Hamburg/Kiel. Nach der tödlichen Messerattacke entsendet Hamburg zwei Staatsräte in Kieler Ausschuss – obwohl das kurz vorher noch abgelehnt wurde.
Die Aufklärung der grausamen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit zwei Toten sorgt weiter für Spannungen zwischen Schleswig-Holstein und der Hansestadt – nimmt aber zumindest im politischen Raum Fahrt auf.
Am Montagabend und Dienstagmorgen sorgte zunächst ein Schreiben aus Hamburg für erheblichen Unmut in Kiel: Der Staatsrat der Justizbehörde, Holger Schatz, hatte darin dem Landtag mitgeteilt, dass die Justizbehörde, wie schon in der Vorwoche, nicht der Einladung zur Sitzung des Kieler Innen- und Rechtsausschusses an diesem Mittwoch folgen werde.
Messerattacke Brokstedt: Senat gibt Bürgerschaft Vorrang vor Landtag
Er begründete die Ablehnung mit der parallel stattfindenden politischen Aufklärung im Justizausschuss der Bürgerschaft, die noch nicht abgeschlossen sei und daher für den Senat Vorrang habe. Stattdessen bot er an, das Protokoll der Sitzung in Hamburg vom 2. Februar zur Verfügung zu stellen.
Diese Haltung empörte schleswig-holsteinische Landespolitiker, die Rede war vom mangelnden Willen Hamburgs, Fehler im Fall von Ibrahim A. aufzuarbeiten. Der 33-Jährige soll am 25. Januar nahe Brokstedt eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen im Regionalzug getötet und weitere Menschen schwer verletzt haben. Der Palästinenser war erst kurz zuvor in Hamburg aus der Untersuchungshaft entlassen worden, wo er wegen eines anderen Messerdelikts eingesessen hatte.
Ibrahim A. verglich sich mit Anis Amri – dem Attentäter von Berlin
Am Sonntag kam heraus, dass er sich in der Haftanstalt Billwerder mit dem Attentäter Anis Amri, der 2016 in Berlin 13 Menschen getötet hatte, verglichen und seine Tat indirekt angekündigt haben soll. Die Opposition erhob danach zumindest indirekt Rücktrittsforderungen gegen Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Dass ihre Behörde trotz des im Schreiben des Staatsrats bekundeten gemeinsamen Interesses, „die Hintergründe, die zu dieser schrecklichen Tat geführt haben, bestmöglich aufzuklären“, keinen Vertreter nach Kiel schicken wollte, empörte den Generalsekretär der schleswig-holsteinischen CDU, Lukas Kilian: „Uns fehlt jegliches Verständnis für das Hamburger Vorgehen“, sagte er dem Abendblatt.
CDU nennt Begründung der Justizbehörde eine „faule Ausrede“
Für Richard Seelmaecker, Justizexperte der Hamburger CDU-Fraktion, war der Verweis auf die Selbstbefassung im Fachausschuss „nichts als eine faule Ausrede“, wie er um 12.49 Uhr per Pressemitteilung verbreitete und forderte: „Im Sinne einer länderübergreifenden Zusammenarbeit fordern wir Bürgermeister Tschentscher auf, dafür zu sorgen, dass der Hamburger Senat und seine Justizsenatorin auch im Landtag Schleswig-Holstein zur Aufklärung beitragen.“
Doch zu dem Zeitpunkt hatte man sich im Rathaus bereits zur Kehrtwende entschlossen, die die stellvertretende Senatssprecherin Julia Offen kurz darauf verkündete: Die Staatsräte Holger Schatz (Justiz) und Thomas Schuster (Inneres) würden am Mittwoch doch nach Kiel fahren, um dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtages „die Hamburger Sicht darzustellen“, so Offen.
Das Prinzip „Hamburg First“ gilt nun doch nicht mehr
Auf Nachfrage des Abendblatts erklärte die Justizbehörde den überraschenden Sinneswandel mit der aktuellen Entwicklung: Nachdem die Befassung im Justizausschuss am 2. Februar nicht abgeschlossen worden sei, hätte die nächste reguläre Sitzung erst am 23. März stattgefunden. Doch nachdem am Wochenende die Aussagen von Ibrahim A. zu Anis Amri und möglichen Anschlagsplänen bekannt geworden waren, hatten sich alle Fraktionen der Bürgerschaft für eine erneute Sondersitzung des Ausschusses ausgesprochen – vermutlich wird sie Ende dieser oder Anfang kommender Woche stattfinden.
„Damit besteht nicht mehr die Gefahr eines erheblichen zeitlichen Auseinanderfallens der parlamentarischen Beratungen in den beiden Ländern“, so die Justizbehörde. Mit anderen Worten: Die im Schreiben des Staatsrats dargestellte prinzipielle Haltung, dass man „zunächst dem eigenen Parlament Auskunft geben“ wolle, gilt nun nicht mehr, da Kiel die Informationen nur ein paar Tage und nicht Wochen vorher erhält.
Kilian (CDU): „Aufklärungswille in Hamburg scheint eher begrenzt zu sein“
In Schleswig-Holstein wurde das erfreut registriert: „Dass die Justizbehörde doch an der Ausschusssitzung teilnehmen will, begrüße ich sehr“, sagte CDU-Generalsekretär Kilian, schickte aber auch hinterher: „Leider brauchte es dafür politischen Druck von allen Seiten. Der eigene Aufklärungswille in Hamburg scheint eher begrenzt zu sein. Die Zusammenarbeit der Länderparlamente ist so völlig unnötig in schweres Fahrwasser geraten.“
Das sieht Lena Zagst, justizpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen, etwas anders: „Seit dem Tag der Tat stehen wir mit unseren Kolleg*innen aus Schleswig-Holstein in einem intensiven Austausch“, teilte sie auf Anfrage mit. „Es gilt, diesen nun durch gegenseitige Präsenz bei den Fachausschüssen noch zu verstärken. Deshalb ist es gut, dass nun doch die Staatsräte aus Justiz- und Innenbehörde bei der Sitzung im Kieler Landtag vor Ort sind.“
Messerattacke Brokstedt: Hamburgs Grüne fordern Transparenz von Schleswig-Holstein
Sie sehe aber auch die Mitglieder schwarz-grünen Regierung in Schleswig-Holstein „in der Pflicht, gegenüber unserem Hamburger Justizausschuss Transparenz zu schaffen“, sagte Zagst. So seien mit Blick auf den Aufenthalt von Ibrahim A. in Kiel und weitere Abläufe „noch viele Fragen offen.“
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Dabei geht es also um den Zeitraum zwischen der Entlassung in Hamburg und der Tat. CDU-General Kilian wiederum sieht eklatante Widersprüche zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Ausländerbehörde der Stadt Kiel und der Hamburger Justizbehörde, über die man im Rechtsausschuss sprechen werde.
SPD regt gemeinsame Sitzung beider Parlamente an
Der Hamburger SPD-Justizexperte Urs Tabbert bringt in dem Zusammenhang ein neues Vorgehen ins Spiel: „Ich rege eine gemeinsame Sitzung der Justiz- und Rechtsausschüsse aus Hamburg und Schleswig-Holstein an“, sagte er dem Abendblatt. Denn der Fall betreffe beide Bundesländer: „Also macht es auch Sinn, dass wir das gemeinsam beraten.“