Bewohner der „Hamburg Bau ’78“-Häuser von Entscheidung des Denkmalschutzamtes überrumpelt. Was die Behörde dazu sagt.
- Siedlung im Hamburg-Poppenbüttel überraschend unter Denkmalschutz gestellt
- Bewohner fühlen sich überrumpelt und schlecht informiert
- Viele fürchten nun einen deutlichen Wertverlust ihrer Häuser
Die Eigentümer der 221 Häuser in der Siedlung „Hamburg Bau ’78“ in Poppenbüttel mochten es nicht glauben, als ihnen im September 2022 Post in Haus flatterte. „Mit diesem Schreiben möchte ich Sie darüber informieren, dass Ihr oben genanntes Objekt ein gesetzlich geschütztes Denkmal ist“, schrieb die Leiterin des Denkmalschutzamtes.
„Wir sind alle überrumpelt worden“, sagt Marco Zahn, der 2008 in der Siedlung ein Haus gekauft hat. Die erste Konsequenz haben er und einige Nachbarn schon zu spüren bekommen. Ihre Versicherung hat sich gemeldet und den Beitrag für die Wohngebäudeversicherung erhöht. Bei dem selbstständigen Dachdeckermeister hat sich der Jahresbeitrag um 200 Euro erhöht hat. Doch das ist für viele noch das geringste Problem, wie sich bei einem Gesprächsabend auf Einladung der CDU-Bezirksfraktion Wandsbek zeigte.
Hamburger Siedlung plötzlich denkmalgeschützt – Hauspreise im Keller
Die „Hamburg Bau ’78“ wird begrenzt durch die Straßen Kreienstieg, Ohlendieksredder sowie Poppenbütteler Berg und Poppenbütteler Bogen. Der Denkmalschutz erstreckt sich auf die gesamte Siedlung, ihre Wegeführungen, Platzgestaltungen und bauzeitlichen Wohnbauten sowie die Kunst im öffentlichen Raum. Zu einem Denkmal gehören demnach sein Zubehör und seine Ausstattung, soweit sie mit diesem eine Einheit von Denkmalwert bilden, heißt es.
Die damalige Zeit war durch die Abwanderung aufs Land geprägt – wer es sich leisten konnte, zog ins Umland. Die Hamburg Bau war eine Reaktion auf das Bauprogramm Eurobau 1976 in Norderstedt. Der Hamburger Senat wollte den Nachbarn die Stirn bieten. Von April bis August 1978 konnten dann Besucherinnen und Besucher in Poppenbüttel bezugs- bzw. verkaufsfertige Häuser unterschiedlichster Bauart und Ausstattung besichtigen.
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Immobilien in Poppenbüttel: Im Preis inbegriffen – Grundstück, Haus und Garten
Sie konnten Kataloge kaufen, die über Kosten, Bauträger und Architekten informierten. Im Angebot waren unterschiedlichste Haustypen, darunter Gartenhofbungalows, Einzelhäuser, Stadthäuser und Kettenhäuser, die als zweigeschossige Wohnbauten mit je einem eingeschossigen Nebengebäude verbunden sind.
Rainer Töbing ist ein Bewohner der ersten Stunde. Er hat sein Haus an der Kreienkoppel mit seiner Frau vor 45 Jahren gekauft. „Junge Familien sollten in Hamburg gehalten werden“, sagt der pensionierte Apotheker. „Man musste sich registrieren lassen und kriegte Punkte, wenn man jung verheiratet war.“ Im Kaufpreis inbegriffen waren seinen Angaben zufolge das Grundstück samt Haus und angelegtem Garten.
Hauspreise: Denkmalschutz bedeutet Wertminderung
Töbing hat noch den inzwischen etwas zerfledderten gelben Katalog der damaligen Bauausstellung mit dem Titel. „Wohnen im Einfamilienhaus. 85 Aussteller zeigen 221 Häuser“. Er habe mit seiner Frau und den beiden Töchtern gern in dem Haus gewohnt, sagt Töbing, der inzwischen verwitwet ist und es gern verkaufen möchte. 180 Quadratmeter seien ihm allein inzwischen viel zu groß und er möchte näher Richtung Innenstadt, sagt der 75-Jährige.
Laut Bebauungsplan sei auf seinem Grundstück eine Doppelbebauung möglich, sagt Töbing, aber „das kann ich jetzt vergessen“. Für ihn bedeute der Denkmalschutz eine erhebliche Wertminderung seiner Immobilie. Die von ihm beauftragte Maklerin habe ihm schon gesagt, dass er mindestens 100.000 Euro weniger erzielen werde als vor der Unterschutzstellung der Siedlung. Zumal an seinem Holzhaus etliches saniert werden muss, etwa die Fenster. „Das sind Holzfenster und alles Maßanfertigungen. Hier im Haus gibt es 20 Fenster.“
Siedlung in Hamburg: Maklerin spricht von Wertverlust
Katja Frontzkowski ist Geschäftsführerin von Reschke Immobilien. Die Maklerin schildert den Eigentümern der Siedlung ihre Sicht der Dinge: „Wie sich der Denkmalschutz auswirkt, kommt auf den Einzelfall an“, sagt sie, „es hängt sehr vom energetischen Zustand der Immobilie ab. Wer im letzten Jahr durchsaniert hat, ist fein raus.“ Andernfalls werde der Denkmalschutz eher eine bis zu 30 Prozent wertmindernde Wirkung bis haben, weil Sanierungen eventuell nicht wie geplant genehmigt würden.
