den USA: „Ich wurde während meiner USA-Zeit gefragt, warum ich denn schon so lange in einem Konzern arbeite, statt ein Start-up zu gründen“, erzählt Katharina Staudacher. Da war sie gut fünf Jahre in ihrem Job. Dieser Geist, den sie im kalifornischen Silicon Valley während eines Aufbaustudiums verspürte, hat ihr auch die Entscheidung erleichtert, wenig später bei Tchibo zu kündigen. Heute produziert sie Nuss- und Obstriegel.
Was die Umsteiger außerdem gemeinsam haben: Sie brechen trotz Einkommenseinbußen aus ihrer Komfortzone aus. Wer allein oder als Paar ohne Kinder lebt, hat eine höhere Bereitschaft, sich umzuorientieren, als wenn Kinder im Haushalt sind. Professor Reinhardt: „Hier zeigt sich ein hohes Verantwortungsgefühl, aber auch die höhere Bedeutung von Sicherheit gegenüber Freiheit. Zudem zeigen sich Akademiker überdurchschnittlich mutig – sicherlich auch, weil sie weniger Existenzängste haben.“
Typisch für Umsteiger sei ein ständiges Abwägen von Vor- und Nachteilen des bisherigen Jobs und der Chancen und Risiken eines Wechsels, sagt Attila Albert. Das Problem dabei sei häufig: „Dieses Nachdenken dreht sich im Kreis, also bleibt man, wo man ist.“ Ein Coach kann dabei helfen, neue Optionen zu finden, sich besser zu informieren, offener zu sein für Möglichkeiten, die nicht so naheliegend sind. Eine Existenzgründer-Beratung kann auch mit einem Coaching verbunden werden.
Wie aber gelingt ein beruflicher Neustart ohne finanzielle Rücklagen? „In den meisten Fällen durch klassische Bewerbungen aus einer Festanstellung heraus, eventuell verbunden mit einer Abfindungsverhandlung. Ein anderer typischer Weg ist, für einige Zeit zweigleisig zu fahren“, sagt Albert. Beispiel: die Festanstellung auf Teilzeit herunterfahren und in der frei gewordenen Zeit eine andere Teilzeitstelle annehmen oder selbstständig arbeiten.
Der größte Fehler, den man dabei begehen könne, sei es, ewig zu überlegen und dann gar nichts zu machen. Attila Albert: „Viele, die in ihrem Job unglücklich sind, denken zu viel über die theoretische Möglichkeit eines Wechsels nach – und bleiben dann doch, wo sie sind.“ Sein Tipp für einen erfolgreichen Neuanfang: sich besser nach außen darstellen, Kontakte aufbauen und pflegen, Bewerbungen verschicken und erst danach, wenn es überhaupt Alternativen gibt, im Detail vergleichen. Und vielleicht das Wichtigste dabei: „Sich vorher genau klar zu werden, was einen überhaupt unglücklich macht. Oft ist es gar nicht das Geld oder die Position, sondern zum Beispiel ein dauerhaft schlechtes Arbeitsklima oder das Gefühl, nichts Sinnvolles zu tun.“
Nina Heine (45) bietet als Pflanzenheilkundlerin Workshops an. Sie hatte davor 14 Jahre lang eine PR-Agentur.
„Plötzlich war ich drin, wollte nichts ablehnen“, sagt Nina Heine. Jeder Auftrag bedeutete Geld, und Geld war nötig: Frau Heine besaß die gleichnamige PR-Agentur, war verantwortlich für 13 Mitarbeiter, die bezahlt werden mussten. Neben der Arbeit als Geschäftsführerin in der Agentur bekam sie drei Kinder, heute sieben, neun und zehn Jahre alt. „Ich habe gutes Geld verdient, war erfolgreich und hatte drei Kinder.“ So weit prima. Sie dachte, alles im Griff zu haben als moderne Frau. Und dann musste sie doch feststellen: „Ich bin an meine Grenzen gestoßen, Familie und Freunde blieben auf der Strecke.“
Nina Heine hat ihren Herzensberuf gefunden
Klar war sie für ihre Kinder da, rein physisch, aber eben nicht mit den Gedanken. Diese kreisten um ihre Arbeit, das Handy lag stets parat. Hier noch ein Anruf, da noch eine Mail. Zerreibend war das: „Ich war permanent unter Stress“, sagt sie. Sie wollte etwas ändern, aber wie? „Ich verdiente gut. Aber was wäre, wenn das wegfällt?“, fragte sie sich. Ebenso klar war aber auch: So geht es nicht weiter. Gemeinsam mit ihrem Mann entschied sie, die Agentur abzugeben. Im vergangenen Jahr absolvierte sie eine Ausbildung zur Phytotherapeutin. „Ich habe mir damit einen Traum erfüllt“, sagt sie. „Das ist so bereichernd, das zu erkennen: Da gehöre ich hin.“ Als Pflanzenheilkundlerin weiß sie nun, wie welche Pflanzen bei welchen Krankheitsbildern helfen können.
