Hamburg. Jennifer Schäfer will die „die Milchwelt auf den Kopf stellen“. Mit der Branche hatte sie bis zur Gründung überhaupt nichts zu tun.

Die einen verzichten aus gesundheitlichen Gründen auf Kuhmilch, die anderen tun es aus moralischen. Jennifer Schäfer gehört zu der zweiten Gruppe, die meisten Kunden ihres Unternehmens stammen aber aus der ersten. Die 31-Jährige hatte mit der Lebensmittelbranche überhaupt nichts zu tun, als sie vor zwei Jahren mit Unmilk ein Unternehmen gründete, mit dem sie „die Milchwelt auf den Kopf stellen“ will.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht die Hamburgerin über eine Minderheit unter den Veganern, die Milch-Vorlieben der Deutschen und den ersten Kunden, den sie mit einem Produkt überzeugte, das noch gar nicht fertig war.

Das sagt Unmilk-Gründerin Jennifer Schäfer über ihre Idee, eine pflanzliche Milch zu entwickeln:

Ich war schon immer vegan bemüht, weil ich eine große Tierfreundin bin, und habe es in 90 Prozent der Fälle geschafft, mich vegan zu ernähren. Aber mit den pflanzlichen Milchprodukten, die es gab, hatte ich meine Probleme. Vor allem mit dem Käse, aber auch mit der veganen Milch, die angeboten wurde und die oft weder besonders nachhaltig noch besonders nährstoffreich war, vom Geschmack gar nicht zu sprechen. Je länger ich mich damit beschäftigt habe, desto stärker wurde mir klar, dass es in diesem Bereich Verbesserungsbedarf gibt. Also habe ich in meiner Küche begonnen, selbst etwas zusammenzumischen.

… das Problem der herkömmlichen Hafermilch:

Der Deutschen Liebling unter den pflanzlichen Milchprodukten ist die Hafermilch, sie kommt auf einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent, die andere Hälfte teilen sich Soja, Mandel, Kokos etc. Das Problem ist, dass Hafermilch sehr viel Zucker und Kohlenhydrate hat, und wenig Proteine. Wenn wir aber wirklich eine Alternative zur Kuhmilch haben wollen, brauchen wir ein Produkt, das in allen Punkten besser ist: beim Geschmack, bei den Nährwerten, bei der Nachhaltigkeit. Deshalb habe ich eine Hafermilch entwickelt, die auch pflanzliche Proteine enthält, was ja gerade für Menschen, die sich vegan ernähren, wichtig ist.

… Veganer aus Überzeugung:

Es wirkt so, dass die meisten Menschen aus Überzeugung Veganer werden, weil die, bei denen das wirklich so ist, ziemlich laut sind. Aber diese Gruppe ist in Wahrheit nur die Speerspitze der Bewegung. Die große Mehrheit der Menschen, die sich vegan ernähren, machen das, weil sie es aus gesundheitlichen Gründen müssen. Im Ausland staunt man übrigens immer, dass es in Deutschland noch so viele erwachsene Menschen gibt, die glauben, dass Kuhmilch gesund ist.

… ökologische Fußabdrücke:

Für mich ist immer noch eine moralische Frage, auf Kuhmilch zu verzichten. Nicht nur wegen der Kühe, sondern vor allem wegen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Vorteile. Für die Produktion von Unmilk wird deutlich weniger Kohlendioxid, Wasser und Land gebraucht als für die Produktion von Kuhmilch. Die meisten veganen Produkte haben einen wesentlich besseren ökologischen Fußabdruck als tierische Produkte.

… den ersten Kunden, die Drogeriemarktkette Rossmann:

Ich hatte als Quereinsteigerin in die Lebensmittelbranche überhaupt keine Ahnung, wie man in die Regale der großen Einzelhändler kommt. Also habe ich Einkäuferinnen und Einkäufern der Handelsketten E-Mails geschrieben und um Feedback zu meinen Ideen und Produkten gebeten. Eines Tages gab es eine Veranstaltung in Frankfurt, bei der junge Unternehmen die Vertreterinnen und Vertreter der Handelskonzerne überzeugen konnten. Ich wurde eingeladen, hatte aber zu dieser Zeit noch gar kein fertiges Produkt und musste deshalb improvisieren. Ich habe ein paar Einheiten in einem komplett weißen Tetra Pak produzieren lassen, ohne Marke, ohne Aufschrift, ohne irgendetwas. Aber der Chefeinkäufer von Rossmann war von dem Geschmack so überzeugt, dass er einige Proben mitgenommen hat. Rossmann hat Unmilk dann in 20 Läden quer durch Deutschland ins Sortiment genommen. Eigentlich sollte der Testverkauf drei Monate dauern. Doch nach vier Wochen war alles ausverkauft – und ich durfte alle 2400 Filialen beliefern. Das war ein Moment, den ich nie vergessen werde.

