Hamburg. Schwangerschaft als Risiko: Weil Mutterschutz nur für Angestellte gilt, hoffen diese Selbstständigen auf den Erfolg einer Petition.
Aus der Werkstatt in den Kreißsaal. So ungefähr erging es Sonja Weidig. Die selbstständige Reitsportsattler- und Feintäschnermeisterin hat einen eigenen Betrieb in Hamburg. Bis kurz vorm Entbindungstag ihres Sohnes arbeitete sie noch, wo andere schon längst im Mutterschutz gewesen wären.
Denn das Gesetz, das Mütter sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt gesundheitlich schützen und finanziell absichern soll, gilt nur für Angestellte. Mit ihren Mitstreitenden hofft die 39-Jährige jetzt auf den Erfolg eines Antrags der Initiative #mutterschutzfueralle, der am 26. September vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vorgebracht wird.
Mutterschutz: „Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit"
„Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Frauen da so allein gelassen werden“, sagt Sonja Weidig. Anstatt der üblichen sechs Wochen verbrachte sie nur drei im Wochenbett. „Dann stand ich mit einem Beckenboden in der Werkstatt, der noch nicht wieder dafür gemacht war.“
Hämmern, Schneiden, Nähen und Stanzen: „Es gab arbeiten, die konnte ich nicht annehmen, weil ich die Bauchmuskeln dazu einfach nicht hatte“, so die Sattlerin. Bei anderen habe sie über ihre körperliche Belastungsgrenze hinaus gearbeitet – mit Rücken- und Hüftschmerzen als Folge.
Hamburger Handwerksmeisterin: „Das war hammerhart“
Genauso belastend das Emotionale: „Man will mit seinem Neugeborenen auf dem Sofa liegen und sich freuen, dass man ein kleines Menschlein hat. Stattdessen war ich froh, wenn es geschlafen hat und ich arbeiten konnte. Das war hammerhart.“ Bei der Geburt eines zweiteren Kindes, vier Jahre später, hatten sie und ihr Mann zwar mehr Rücklagen gebildet. Wochenlang nichts zu verdienen sei jedoch immer noch finanziell unmöglich gewesen. Obwohl sie es sich immer gewünscht hatte, sagt sie heute aufgrund dieser Erfahrungen: „Ein drittes Kind wird es nicht geben.“
Als selbstständige Handwerksmeisterin war Sonja Weidig in ihrem Bekanntenkreis eine Ausnahme: „Ich habe immer gedacht, ich bin alleine.“ Doch dann sei sie bei Instagram über die Petition einer Schreinermeisterin aus Niedersachsen „gestolpert“ – die mit 111.794 Unterzeichnungen unter dem Hashtag #mutterschutzfueralle überdurchschnittlich erfolgreich war. „Da ist mir erst klar geworden, dass ich kein Einzelschicksal war.“
EU-Richtlinie sichert Frauen Mutterschaftsleistungen zu
Die Petition fordert, dass eine EU-Richtlinie, die allen Frauen Mutterschaftsleistungen zusichert, auch in Deutschland durch eine Reform des Bundesgesetzes umgesetzt werden soll. Es müssten „Instrumente geschaffen werden, die schwangerschaftsbedingte Betriebsschließungen verhindern“, heißt es darin. Eine Schwangerschaft dürfe „keine Existenzbedrohung darstellen oder zu einer Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt führen.“
Dass viele Gründerinnen und Unternehmerinnen abwägen müssten, ob sie das „finanzielle Risiko Kinder“ eingehen könnten, weiß Gabi von der Decken, Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmerinnen in Hamburg und Schleswig-Holstein: „Nicht wenige verschieben die Familienplanung oder entscheiden sich dafür, die Selbstständigkeit aufzugeben und eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen.“
Zahl weiblicher Gründerinnen in der Vergangenheit kaum gestiegen
So liege die Zahl weiblicher Gründerinnen im Startup-Bereich bei nur 18 Prozent. Politische Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit für Job und Familie richteten sich vor allem an Arbeitnehmende. „Die Belange von Selbstständigen und Unternehmerinnen werden bisher nur am Rande berücksichtigt“, so Gabi von der Decken. Sie würden mit der aufwendigen Suche nach Absicherungsoptionen häufig alleingelassen.