Sie hatte schon immer Ärztin werden wollen, erst recht, nachdem ihre Mutter an Krebs gestorben war. Da war Nina Heine gerade 17 Jahre alt. Aber dann kam das Leben dazwischen. „Ich habe dieses Ziel aus den Augen verloren, bin gar nicht erst zum Medizinertest gegangen“, erinnert sie sich. Zufälle und Begegnungen mit Menschen führten sie statt in den Operationssaal in die PR-Branche. Mit dem Weg in die Pflanzenheilkunde mag sie finanziell einen Schritt zurückgegangen sein, für sie persönlich, für die Lebensqualität aber ist es ein großer Schritt nach vorn.
In Workshops informiert sie über die Heilkräfte von Kamille, Weißdorn, Thymian und Co. Diese Arbeit hat sie gerade erst begonnen, gab vor Kurzem ihren ersten Workshop. „Ich wünsche mir, dass die Pflanzenheilkunde nun mein Hauptberuf wird.“ Was für diesen Neustart notwendig war? „Mut und Loslassenkönnen und ein Netzwerk an Menschen, die einen auffangen.“ Sie will es langsam angehen und im Herbst ihre Heilpraktikerausbildung abschließen.
Auch sie hat einen Partner, der für das Einkommen sorgt. Das mache einen Neustart leichter. Während sie sich neu orientierte, kümmerte sich ihr Mann um die Kinder und das Finanzielle.
www.ninaheine.de
Jörg Schumacher (44) arbeitete in verschiedenen Chefredaktionen und Verlagen, unter anderem elf Jahre bei der „Bild“-Zeitung. Heute ist er Stand-up- Comedian.
Der Schritt vom Journalisten zum Comedian war schmerzhaft. Denn das Aus in der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche kam für den Vater von zwei Jungen im Alter von sieben und acht Jahren unfreiwillig. „Das war hart“, sagt er. Die Arbeit als Blattmacher war seine Leidenschaft, und nun war er gezwungen, beruflich neu starten zu müssen und eingefahrene Wege zu verlassen. Freiwillig, sagt er, hätte er das wohl nie gemacht. „Nun musste ich etwas entwickeln“, sagt Jörg Schumacher in seinem Winterhuder Büro. Sein Weg: Er machte sich selbstständig und unterstützt Stiftungen als Kommunikationsberater. Dieses Standbein hat er immer noch.
Er holte sich Rückmeldung bei einem etablierten Comedian
Aber sein Herz hängt an der Comedy, seitdem er als Zuschauer den Hamburger Comedy Pokal besuchte. „Das kann ich doch auch“, sagte er sich damals ziemlich selbstbewusst, obwohl ihm zuvor im Leben nie die Idee gekommen war, auf der Bühne zu stehen und Leute zum Lachen zu bringen. Mal abgesehen von privaten Familienfeiern. Aber Verwandte und Freunde sind eben doch etwas anderes, etwas wohlwollender vielleicht. Die auch dann lachen, wenn es nicht so lustig ist. Aber ein fremdes Publikum?
