Hamburg. Die Deutschen geben weniger Geld für Bio-Lebensmittel aus. Das trifft auch die Hamburger Firma. Inhaberin setzt aber auf Wachstum.
Cathrin Engelhardt bezahlt noch schnell die Biokartoffeln und den Ökosalat in ihrer Filiale am Eppendorfer Baum. „Heute Abend kommt die Nachbarin zum Essen“, sagt die Inhaberin der Hamburger Reformhauskette, die den Nachnamen der Chefin trägt. Dann geht es zurück in die Firmenzentrale an der Osterfeldstraße. Die 20 Beschäftigten in der Verwaltung von Reformhaus Engelhardt arbeiten dort auf großzügig bemessenen 550 Quadratmetern hinter großen Fenstern. 2022 sind sie aus eher beengten Verhältnissen an der Bogenallee in Harvestehude nach Lokstedt umgezogen. Es war das zweite Jahr, in dem das Unternehmen die Pandemie schmerzlich zu spüren bekam.
Schon 2021 gingen die Umsätze in den Engelhardt-Filialen um sechs Prozent zurück, unter anderem weil Naturkosmetik in Zeiten von Maskenpflicht und Homeoffice schwerer zu verkaufen war und das Immunsystem stärkende Naturarzneien nach Beginn der Impfkampagne weniger gefragt waren. Immerhin: Während die gesamte Reformhaus-Branche das Umsatzplus von acht Prozent aus 2020 im Jahr darauf gleich wieder komplett einbüßte, blieb für die Hamburger Kette vom Corona-Boom noch etwas übrig. Doch auch 2022 waren die Erlöse bei Engelhardt erneut rückläufig.
Markt für Bioprodukte erstmals geschrumpft
Die hohe Inflation und ein stark verändertes Kaufverhalten der Kunden setzen der gesamten Biobranche heftig zu. „Der Biomarkt in Deutschland ist erstmals in seiner Geschichte geschrumpft“, berichtete der Deutsche Bauernverband zum Jahresende. Nach Beobachtung von Experten kaufen Verbraucher zwar weiter gern Bioprodukte, aber lieber billiger in Supermärkten und bei Discountern, die ihre Sortimente stark erweitert haben, statt in Biosupermärkten, kleinen Naturkostläden und Reformhäusern. Die Folge: Mehrere große Ketten gerieten in Existenznot, flüchteten in Schutzschirm- und Insolvenzverfahren in Eigenregie. Das Marktforschungsunternehmen GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) verkündete im Herbst, die Umsätze der Biosupermärkte seien binnen Jahresfrist um 10,8 Prozent eingebrochen. Die Erlöse von Naturkostläden und Reformhäusern sogar um 37,5 Prozent.
Rainer Plum, Vorstand der Reformhaus-Genossenschaft, hält diese Zahl allerdings für irreführend. Die GfK werfe in ihrer Statistik zusammen, was nicht zusammengehöre. „Die Reformhäuser kommen deutlich besser durch die Krise als die Naturkostbranche“, sagt Plum. „Nach einem starken Geschäft im vierten Quartal sind wir voraussichtlich mit einem leichten Umsatzminus von zwei bis drei Prozent aus dem Jahr gegangen“, erwartet er. Cathrin Engelhardt weiß es für ihr Unternehmen schon genauer: „Der Umsatz ist um 2,4 Prozent gesunken.“ Die Erlöse lagen bei etwa 20 Millionen Euro.
Weniger Kundinnen im Geschäft
Es ist nicht die einzige Folge des veränderten Kaufverhaltens. „Die Durchschnittssumme pro Bon steigt zwar, doch die Frequenz geht zurück. Die Kundinnen kaufen seltener bei uns ein“, sagt sie und wählt ganz bewusst die weibliche Form. Der Männeranteil an den Kassen der Filialen liegt bei gerade einmal zehn Prozent. Manche Produkte, für die Kundinnen früher extra ins Reformhaus kamen, nehmen sie nun aber doch gleich mit beim Einkauf im Supermarkt.
Dieser Trend hat sich in diesem Jahr zwar noch verstärkt, doch müssen die Reformhäuser schon seit Jahrzehnten damit umgehen, dass Produkte, die es anfangs nur bei ihnen gab, auch andernorts zu haben sind. So wie die Rotbäckchen-Säfte, Nahrungsergänzungsmittel oder Tees und Naturarzneien von Salus, die inzwischen fast flächendeckend im Lebensmittelhandel, in Drogerien und Apotheken verkauft werden. „Ungeschwefelte Aprikosen gab es noch vor 20 Jahren nur bei uns, heute fast überall. Noch etwa 15 bis 20 Prozent des Reformhaus-Sortiments sind exklusiv“, schätzt Genossenschaftsvorstand Plum.
