Hamburg. Krebsverdächtiges Naphthalin beseitigt. Aber interne Mails zeigen: Bis 2028 bleibt das Uni-Gebäude Baustelle – und nicht nur das.

Um das älteste Gebäude auf dem Campus der Universität Hamburg hat sich eine Posse entwickelt, die selbst die anderen problembelasteten Bauprojekte der „exzellenten“ Hochschule in den Schatten stellt. Das Gebäude am Allendeplatz 1 (AP1) neben dem Abaton-Kino, das ein Pferdestall war und von allen so genannt wird, ist auch nach Jahren aufwendigster Sanierung nicht wie gewohnt nutzbar. Wie berichtet, wurde zunächst die Schadstoffbelastung mit krebsverdächtigem Naphthalin lange ignoriert. Ein erster Versuch, das Umweltgift zu beseitigen, ging schief – Pfusch am Bau.

Zwei Stockwerke des Pferdestalls wurden gesperrt, der Uni-Betrieb und Professorenbüros von dort in Ausweichquartiere verlegt. Es stellte sich mittlerweile heraus, dass nicht nur der Boden, sondern auch die Wände belastet waren. Und da man einmal die Substanz des denkmalgeschützten Hauses anschaute, fiel auf: Ein Dachschaden ließ Wasser die Wände herunterlaufen, die modernisierte Bibliothek lastet bedenklich auf der gesamten Statik des Hauses, Technik und Leitungen sind marode.

Universität Hamburg: Pfusch im Pferdestall

Der Fahrstuhl musste ohnehin abgestellt werden. Nur die Fittesten schaffen es zu Büchern und wissenschaftlichen Magazinen ins oberste Geschoss. Bei ohrenbetäubendem Baulärm während der Öffnungszeiten zogen viele ihre Studentenbuden sowieso vor.

Und wer zum erlauchten Kreis der etwa 100 betroffenen „Entscheider“ rund um den Pferdestall gehörte, der las vor dem Fest eine wenig frohe Botschaft: In einer internen E-Mail an alle, die es nicht wahrhaben wollten, hieß es von der verantwortlichen Architektin: Die Arbeiten zur Schadstoffsanierung seien wohl vor Weihnachten abgeschlossen. Die Baustelle werde abgebaut. „Im Ergebnis wird dann das Gebäude in den ehemals befallenen Bereichen weitgehend bis zum Rohbau zurückgebaut sein. Diese Flächen sind bis auf Weiteres nicht für den Universitätsbetrieb nutzbar. Seitens der BWFGB (Wissenschaftsbehörde, die Red.) wurde bislang keine Finanzierungszusage zu der erforderlichen Grundsanierung gegeben.“

Aber wenn diese Zusage käme, dann sei AP1 „frühestens 2028“ vollständig nutzbar. Zusammengefasst: Auf zwei Etagen ist der Pferdestall jetzt ein Rohbau. Mit Glück und Geschick geht’s in fünf Jahren wie gewohnt weiter in Forschung und Lehre.

Interne Mail legt Ausmaß der Sanierungsbedürftigkeit offen

Das war ein Hammerschlag. Mit der Mail erfuhr man nebenbei, wen das alles betrifft: Studentinnen und Studenten, Professoren, Mitarbeiter, Reinigungskräfte, die sogenannte T-Stube, die mit einer Mailadresse aus dem Reich der Straßenkampf-Aktivisten angewählt wurde, und die Pony-Bar. Aus dieser einzigartigen Pferdestall-Mischung regt sich nun Protest.

So sei kein vernünftiges Studium mehr möglich, heißt es bei den abgewogen und tiefgründig argumentierenden Jung-Akademikern. Aus dem Fachschaftsrat sagte Student Lars André Kaufmann: „Es gibt nicht einmal eine feste Interimslösung. Für Seminare und andere Veranstaltungen wird es immer schwieriger, Räume zu finden und zu buchen.“ Das werde man nicht hinnehmen. „Wir werden uns die Form des Protestes noch überlegen, um verantwortungsvolle Wissenschaft wieder zu ermöglichen.“

Studenten: "Die Wissenschaft ist dauerhaft unterfinanziert"

Seine Kommilitonin Mena Winkler sagte: „Die Wissenschaft ist dauerhaft unterfinanziert. Wir müssen Verantwortung übernehmen, das zu verändern.“ Die Master-Studentin kritisiert die Hamburg-typische Finanzierung: „Die Uni müsste selbst Geld in die Hand nehmen können, um die Sanierung zu beschleunigen. Durch das Mieter-Vermietermodell in Hamburg ist eine schnelle Problemlösung dem demokratischen Entscheidungsprozess entzogen.“ Kein Mitreden wie üblich im akademischen Betrieb und Sorgen vor der nächsten Bewertungsrunde der Exzellenz-Prüfer – Uni und Wissenschaftsbehörde stehen unter Druck.

