Hamburg. Pflanzliche Alternativen zur Milch werden immer beliebter – der Markt ist umkämpft. Auf diese Produkte setzt ein Hamburger Start-up.

Es hat ein bisschen was von David gegen Goliath, wenn das Hamburger Start-up Unmilk in diesen Tagen zu den zahlreichen Getränken aus Hafer, Soja oder Mandeln weitere vegane Alternativen zur guten alten Kuhmilch ins Rennen schickt.

Schon jetzt ist die Auswahl in den Regalen der Supermärkte riesig. Längst sind auch mächtige Lebensmittelkonzerne wie Danone, Nestlé oder Müller in den Wachstumsmarkt eingestiegen. Die Haferdrinks des schwedischen Unternehmens Oatly haben bei jungen Menschen Kultstatus. Warum braucht es noch eine Marke?

Jennifer Schäfer nickt erst, dann sagt sie: „Wir haben etwas entwickelt, das gesünder ist als die Angebote anderer Hersteller.“ Klar, dass die Unmilk-Chefin das so sieht. „Wir setzen auf glutenfreien Hafer als Basis ohne Zuckerzusatz“, erklärt sie. Zudem werden die Milchalternativen von Unmilk mit Proteinen, Vitaminen und Spurenelementen wie Eisen angereichert – und kommen damit der Ernährungsbilanz von Milch näher.

Vegan: Hamburger Start-up Unmilk will Markt aufmischen

„Damit wollen wir mehr Menschen für den Umstieg gewinnen.“ Erst im vergangenen Jahr hat die 30-Jährige Unmilk gegründet. Gestartet war sie mit einem Protein-Shake auf Hafer-Basis. Jetzt legt die Jungunternehmerin nach und will mit ihren vier neuen Milchersatzsorten in den Massenmarkt.

Auch wenn die pflanzlichen Milchalternativen nach EU-Recht offiziell nicht Milch heißen dürfen, sie mischen den Milchmarkt inzwischen ordentlich auf. In dem Geschäft geht es längst um richtig viel Geld. So erwartete die ING-Bank nach einer aktuellen Studie eine Umsatzsteigerung von drei auf fünf Milliarden Euro im europäischen Markt.

Vegan: Jeder dritte Haushalt kauft Getränke aus Hafer & Co.

Nach Angaben von Marktforschern sind auch in Deutschland sowohl Umsatz als auch Absatz im vergangenen Jahr um mehr als 40 Prozent gestiegen. Mehr als jeder dritte Haushalt kauft bereits Getränke aus Hafer & Co., um sich damit ein Müsli zu mischen oder Milchschaum für den Cappuccino zu machen.

Steven Brechelmacher vom Marktforschungsunternehmen GfK sagt, dass allein im vergangenen Jahr zwei Millionen Haushalte dazugekommen sind. Auch wenn das Marktsegment mit einem Absatzanteil von fünf Prozent in dem Bereich, der traditionell Milchprodukte umfasst, noch überschaubar ist, ist der Wandel unübersehbar.

Der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch sinkt seit Jahren

Der Gesamtumsatz im Handel mit pflanzlichen Alternativen wird auf bis zu einer Dreiviertelmilliarde Euro geschätzt. Parallel sinkt der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch seit Jahren. Verbrauchte jeder Deutsche 2014 im Jahr 56,3 Liter, waren es 2020 nur noch 49,9 Liter. Und das obwohl die Preise für die Ersatzprodukte von durchschnittlich knapp zwei Euro je Kilogramm deutlich über denen von klassischer Milch mit weniger als einem Euro liegen.

Und das Wachstum des Marktsegments geht weiter. Im August verzeichnen die pflanzlichen Molkereiprodukte laut aktuellem GfK-Verbraucherpanel erneut einen Zuwachs von 12,4 Prozent im Vergleich zum August 2020. Die Corona-Pandemie hat den Veggie-Boom weiter befördert. Immer mehr Menschen ernähren sich ganz oder teilweise vegan, dazu kommen Lebensmittelunverträglichkeiten wie etwa Laktose-Intoleranz.