Um sich nicht zu blamieren, holte sich Schumacher Rückmeldung vom Hamburger Stand-up-Comedian Heino Trusheim. „Ja, du hast Talent“, bescheinigte der ihm und fügte gleich hinzu: „Nächsten Dienstag trittst du auf!“ Diesen Sprung ins kalte Wasser wagte Schumacher am 16. Februar vor zwei Jahren im Eimsbütteler Frachtraum. Das Abenteuer begann. Anekdoten aus dem Club-Urlaub auf Fuerteventura und dem dortigen Lillifee-Tanz brachten ihm Standing Ovations. Es folgten bislang 185 Auftritte mit zwei Comedy-Kollegen. Heute hat Jörg Schumacher ein eigenes Management, er arbeitet als Moderator und bietet Workshops und Coachings zum Thema an. Es läuft.
Dabei war es nie sein Lebenstraum, einmal Stand-up-Comedian zu sein. Das kam alles auf ihn zu. Und so sehr unterscheide sich das gar nicht von seinem früheren Leben als Journalist, bekannt er: „Ich erzähle immer noch Geschichten, nur auf der Bühne. Und meine Währung sind die Lacher.“ Bleiben sie aus, fühle er sich schlecht. Stillstand gibt es nicht. „Ich muss mein Programm ständig weiterentwickeln.“ „Lügenpresse“ heißt sein erstes Soloprogramm. Sein Ziel: seinen Lebensunterhalt zur Hälfte mit der Comedy zu verdienen.
Tanja Viviani (46) betreibt seit zwölf Jahren ihr eigenes Café, die Cuci Bar in Hoheluft-West. Jetzt ist sie Entspannungstrainerin.
Sie war vor 29 Jahren in die Gastronomie reingerutscht, sagt Tanja Viviani. Ihre Eltern betrieben ein Restaurant, Tochter Tanja half nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau mit, gehörte dazu. Seit mehr als zehn Jahren ist es umkehrt: Ihre Eltern arbeiten im Café Cuci Bar der Tochter an der Bismarckstraße. Dann kam Tanja Viviani der Gedanke, dass dieser Familienbetrieb altersbedingt irgendwann endet. „Ich habe mich gefragt: Ist das noch meins?“, sagt sie. „Mache ich das auch weiter, wenn meine Eltern nicht mehr dabei sind?“ Eine existenzielle Frage war das, von Zukunftsangst geprägt. „Das hat mich sehr beunruhigt, später allein zu sein“, sagt die Mutter einer Tochter (14) und eines Sohnes (12). Vom Vater der Kinder lebt sie getrennt.
Sie fühlte sich unterfordert mit der Arbeit im eigenen Café
Ihr Leben im Café sei bequem, aber: „Ich war unterfordert. Mein Geist brauchte mal etwas Neues, Futter. Ich habe nichts mehr erlebt und musste raus aus dieser Komfortzone“, gesteht sie. Eine frustrierende Beziehung zu einem Mann raubte ihr endgültig die Energie. Yoga, Meditation und das Singen von Mantras ließen sie zu sich selbst finden. „Ich spürte mich wieder“, sagt sie. Sie bekam mehr Klarheit, und Weihnachten 2015 stellte sie sich die Frage: „Was kann ich dafür tun, dass das kommende Jahr spannender wird?“
Sie stieß auf einen Fernlehrgang zur Entspannungstrainerin. Zunächst ging es eher darum, sich selbst Gutes zu tun. In Zukunft aber wird sie anderen mit Qigong, autogenem Training oder Fantasiereisen helfen, Stress zu verarbeiten. Elf Monate lang lernte Tanja Viviani nebenberuflich am Abend und am Wochenende, alle zwei Wochen musste sie eine Hausarbeit schreiben. Anstrengend? Nein. „Das war keine Lernerei, ich habe das regelrecht aufgesogen.“
Dieser Schritt war der richtige: „Ich habe keine Zukunftsangst mehr.“ Ihr neuer Beruf gibt ihr Sicherheit. Noch hat sie das Café und ist mit Herzblut bei der Sache, aber nun kann sie gleichzeitig mit ihren Entspannungskursen in einer Praxis für Osteopathie gegenüber dem Café starten. Abends, morgens oder am Wochenende. Ihr Fazit: „Man braucht nur etwas Kleines zu verändern. Man muss mutig sein, intuitiv und nach dem Bauchgefühl entscheiden.“
www.harmoniepfad.de
Inga Theedt (45) ist Bürokauffrau und baut sich eine Existenz als Bloggerin und Anbieterin von Hundeseminaren auf.