Für die Professorenschaft sagte der Sprecher des Fachbereichsrates, Volker Lilienthal: „Grundsanierung ist gut. Aber bis 2028 können wir nicht warten. Da muss mehr Tempo rein. Die Sozialwissenschaften brauchen viel eher wieder einen produktiven Arbeitsort.“ Das Hin- und Herpendeln zwischen Campus und Ausweichquartieren in Altona und die Suche nach geeigneten Räumen für Forscherteams verlange zu großen Zeitaufwand für Studenten und Wissenschaftler.

„Falls die Grundsanierung unvermeidlich sein sollte, wovon noch nicht alle restlos überzeugt sind, brauchen wir für die Zwischenzeit ein hinreichend großes Ausweichquartier, in dem alle gemeinsam studieren, lehren und forschen können. Und dieses Quartier sollte unbedingt in Campusnähe liegen.“

Baumängel und Verzögerungen auch am Phil-Turm

Finanzsenator Andreas Dressel (l.), Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Uni-Präsident Hauke Heekeren begehen die Baustelle „Philturm“.
Finanzsenator Andreas Dressel (l.), Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Uni-Präsident Hauke Heekeren begehen die Baustelle „Philturm“. © Axel Heimken/ dpa

Mit dem Ausweichen ist das so eine Sache. Über Jahre mussten Studenten und wissenschaftliches Personal in die City Nord pilgern, da der 14-stöckige Philosophenturm saniert wurde. Bislang war keine geordnete Rückkehr möglich, da zunächst ein unabsehbar komplexer Umbau, dann Corona und nunmehr der Ukrainekrieg als Gründe für Verzögerungen herhalten müssen. Interimsquartiere verschlingen Millionen für Mieten.

Die Betroffenen vom Allendeplatz würden sich einen direkten Draht in die Wissenschafts- und Finanzbehörde wünschen, um auf die Not aufmerksam zu machen. Lilienthal sagte: „Über die belastenden individuellen Arbeitsbedingungen hinaus befürchten wir langfristige Schäden für das Image der Universität Hamburg. Studierende und wissenschaftlicher Nachwuchs könnten abgeschreckt werden. Selbst die sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse aus unserem Hause könnten leiden, wenn unsere Arbeitsstrukturen örtlich zergliedert bleiben und die Kommunikation leidet.“

Die Uni Hamburg hat "keine Mittel"

Die Uni-Leitung scheint aufgeschlossen, gemeinsam mit den Betroffenen das Gespräch mit der Behörde zu suchen, wie sie dem Abendblatt erklärte. Doch eigenes Geld in die Hand nehmen? „Nein, eine solche Planung gibt es nicht. Der Universität stehen keine Mittel zur Verfügung, mit denen der Pferdestall bis 2024 wieder komplett nutzbar gemacht werden könnte.“

Die Behörde von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) will die Planungen für die „mögliche Wiederinstandsetzung des Gebäudes“ abwarten und dann bei der Bürgerschaft Geld dafür beantragen. Man bitte die Betroffenen um Verständnis, sagte eine Sprecherin. Schließlich seien die Beseitigung des Naphthalins und die Gebäudesanierung „anspruchsvoll und umfänglich“.

Unwohlsein, Kopfschmerz und Schwindel

Das ist den Nutzern des Pferdestalls seit einer gefühlten Ewigkeit bewusst. Im Jahr 2015 erhielt das Gebäudemanagement erste Hinweise auf Naphthalin, ein polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoff. Er dünstete aus dem Gussasphalt und den Schlackewänden des Hauses aus.

Das Umweltbundesamt stuft Naphtahlin als krebsverdächtig ein. Zwei Jahre dauerte es bis zu einer verlässlichen Messung. Wiederum drei Jahre später räumte der Senat in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion ein, dass Renovierungsarbeiten das Problem nicht beseitigen konnten.

Wer sich länger im Pferdestall aufhält, kennt das: diffuses Unwohlsein, Kopfschmerzen, Schwindel. Eine Wissenschaftlerin sagte dem Abendblatt: „Seit 20 Jahren sagen die Leute: Hier ist etwas nicht in Ordnung.“ Sie meinte das Naphthalin – und nun auch den Umgang damit.