Fridays-for-Future-Generation ist die größte Käufergruppe

Wenn es um die Kaufgründe geht, verweisen Experten wie der Konsumpsychologe Paul Bremer vom Rheingold Institut zudem auf ein gestiegenes Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit. Gerade die jungen Leute der Fridays-for-Future-Generation, nach Datenanalysen die mit Abstand größte Käufergruppe, will beim eigenen Konsum anfangen. Bei der Herstellung der veganen Milchalternativen werden nachweislich weniger Wasser und Anbaufläche verbraucht als bei konventioneller Milch, auch die CO-Emissionen sind deutlich geringer. Allerdings: Der Milchersatz besteht vor allem aus Wasser. Je nach Sorte können das mehr als 95 Prozent sein. Kritiker halten die Produkte deshalb auch für „eine Mogelpackung“.

Die Fans hält das nicht ab: Musterbeispiel für den Hype um die Pflanzendrinks ist die schwedische Marke Oatly, die ihre Produkte erfolgreich als „Antiklima-Wandel-Getränk“ vermarktet. „Wir sind mitten in einer pflanzlichen Revolution“, sagte Oatly-Chef Toni Petersson vor einiger Zeit dem „Handelsblatt“. Beim Börsengang im Mai spielten die Newcomer zehn Milliarden US-Dollar ein – eine Bewertung, die sonst nur Tech-Firmen erreichen. Unter anderem kauften Prominente, wie Talkmasterin Oprah Winfrey, Schauspielerin Natalie Portmann oder der Rapper Jay-Z Aktien.

An den ersten fünf Tagen verkaufte Unmilk 8000 Packs

Davon ist die Hamburger Gründerin Jennifer Schäfer noch weit entfernt. Aber die Unmilk-Chefin, die direkt nach ihrem Wirtschaftsstudium in Schottland ihr erstes Unternehmen Daily Dress – eine Art virtueller Kleiderschrank auf dem Smartphone – mitgegründet hat und danach in einem Start-up-Inkubator beim britischen Konzern Unilever ein Waschmittel für den Abo-Verkauf entwickelte, hat große Ziele mit ihrer Marke.

Von Anfang an hat sie die österreichische Investmentfirma Square One Foods im Boot, die zum Start 250.000 Euro in die Geschäftsidee steckte. Im Juli 2020 kam das erste Produkt auf den Markt: ein Proteindrink auf Haferbasis in drei Geschmacksrichtungen. Schon nach fünf Tagen waren die 8000 Packs der ersten Produktion ausverkauft. Inzwischen gibt es einen Online-Shop, und die Unmilk-Shakes sind bundesweit bei Rossmann und Starbucks gelistet. Erste Verträge mit Express-Lieferdiensten in mehreren Großstädten sind geschlossen.

Der Umsatz von Unmilk liegt im hohen sechsstelligen Bereich

Bislang haben Schäfer und ihr inzwischen fünfköpfiges Team, das in einem Büro in Ottensen sitzt, 260.000 Stück abgesetzt. „Wir haben einen Umsatz im hohen sechsstelligen Bereich erwirtschaftet“, sagt Jennifer Schäfer. In diesem Jahr will sie mit ihrer Produkterweiterung noch mal ordentlich zulegen. Mehr als ein Jahr hat sie mit Unterstützung von Universitäten und Ernährungswissenschaftler an den Rezepten für ihre Milchalternativen getüftelt. Dabei ging es auch darum, den guten Geschmack zu treffen, ohne bei den Zusatzstoffen Kompromisse zu machen. „Erbsenprotein etwa schmeckt sehr bitter, trotzdem wollten wir ohne Zuckerzusatz auskommen“, sagt sie.