Selbstständig erwerbstätige Frauen hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf die gesetzlichen Mutterschutzfristen oder Mutterschaftsgeld. „Ob sie in den Mutterschutz gehen können, hängt davon ab, ob sie freiwillig gesetzlich oder privat krankenversichert sind und eine zusätzliche Krankentagegeldversicherung abgeschlossen haben“, erklärt Gabi von der Decken. Sofern Krankentagegeld gezahlt werde, sei es in der Regel nur circa 70 Prozent des Durchschnittseinkommens des letzten halben Jahres.
„Massive, existenzbedrohende Probleme“
Wenn Gründerinnen keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld haben und keine – oft zu kostenintensive – Zusatzversicherung für Krankentagegeld vorhanden sei, seien sie „im Fall einer Schwangerschaft einem ernstzunehmenden finanziellen Risiko ausgesetzt“, sagt Gabi von der Decken. Gerade bei ungeplanten Schwangerschaften könne das zu „massiven existenzbedrohenden Problemen“ führen.
Freiwillig gesetzlich krankenversicherte Selbstständige, die einen Anspruch auf Krankengeld haben, können dieses innerhalb der „Mutterschutzfrist“ beziehen – in der Regel sechs Wochen vor dem Geburtstermin und acht Wochen danach. Aktuell erhält eine Selbstständige maximal 13 Euro am Tag. Hinsichtlich der laufenden privaten und betrieblichen Kosten sei das „nicht einmal der ‘Tropfen auf den heißen Stein’“ und werde mit dem Krankengeld verrechnet, heißt es dazu in der Petition.
Im Alter von nur 21 Jahren Selbstständig gemacht
Als „ein Unding“ bezeichnet das auch die freiwillig gesetzlich versicherte Siiri Pflughaupt, die sich bereits im Alter von 21 Jahren selbstständig machte. Sie ist Inhaberin der zwei „I love hair“ Friseursalons in Hamburg-Eimsbüttel – und hochschwanger: „Seit 15 Jahren bin ich selbstständig und zahle ja ganz normal Steuern. Für meine Rentenversicherung zahle ich noch knapp 600 Euro im Monat und für meine Krankenversicherung 1030 – also wirklich nicht wenig.“ Es sei unfair, dass für sie anderes gelte, als für Angestellte.
- So verbreitet ist sexuelle Gewalt in der Medienbranche
- Krankenkassen streichen Hamburger Gesundheitskiosk das Geld
- So politisch wie nie: Ein Auftakt mit Stars und Sorgen
Seit gut sechs Wochen ist Siiri Pflughaupt krankgeschrieben. Vor acht Wochen hatte sie Corona. Seitdem leide sie unter Atemnot – und zudem noch unter Schwangerschaftsdiabetes. Mal sei ihr Blutdruck zu hoch, dann wieder zu niedrig. „Immerhin habe ich ein Geschäft, da stehe ich noch besser da, als manche andere, die nur ihr eigenes Einkommen erwirtschaftet“. Das mache es aber auch komplizierter. Ihr Anspruch auf Mutterschaftsgeld entfalle bei ihr, da ihr Geschäft weiterhin Umsätze erzielen könne.
Mutterschutz: Warum die Reform so wichtig ist
Trotzdem sagt die 37-Jährige: „Es ist wichtig, sich als Frau nicht davon abschrecken zu lassen, seinem Traum nachzugehen, nur weil man irgendwann mal ein Kind haben möchte.“ Auch wenn sie wohl nicht mehr davon profitieren werde, so hoffe sie für andere Frauen auf die Reform des Mutterschutzes – „einfach um endlich Augenhöhe zu erreichen.“