Irgendetwas mit Tieren wollte sie schon immer machen. Aber während eines Schülerpraktikums bei einem Pferdewirt riet ihr dieser davon ab: Zu anstrengend sei das. Sie solle sich lieber ein eigenes Pferd kaufen. Das tat Inga Theedt aus Horst bei Elmshorn und wurde Bürokauffrau. Als sie vor zehn Jahren auf der Via Panciera in Italien pilgerte, merkte sie aber: „Mein Beruf macht mich nicht glücklich, ich wollte doch etwas mit Tieren machen.“
Die „Big 5“ nennt sie die fünf Ziele in ihrem Leben
Inga Theedt reiste schon immer gern. Schritt eins ihres beruflichen Neuanfangs daher: Sie und ihr Ehemann Thorsten kauften sich einen VW-Bus und fahren seither mit Jack-Russell-Mix Hedda und Border Collie Jack durch Europa. Unter der Internetadresse travel-dogs.de begann sie vor drei Jahren ihren Blog über das Reisen mit Hund. Leben kann sie davon noch nicht. „Mein Ziel ist es, langfristig unabhängig arbeiten zu können“, sagt sie. Sie nennt ihre Ziele im Leben die „Big 5“: 40 Prozent mit ihren Hunden reisen und 60 Prozent zu Hause sein und arbeiten. Sie möchte eine erfolgreiche Hunde-Bloggerin werden und nur noch im Hunde/Tier-Bereich arbeiten. „Ohne formulierte Ziele verliert man sich oft in dem, was man machen möchte. So schaue ich, ob ich noch auf meinem Weg bin.“ Außerdem möchte die leidenschaftliche Wanderin Touren mit Hunden anbieten und verkaufen. Ein weiteres Ziel: „Ich möchte so viel Zeit wie möglich mit meinem Mann verbringen.“
Inga Theedt ist eine, die sich ihre Ziele Schritt für Schritt erarbeitet. „Ich kann das nicht in einer Hauruck-Aktion machen, dafür bin ich zu sehr auf Sicherheit aus.“ Sie hat berufsbegleitend zu ihrer Arbeit in der Buchhaltung in einer Wollfabrik eine Ausbildung zur Tierpsychologin gemacht und dann festgestellt, dass es nicht ihr Ding ist: „Man behandelt leider mehr die Menschen als die Tiere.“ So richtig kam die Arbeit als Tierpsychologin deshalb nicht in Fahrt. „Mir fehlten wohl der Mut und der Ansporn, ich war ja noch in meinem Vollzeitjob.“
Inzwischen hat sie ihre Arbeit in der Buchhaltung auf 29 Wochenstunden reduziert. Durch Glück und Zufall kam sie zu Candog, einem Anbieter von Hundeseminaren. Jetzt ist sie dort Mitinhaberin. Über ihren Weg in ein neues Leben sagt sie: „Man verlässt doch sehr ungern die Komfortzone.“
Die dreijährige Ausbildung zur Tierpsychologin habe sie unterschätzt. „Das war viel Arbeit.“ Sie brauche auch ein dickes Fell. „Viele verstehen nicht, dass ich zugunsten meiner Träume auf Geld verzichte.“ Aber jeder Schritt war eine Bereicherung. „Mein Weg dauert länger, aber es ist der Richtige.“
www.travel-dogs.de
Elena Chmielewski (46) war Kamerafrau, jetzt arbeitet sie als Imkerin und Kunst- und Umweltpädagogin.
Sie hat Fotografin gelernt und als Kamerafrau gearbeitet, bevor sie in die Kultur- und Umweltpädagogik wechselte, Spezialgebiet: Bienen. Es ist nicht so, dass sie in ihrem ursprünglichen Job unglücklich oder gelangweilt war, sagt Elena Chmielewski. Aber mit zwei Kindern war die Arbeit als Kamerafrau wegen der unregelmäßigen Arbeitszeiten schwierig, zumal ihr Ehemann als Polizist Schichtdienst leistet.
Sie musste sich umorientieren, um ihren Kindern gerecht werden zu können, und kam auf die Biene. „Mein Vater ist Zoologe, mit ihm machten wir lange Spaziergänge und lernten Blumen kennen. Er zeigte uns die wunderbare Welt der Insekten“, sagt sie. Der Wechsel in die Natur war naheliegend. Nun zeigt Elena Chmielewski ihren Mitmenschen, vor allem Kindern, die Welt der Bienen.