… ihre erste Firma und die Frage, wie Männer und Frauen entscheiden, welche Kleidung sie tragen:

Ich habe meine erste Firma mehr oder weniger aus Versehen gegründet, in einer Branche, in der ich mich nicht besonders auskannte und für die ich mich auch nicht besonders interessiert habe. Aber ich fand die Idee gut, eine App zu bauen, die dabei helfen sollte, die Lebensdauer von Kleidung zu verlängern. Unsere Frage war: Was muss man machen, dass die Klamotten, die man hat, auch wirklich getragen werden? Denn es gibt eine gar nicht so kleine Zahl von Kleidungsstücken, die nach dem Kauf niemals getragen werden. Allein Frauen in Deutschland haben im Schnitt 200 Kleidungsstücke, und da sind Unterwäsche und Socken nicht mitgezählt. Wir haben damals herausgefunden, wie Menschen entscheiden, welche Kleidung sie anziehen: Männern nehmen das, was vorn in ihrem Schrank liegt, Frauen denken am Tag im Schnitt zwölf Minuten darüber nach, was sie anziehen sollen. Die App hat inhaltlich funktioniert, aber wir haben einen großen Fehler gemacht: Wir wollten unsere Erfindung als eigene App etablieren, ohne Hilfe eines großen Anbieters wie About you oder Zalando. Und das hat wirtschaftlich eben nicht funktioniert.

Der Fragebogen an Jennifer Schäfer: Welche Rolle Fettes Brot spielt

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Ich wollte, als ich noch sehr jung war, Lehrerin oder Tierärztin werden. Später wurde mir klar, dass ich überhaupt kein Blut sehen kann und so ziemlich die schlechteste Besetzung für eine (Tier-)Ärztin wäre. Und auch die Lehrerinnen-Idee kam mir spätestens im Alter von 15 Jahren nicht mehr sonderlich attraktiv vor, wenn man so sieht, welchen Streifen die Lehrkräfte mitmachen. Also dachte ich dann, ich mache in irgendeinem großen Konzern Karriere – „irgendwas mit Marketing“. Dass ich einmal selbstständig werden würde, hatte ich nie gedacht – auch, weil meine Eltern selbstständig waren und mir und meinem Bruder immer dazu geraten haben, in ein „vernünftiges Angestelltenverhältnis“ zu gehen.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Ich habe viel von meinen Eltern darüber gelernt, was man erreichen kann, wenn man anpackt. Meine Eltern haben nie studiert, haben aber gemeinsam eine erfolgreiche Spedition aufgezogen. Dass Arbeitserfahrung, Kreativität und „Einfach-mal-machen“ in einem jungen Unternehmen häufig mehr wiegen als ein akademischer Abschluss oder ein Titel, habe ich von ihnen gelernt – auch wenn sie mir das nie so direkt gesagt haben.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Ich hatte, soweit ich mich erinnere, nie ein großes Vorbild, sondern habe mich immer viel an unterschiedlichen inspirierenden Personen orientiert, die mich in den jeweiligen Situationen umgeben haben. Übrigens in beide Richtungen, Anlehnung und Ablehnung: Wie man’s macht und wie man’s besser nicht macht!

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Dass ich gern diskutiere und vieles hinterfrage. Manche fanden das gut, einige nicht.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden,
den Sie heute machen?

