Hamburg. Die Genossenschaft Gröninger Hof steht mit ihrem Modellprojekt immer wieder vor Problemen – mal vor baulichen, mal vor bürokratischen.

Hamburg setzt derzeit einige architektonische Glanzlichter: Die Elbphilharmonie hat der Hansestadt eine neue Wahrnehmung beschert, die Begrünung des Feldbunkers setzt internationale Maßstäbe – und noch ein weiteres Projekt wird mit Interesse im In- und Ausland verfolgt: der Umbau des Parkhauses an der Neuen Gröningerstraße 12.

Viele Hamburger mag das überraschen, wenn sie an dem unscheinbaren Gebäude aus dem Jahr 1963 vorbeifahren, das laut Schild „derzeit geschlossen“ ist. In der ehemaligen Werkstatt des Parkhauses werden schon lange keine Fahrzeuge mehr repariert, hier treffen sich nun Bürger und Anwohner zu Sitzungen, zum Austausch, zum Feiern, zum Kochen, für Konzerte.

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Genau hier plant die 2018 gegründete Genossenschaft die Verwandlung eines Stückes Stadt. Die Stiftung Baukultur machte auf ihrer Sommerreise Station im Gröninger Hof; Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) besuchte im Juni das Projekt und war voll des Lobes („Absolute Best Practice“). Immer mehr internationale Gruppen sind in der Altstadt zu Gast.

Zuletzt wollten Experten aus Dänemark und Frankreich wissen, wie man ein Haus mit acht Parkdecks in einen Wohn- und Arbeitsraum verwandelt, an dem das Leben pulsieren soll. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing lobte den Entwurf: „Es wäre wünschenswert, wenn der Gröninger Hof Schule macht und Fantasie für andere Orte in der Stadt erzeugt. Es mag auch noch mal andere dazu ermutigen, über Genossenschaften und genossenschaftliche Projekte neu nachzudenken.“

Standfestigkeit des Betons beeinträchtigt

Allerdings wird der Eifer der Macher immer wieder ausgebremst. Zunächst löste die Pandemie Unruhe aus, dann die überraschende Kürzung der Fördergelder durch das Bundeswirtschaftsministerium. Zuletzt haben Hiobsbotschaften zur Bausubstanz die Genossenschaft erschüttert. „Wir haben Probleme mit dem hohen Chloridgehalt des Betons“, sagt Kai Ratschko, Architekt im Katharinenviertel und ein Aufsichtsrat der Genossenschaft. Der Chloridgehalt zeigt eine chemische Veränderung des Betons an, die seine Standfestigkeit auf Dauer beeinträchtigt. „Die eingelegten Bewehrungseisen sind nicht mehr vor Korrosion geschützt.“

In den 1960er-Jahren verzichteten die Bauherren an der Gröningerstraße nicht nur auf eine Oberflächenbeschichtung, die Betonschicht über dem Eisen ist auch vergleichsweise dünn. Im Ergebnis haben sich Wasser, Salz und Öl von den Fahrzeugen in den Boden vorgearbeitet. Die Kassettendecken sollen nun abgetragen werden.

Beträchtlicher Teil muss abgerissen werden

„Im ungünstigsten Fall müssen wir einen maßgeblichen Teil des Gebäudes zurückbauen“, sagt Ratschko. „Die wichtigsten Konstruktionen des Gebäudes bleiben aber erhalten.“ Für den Weiterbau würden 297 Stahlbeton-Pfähle der Tiefgründung sowie die Kellergeschoss-Sohle und dessen Wände genutzt. „In Summe werden zirka 1350 Kubikmeter Stahlbeton des Parkhauses das Fundament des Wohn- und Gewerbehauses Gröninger Hof bilden.“

Dennoch muss wohl ein beträchtlicher Teil zurückgebaut, also abgerissen werden. Dabei war der Erhalt der Bausubstanz aus ökologischen Gründen das erklärte Ziel der Genossenschaft – und der explizite Wunsch der Stadt in der Anhandgabe im Januar 2020. „Wir wollten endlich mal ein Gebäude weitestgehend erhalten“, sagt Ratschko. Doch die Folgeschäden des hohen Chloridgehalts ließen sich nicht stoppen, allerhöchstens aufwendig einfrieren.