Ihre Söhne, heute elf und 13 Jahre alt, mit ihrem Wissensdrang hatten ihr den Anstoß dazu gegeben. „Meine Söhne saugen Informationen über die Insekten wie ein Schwamm auf.“ Ihr Anliegen ist es, zu vermitteln, wie ein Bienenstaat funktioniert und warum Bienen, die vom Aussterben bedroht sind, so wichtig für uns sind. Sie geht in Schulen, gibt Seminare. Neu ist ihr Bienen-Mietservice: Firmen können sich ein Bienenvolk für die Sommersaison mieten und dann den Honig ernten, mit Hilfe und Unterstützung von Elena Chmielewski. Um das Wissen für ihre Arbeit zu bekommen, musste sie abends und an den Wochenenden Seminare besuchen. Und noch immer bildet sie sich regelmäßig fort. Die Abkehr vom alten Job war nicht immer leicht: Vieles bei der Imkerei war für sie gewöhnungsbedürftig.
Was braucht man? Fantasie, Enthusiasmus und dickes Fell
Sie weiß: Als verheiratete Frau, deren Mann für das Einkommen sorgt, ist sie privilegiert, um sich selbst zu verwirklichen und beruflich weiterzuentwickeln. „Für mich ist diese Tätigkeit ein Kann, kein Muss.“ Auch wenn sie Geld für die Seminare bekommt, leben kann sie von ihrer Arbeit noch nicht. Das ist aber das Ziel.
Was man für solch einen Schritt mitbringen muss? „Enthusiasmus, Fantasie und ein dickes Fell.“ Es sei eine Riesenchance, in ihrem Alter etwas zu finden, was die Leidenschaft weckt. „Ich kann Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie konnte. Das ist wichtiger als Geld“, sagt sie. Etwa die pädagogische Arbeit mit Kindern: „Ich hätte auch Lehrerin werden können.“ Alles scheint möglich. Dennoch möchte sie ihre Jahre als Kamerafrau nicht missen. „Alles hat seine Zeit. Das, was ich jetzt mache, ist in diesem Lebensabschnitt besser.“
www.wabenwissen.de
Katharina Staudacher (38) war Produktmanagerin bei Tchibo. Heute stellt sie Nuss- und Früchteriegel her.
Die Karrieredaten: Internationales Management in den Niederlanden studiert, ein Semester in Barcelona eingelegt, im Investmentbanking tätig, bei Tchibo für die Sparte Bad, später für den Bereich Wellness und Gesundheit zuständig. Heute stellt Katharina Staudacher lieber Nuss- und Trockenfrüchteriegel her, die Frisco Crisp heißen, Poppy Limona oder Sahara Dragon.
Sie war für Tchibo in New York, Kalifornien, Paris, Zürich, Tokio – auf der Suche nach neuen Trends. Spannend waren diese Inspirationsreisen, zumindest eine Zeit lang. Nach fünfeinhalb Jahren aber hatte es sich erschöpft. „Ich wollte etwas Substanzvolleres machen“, erzählt die Mutter von drei Kindern (zehn Monate, zwei und fünf Jahre alt) an diesem Vormittag in ihrem Souterrain-Büro in Eimsbüttel.
Aber was genau sie wollte, wusste sie erst, als sie während ihres einjährigen Aufbaustudiums Produktmanagement im kalifornischen Berkeley selbst kreierte Mischungen von Nüssen und Trockenfrüchten in die Vorlesungen mitnahm, ihre Kommilitonen ihr diese wegaßen und dabei alles voll krümelten. Sie überlegte, wie sich Nüsse und Trockenfrüchte als Nuss-Snack ohne Cerealien, ohne Glukosesirup machen ließen. Sie besuchte ein Start-up für Müsliriegel in San Francisco, holte sich dort Wissen und Anregungen. Katharina Staudacher ging den Neustart strategisch an.