„Das ist hier etwas anderes als bei einer denkmalgeschützten Villa in Winterhude, wo es prestigesteigernd sein kann.“ Der bürokratische Aufwand für die Eigenheimbesitzer erhöhe sich künftig erheblich. Dazu komme, dass sich der Markt verändert habe hin zu einem Käufermarkt. „In Ihrer Siedlung überwiegen die Nachteile“, sagt Frontzkowski.
„Viele ältere Leute sind mit ihren Häusern in die Jahre gekommen“, sagt auch der CDU-Bezirksabgeordnete Philip Buse, der die Heimlichtuerei des Denkmalschutzamtes kritisiert. In einer Antwort des Bezirks Wandsbek auf eine CDU-Anfrage heißt es auch, es „erschien nicht zielführend, mindestens 221 Hauseigentümerinnen und -eigentümer in die Untersuchungen einzubeziehen“.
Behörde schickte nur ein Schreiben an die Eigentümer
Das sei rechtlich in Ordnung, sagt Gero Tuttlewski, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, aber es wäre auch nicht verboten, Betroffene im Vorfeld zu informieren, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Alle baulichen Veränderungen seit 1978 hätten aber Bestandsschutz, versichert er. Und davon gebe es viele, sagen viele Eigentümer.
Die einzige organisierte Kontaktaufnahme zwischen Eigentümern und Denkmalschützern sei eine Zoom-Konferenz gewesen, kritisiert Marco Zahn. „Viele waren deshalb ausgeschlossen. Meine Nachbarn sind 81 und 83, die können mit so etwas gar nicht umgehen.“ Er kann den Schutzwert für die gesamte Siedlung nicht erkennen: „Das sind Holz-Jaffa-Kisten, die mit Klinker schön gemacht wurden. Und hier ist sehr viel umgebaut worden.“ Er würde gern eine Solaranlage installieren, „das darf ich jetzt nicht mehr.“
Wer etwas umbauen will, muss kostenpflichtigen Antrag stellen
Auch Töbing beklagt, dass er und seine Nachbarn nun jede geplante Baumaßnahme beim Denkmalschutzamt beantragen müssen und dieser Antrag sei zudem kostenpflichtig. Er dürfe ja nicht einmal mehr seine Buchenhecke vor dem Haus schneiden ohne Antrag. Sein Nachbar, der im vergangenen Jahr erst gekauft hat, wolle wegen seiner kleinen Kinder einen Zaun errichten, „das darf er jetzt nicht mehr.“
Marianne Kurzer, Sprecherin des Denkmalschutzamtes stellt ihre Sicht wie folgt dar: „Das Denkmalschutzamt untersucht Objekte oder Ensembles, die eventuell einen Denkmalwert besitzen, gründlich und prüft ergebnisoffen. Dem Ergebnis einer solchen Prüfung wird nicht vorgegriffen, deshalb werden Eigentümerinnen und Eigentümer erst informiert, wenn final feststeht, dass ihr Gebäude einen Denkmalwert besitzt und deshalb unter Schutz gestellt wird.
Ensemble-Schutz in Hamburg für bislang 51 Siedlungen
In einem umfassenden Projekt überprüft das Denkmalschutzamt Hamburg seit 2020 Objekte aus den Jahren zwischen 1975 bis 1995. In diesem Rahmen wurde auch Hamburg Bau untersucht.“ Laut Kurzer gibt es einen Ensemble-Schutz für bislang 51 Siedlungen, darunter zuletzt die Wohnhausgruppe Windfeld 20–38 in Rissen.
Dennis Thering, CDU-Bürgerschaftsabgeordneter für den Wahlkreis Alstertal, will sich nicht mit dem Denkmalschutz für die Hamburg Bau abfinden. Er versprach den Siedlern, in der Bürgerschaft einen Antrag auf einen Aufhebungsbeschluss zu stellen.
Es gibt viele große denkmalgeschützte Siedlungen in Hamburg
Nach Angaben von Kurzer sind auch sehr große Siedlungen wie die Gartenstadt Berne (1920er Jahre), Gartenstadt Farmsen (1950er Jahre), Siedlung Hohnerkamp (1950er Jahre), Fritz-Schumacher-Siedlung (1920er Jahre), die Jarrestadt (1920er Jahre), Dulsberg (1920er Jahre) und die Veddel (1920er Jahre) denkmalgeschützt.
Auch ausgedehnte Komplexe des späten 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts wie um die Isestraße oder den Innocentiapark (beides Harvestehude) herum zählen in die denkmalfachliche Kategorie Siedlung, ebenso wie ganze Ortskerne, etwa Bergstedt oder Neugraben. Wie auch die Siedlung Hamburg Bau sei die Siedlung Windfeld ein wichtiges Zeugnis für die Wohnungsbaupolitik der Stadt Hamburg in den 1970er Jahren. Das Denkmalschutzamt prüfe durchgehend zahlreiche Objekte und Ensembles nach den Kriterien des Hamburger Denkmalschutzgesetzes auf einen eventuell vorhandenen Denkmalwert.