„Der Erhalt des Betons wäre mit hohen Risiken behaftet"

„Das ist bitter für uns“, sagt Dorothea Heintze, eine Vorständin in der Genossenschaft Gröninger Hof. „Der Erhalt des Betons wäre mit hohen Risiken behaftet, die wir als Genossenschaft nicht eingehen möchten.“ Sie schaut nach vorn: „Zum Glück basiert unser Projekt auf vielen innovativen und nachhaltigen Ideen: Was abgebrochen werden muss, kann neu in Holz aufgebaut werden. Da wir die Fundamente erhalten, bleiben Struktur und Entwurf unseres Projektes wie bisher.“

Der Entwurf des Zürcher Architekturbüros Duplex werde so umgesetzt wie geplant, Stützen und Decken nun aber aus Holz gebaut, die Räume dadurch etwas höher. Durch den Rückbau und den Neubau eines Tragwerkes entstünden allerdings weitere Kosten. „Das sind Risiken, die ein solches Modell-Projekt mit sich bringt. Diesen Weg ist vor uns niemand gegangen.“

Auf dem Dach soll ein Spielplatz entstehen

Tatsächlich betreten die Genossen Neuland: Eine Mitgliedschaft bringt nicht automatisch Wohnrecht, sondern ist eher ein Beitrag zum Stadtumbau. Direkt gegenüber der Katharinenkirche sollen zu 100 Prozent geförderte Wohnungen entstehen. Das Ziel ist ein Quartier, das Stadt ausmacht: ein Haus mit durchdachter Gestaltung für viele statt teurem Wohnraum für wenige, ein Haus für Familien und Singles, Ältere, Jüngere, Studenten und andere Menschen. Ein Ort der Vielfalt und ein Motor der Stadtentwicklung.

Neben den 66 Wohnungen mit einem Grundriss von 30 Quadratmeter für eine Person und 120 Quadratmeter für eine sechsköpfige Familie gibt es Gemeinschaftsflächen wie Küchen oder Garten und einen Spielplatz auf dem Dach.

„Hier schlägt bald das Herz der Altstadt.“

Von dort eröffnet sich ein faszinierender Blick auf die Hauptkirchen, auf City und Elbphilharmonie. Zudem soll Kleingewerbe und Gas­tronomie im Gröninger Hof eine Heimat finden. „Wir bauen nicht nur ein Haus, sondern wollen das Quartier beleben“, sagt Heintze. So ist ein Stadtteilcon­cierge geplant. „Hier schlägt bald das Herz der Altstadt.“

Nun steht das Projekt kurz vor der Abgabe des Bauantrages, die Finanzierung steht größtenteils, doch um das Eigenkapital zu erbringen, sucht die Genossenschaft noch weitere Kapitalgeber. „Ein Wohltäter hat 200.000 Euro für den Wettbewerb gegeben. Das hat uns enorm geholfen, doch jetzt geht es weiter in eine entscheidende Phase“, sagt Heintze.

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Insgesamt 380 Genossen haben sich bislang zusammengefunden; der Mindestanteil, der sich später auch wieder auszahlen lassen soll, liegt bei 1000 Euro zuzüglich einer Aufnahmegebühr von 50 Euro. Das kalkulierte Volumen liegt bei rund 28 Millionen Euro, könnte aber angesichts rasant steigender Baukosten noch steigen.

Die Genossen lassen sich nicht beirren: „Wir werden inzwischen von überallher eingeladen. Damit wirken wir weit über die Grenzen der Stadt“, sagt Heintze. Mitte 2023 soll der Rückbau beginnen, 2025 die ersten Bewohner einziehen. Auch im Hamburger Architektursommer, der im Mai beginnt, ist der Gröninger Hof als feste Größe eingeplant – als Modell, wie gemeinwohlorientierter Stadtumbau gelingen und ein gemeinsames Haus Wirklichkeit werden kann.