Ich habe Unmilk vor zwei Jahren gegründet. Es ist mein zweites Start-up. Zum einen gehe ich in der schnellen, innovativen Start-up-Welt sehr auf, zum anderen ist aber vieles in dieser Blase nicht nachhaltig. Unmilk kombiniert alles, was ich liebe: Nachhaltigkeit und die aufregende Start-up-Welt.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Ich hatte in der Vergangenheit das Glück, von vielen gefördert und gefordert zu werden. Heute sind es im zweifachen Sinne meine Investoren, zu denen u. a. Katjes Greenfood, der Manager von Fettes Brot sowie zwei Hamburger Unternehmer gehören, die mich und Unmilk nicht nur monetär, sondern auch mit Rat und Expertise voranbringen.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Eine Chefin von mir hat einfach immer einen kühlen Kopf bewahrt. Das war in einer Agentur – alles musste schnell gehen, die Kundinnen und Kunden haben manchmal unrealistische Deadlines gesetzt, und der Druck war hoch. Nichtsdestotrotz hatte ich das Gefühl, dass diese Frau nichts aus der Bahn werfen konnte.

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Den Druck emotional weitergeben und auf das Team projizieren. Objektive Ziele sind wichtig und richtig. In stressigen Zeiten aber das Team zu belasten, ist etwas, was niemals förderlich ist und immer nach hinten los geht.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Mein Ziel ist es, immer da zu sein, wenn man mich braucht, aber die Kolleginnen und Kollegen selbst machen zu lassen. Selbst denken, Wege finden und Fehler machen gehört in einem Start-up zwangsläufig dazu. Ich selbst würde in einem Mikro-Management eingehen, das Gleiche gilt auch für mein kleines Team.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Nicht wichtig. Ich möchte mir ab und zu einen Urlaub leisten können, und wenn mal die Waschmaschine kaputtgeht, sollte mich eine solche Investition nicht komplett stressen. Aber ich mache mir sehr wenig aus materialistischen Dingen.

Was erwarten Sie von Mitarbeitern?

Ehrlichkeit und Eigenverantwortung.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Wenig auf fachliche Erfahrung: Ich bin ja selbst auch eine Quereinsteigerin und habe nichts mit Lebensmittelchemie o. Ä. gelernt. Viel wichtiger ist mir die Motivation und die Mentalität der Menschen.

Duzen oder siezen Sie?

Duzen.

Was sind Ihre größten Stärken?

Ich bin lösungsorientiert und habe keine Angst davor, Fehler zu machen.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ungeduld. Und es fällt mir schwer, eine natürliche Work-Life-Balance zu erreichen. Da muss ich mich sehr disziplinieren.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Anne Will.

Was würden Sie sie fragen?

Ich würde einfach gern mit Anne Will ein, zwei Bier trinken gehen und ihren Anekdoten lauschen. Ich glaube, da kann man nicht nur viel lernen, sondern wird gleichzeitig extrem gut unterhalten.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Kenne ich nur aus der Ferne, ist aber meiner Meinung nach ein gutes Instrument, um Mitarbeitende zu schützen.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Heute, gestern, jeden Tag.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Auf einer übergeordneten Ebene war es die Entscheidung, dass ich mich von den starren Karrierevorstellungen und konservativeren Ansprüchen an einen Lebenslauf verabschiedet habe. Ich habe zwei Start-ups gegründet in Bereichen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte – und habe dabei unglaublich viel gelernt, was mir jeden Tag weiterhilft.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Leider zu viele. Ich versuche aber aktiv, die Stunden zu verringern.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Situativ ganz gut, es staut sich dann aber an. Sport und lange Spaziergänge mit Hund helfen mir. Und Ausgeh-Abende mit Freundinnen und Freunden, an denen man über alles redet, außer über Arbeit.

Wie kommunizieren Sie?

Am liebsten persönlich oder telefonisch. Intern gern auch via Slack.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Den Großteil meiner Arbeitszeit. Ich freue mich immer, mal mit auf Außendienst-Tour zu fahren zu können. Da ich aber mitten in der Pandemie gegründet habe, hat sich das bisher leider in Grenzen gehalten. Glücklicherweise ist unser Büro in Ottensen aber sehr schön, und ich sitze mit meinen Kolleginnen und Kollegen in einem offenen Büro, das bringt viel Spaß.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Puh, das kommt auf das Individuum an. Aber generell: Mach das, was dich glücklich macht.

Was unterscheidet den Menschen von der Managerin?

Ich bin beruflich noch einen Tacken ungeduldiger als im Privatleben. Ansonsten aber nicht viel.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Danke, Hamburg, für zehn wundervolle Jahre!