Inzwischen läuft die erste Produktion bei einem Herstellungsbetrieb in Hessen. Bereits auf dem Markt und im Online-Shop erhältlich sind die beiden Sorten Barista und Hanfprotein. Mitte Oktober kommen die Varianten Original, ebenfalls auf glutenfreier Haferbasis, sowie eine neue Entwicklung aus Kürbiskernen. Der Liter wird für 2,49 Euro und damit oberhalb der Durchschnittspreise angeboten. Mindestens 100.000 Stück ihrer pflanzenbasierten Drinks will sie bis Jahresende unter die Leute bringen. Aktuell verhandelt sie mit mehreren Handelsketten, auch Bäckereien und Cafés seien interessiert.

Auch Nahrungsmittelhersteller mit großem Budget wollen mitmischen

„Die Milchalternativen sind auf dem Vormarsch“, sagt auch Edeka-Kaufmann Jörg Meyer, der in Hamburg und Umgebung acht große Supermärkte betreibt. Inzwischen hat der Händler sechs bis sieben verschiedene Marken von der veganen Edeka-Handelsmarke Vehappy bis zum pflanzlichen Getränke-Pionier Alpro im Sortiment. Je nach Lage sei der Absatz allerdings unterschiedlich. Spitzenreiter ist die Filiale in der Rindermarkthalle in dem Einzugsgebiet Schanze und St. Pauli. „In der Rindermarkthalle verkaufen sich die Milchalternativen im Vergleich zu H-Milch schon doppelt so gut“, so Meyer.

Die Konkurrenz im Regal wird unterdessen härter. Neben den Unternehmen, die auf pflanzliche Produkte spezialisiert sind, mischen auch Nahrungsmittelhersteller mit großen Budgets mit. Ganz weit vorn ist Danone, die unter anderem den deutschen Anbieter Alpro übernommen haben. Jedes fünfte Produkt des Konzerns soll bis 2025 pflanzlich sein, hatte Deutschlandchef Richard Trechmann ebenfalls im „Handelsblatt“ angekündigt.

Biobetrieb Hamfelder Hof erhöht Milchpreise um 20 Cent

Die Milchbauern erfüllt der Trend mit Sorge. Die Milchwirtschaft will mit der Initiative Milch gegensteuern und Kuhmilch vor allem bei jungen Menschen wieder ins richtige Licht rücken. Schon jetzt leiden die Landwirte unter zu niedrigen Milchpreisen. Eigentlich müssten diese in den Supermärkten und Discountern teurer werden, gerade auch im Vergleich zu den Ersatzprodukten. Für ein besseres Tierwohl seien 20 Cent mehr je Liter angemessen, haben Kieler Forscher ausgerechnet. Das aber könnte die Verkaufszahlen weiter beeinträchtigen.

Die bäuerliche Bio-Genossenschaft Hamfelder Hof hat gerade die Preise für ihre Produkte um 20 Cent erhöht. Im Gegenzug verpflichtet die Gemeinschaft ihre Mitglieder zu höheren Qualitätsstandards bei Tierwohl, Naturschutz und Arbeitsbedingungen. Wie die Kunden reagieren, muss sich jetzt zeigen.

Bald könnte es die „Unmilk-Milchschnitte“ geben

Auch Unmilk-Chefin Jennifer Schäfer denkt schon weiter. „Unser Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung im Verbraucherverhalten. Wir wollen dazu beitragen, dass pflanzenbasierte Produkte sich als neuer Standard etablieren und Kuhmilch nur noch eine Alternative ist“, sagt sie. Anfang nächsten Jahres ist eine weitere Finanzierungsrunde in Höhe von bis zu 1,5 Millionen Euro geplant. Mit frischem Geld will die Unternehmerin, inzwischen selbst 100-prozentige Veganerin, das Wachstum vorantreiben und weitere Produktkategorien entwickeln. Desserts, wie etwa Pudding, auf pflanzlicher Basis, sind geplant. Auch eine Unmilk-Schnitte ist denkbar – analog zur bekannten Milchschnitte. Ein Produkt, das schon jetzt herausgekommen ist, liegt ihr besonders am Herzen: das Do-it-Yourself-Haferpulver, das man sich selbst anmischen kann. Aus dem 750 Gramm-Beutel werden acht Liter Hafer-Drink. „Grüner wird es nicht“, sagt sie.