Eine Auszeit in Kalifornien hat ihr den Kopf geöffnet
Wieder in Deutschland, kündigte sie ihren Job. Der Gründungsgeist hatte sie gepackt, an ein Zurück in ihr altes berufliches Leben war nicht zu denken. „In den USA haben sie mir gesagt: Gründe etwas, und wenn es nicht funktioniert, dann machst du etwas Neues.“ Diese Auszeit habe ihr den Kopf geöffnet, wie sie es formuliert. „Es war mir hier zu eng. Wenn ich das nicht jetzt mache, würde ich es vielleicht bereuen, es nicht wenigstens ausprobiert zu haben.“
Sie hat es gewagt. „Ohne die Unterstützung meiner Familie und meines Mannes wäre es nicht gegangen“, sagt sie. Ihr Mann ist Rechtsanwalt, finanzielle Sorgen hatte sie nicht. Mit ihren Eltern hat sie zunächst drei Wochen lang von sieben Uhr bis 21 Uhr 4000 Nuss- und Früchteriegel produziert. Sie hat Rezepte ausprobiert und mit ihrer Geschäftspartnerin, einer früheren Kommilitonin, Klinken geputzt. Tchibo nahm die Riegel – heute verkauft ihre Firma foodloose in 4000 Geschäften in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Riegel.
Was Umsteiger brauchen: „Man muss es wollen und bereit sein, den Weg zu Ende zu gehen.“ Sie habe nie an ihrer Idee gezweifelt. „Ich wollte das, hatte mein Ziel vor Augen.“ Durchhaltevermögen sei nötig und Verzicht.
www.foodloose.net
Ludger Menke (51) arbeitet als DJ. Davor war er Chef vom Dienst und Online-Redakteur bei RTL Nord.
Der befristete Vertrag lief aus, und damit begann ein neues Leben für Ludger Menke. Sein beruflicher Neustart war also eher unfreiwillig. Und doch sagt er: „Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere. Das braucht nur Zeit und Geduld. Manchmal braucht es aber auch einen Anstoß, um umzudenken.“ Weil die notwendige Neuorientierung zumindest nicht überraschend kam, nutzte Ludger Menke bereits die Zeit vor dem Aus bei seinem früheren Arbeitgeber, um sich Hilfe bei einem Coach zu holen. Gemeinsam haben sie seine Stärken herausgearbeitet.
Was er dabei festgestellt und sich noch einmal bewusst gemacht hat: „Ich bin diplomatisch und kann gut netzwerken und vermitteln. Ich bin kreativ und gleichzeitig exakt“, sagt er. Das akkurate Arbeiten hat er schon während seines Bibliothekarstudiums an der TU Harburg gelernt. Natürlich ist ein Neustart nach mehr als 20 Jahren im selben Job nicht leicht, natürlich ist auch Ludger Menke auf Sicherheit aus, und seine Gefühlswelt war durcheinander. „Damit umzugehen ist ein Prozess, den du lernst.“ Er besuchte ein Existenzgründerseminar der Agentur für Arbeit.
Ein Jahr – dann muss der DJ-Job Geld bringen
Während dieser Phase entdeckte er seine Leidenschaft für Musik wieder. Arbeitete er auch vorher schon immer mal als DJ im Nebenjob, versucht er nun, mit dieser Arbeit hauptberuflich über die Runden zu kommen. Dazu gehört eine Portion Selbstvertrauen. „Du machst das, du schaffst das“, ist sein Motto. Angst vorm Scheitern? Die ist wohl da, deshalb hat er einen Plan B im Hinterkopf. Ludger Menke hat sich ein Jahr Zeit gegeben. Wenn es dann finanziell mit dem Job als DJ nicht ausreicht, muss er sich etwas Neues überlegen. „Man darf den Mut nicht verlieren.“ Das sagt er sicherlich auch ein bisschen sich selbst, positives Denken ist angesagt bei Umsteigern.
Ein festes Engagement hat „DJ little l“, wie Ludger Menke sich nennt, monatlich beim Club Dare im Nachtasyl, dazu kommen Hochzeiten und Firmenfeiern. Sein Repertoire reicht von 80er-Jahre-Musik über Hip-Hop, Soul, Dance Classics und Schlager bis hin zu seiner großen Liebe, dem Electroswing. „Es liegt einzig an mir, dass es läuft“, sagt er und fügt hinzu: „Ein bisschen Glück wäre aber auch hilfreich.“
www.dj-little-l.de