Reformhaus Engelhardt: Produkte, die kein Supermarkt hat
In den Engelhardt-Filialen umfasst das Sortiment bis zu 4000 Produkte – und wird ständig angepasst, um neue Anreize für einen Besuch im Fachgeschäft zu setzen. Die Preise für ein Glas Manuka-Honig, der als Naturheilmittel mit antibakterieller Wirkung gilt, beginnen im Reformhaus bei etwa 50 Euro. „Supermärkte oder Biomärkte haben ohne Beratungskompetenzen keine Chance, diese hochpreisigen Produkte zu verkaufen“, ist die Reformhaus-Chefin überzeugt. Seitdem die Energiepreise so stark steigen, ist die Auswahl an wärmenden Socken und Hausschuhen bei Engelhardt deutlich größer.
Eben weil Reformhäuser schon lange nicht mehr die erste Adresse für vegane und vegetarische Lebensmittel seien, seien sie jetzt von den drastischen Verschiebungen im Handel gar nicht so sehr betroffen, sagt Plum. „Grüne Frische spielt in den Geschäfte praktisch keine Rolle mehr.“ Bei Engelhardt ist die am Eppendorfer Baum eine von wenigen Filialen, die überhaupt noch frisches Obst und Gemüse anbieten. „Weil es in der näheren Umgebung weder einen Biosupermarkt noch einen Supermarkt mit größerem Biosortiment gibt“, sagt Cathrin Engelhardt.
Reformhaus Engelhardt: Mindestens drei neue Filialen in diesem Jahr
Weniger Kundinnen im Geschäft, zudem Personalmangel und hohe Krankenstände unter den insgesamt etwa 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – all das führt dazu, dass in vielen Filialen die Öffnungszeiten verkürzt werden. Die am Eppendorfer Baum schließt seit Kurzem bereits um 19 Uhr. „So wie fast alle Geschäfte in der Umgebung. Bis 20 Uhr zu öffnen ist nicht mehr sinnvoll.“ An anderen Standorten gibt es nun einen Ruhetag in der Woche, sie schließen an zwei Nachmittagen oder in der Mittagszeit. Die Filiale im Harburger Phoenix-Center wird Mitte Februar sogar ganz aufgegeben. „Die Miete ist relativ teuer. Und bei den Öffnungszeiten sind die Center-Standorte an Vorgaben gebunden“, sagt Engelhardt über die Gründe. Zudem gibt es in Harburg eine weitere Filiale.
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Trotz zweier Jahre mit sinkenden Umsätzen ist an eine größere Bereinigung bei der mit mehr als 35 Standorten größten Reformhauskette in Hamburg und Schleswig-Holstein allerdings nicht gedacht. Im Gegenteil. Im niedersächsischen Walsrode wird Engelhardt in naher Zukunft ein Reformhaus übernehmen. Noch für dieses Jahr sind zudem zwei Neueröffnungen vorgesehen. Jeweils eine nördlich und südlich der Hansestadt. Eine dritte Neueröffnung wird angestrebt, ist aber noch nicht spruchreif.
900 Reformhäuser in Deutschland – die Branche ist stabil
Dass Ketten wie die Hamburger kleinere Unternehmen übernehmen, deren Inhaber im fortgeschrittenen Alter sind und in der Familie keinen Nachfolger finden, ist für die Branche typisch. Der Filialisierungsprozess läuft bereits seit Jahren. Zugleich ist das Reformhaus-Sterben gestoppt. Von den einst bundesweit etwa 2000 Geschäften in den 1970er-Jahren sind gut 900 geblieben. Die Zahl ist seit geraumer Zeit in etwa stabil.
Der Vorteil bei der Übernahme eines guten Standorts ist auch, dass das Beratungs- und Verkaufspersonal nicht erst ausgiebig geschult werden muss. Kompetente Mitarbeiterinnen, die wissen, welches Produkt hilfreich sein könnte, sind in der Branche unerlässlich. Welche Kundin weiß schon, dass Trinkmoor mit Huminsäure so etwas Ähnliches ist wie flüssige Heilerde? Und die, die es wissen, finden Trinkmoor wohl nur im Reformhaus.
Cathrin Engelhardt sieht in geschultem Personal das größte Plus der Reformhäuser gegenüber der Konkurrenz durch Lebensmittler und Drogerien. Das genaue Gegenteil ist am Eppendorfer Baum nur wenige Meter von der Engelhardt-Filiale entfernt zu besichtigen. Im Lebensmittelladen Hoody läuft der Verkauf rund um die Uhr, ohne Personal und hochautomatisiert. Cathrin Engelhardt ist überzeugt: „Je mehr völlig unpersönlich gekauft wird, desto mehr wächst das Bedürfnis nach einer persönlichen, fachkundigen Beratung beim Kauf anderer Produkte.“