Hamburg. 32-Jährige soll ihren Ex-Freund niedergestochen haben, weil der die Beziehung beendet hatte. Angeklagte stellt den Ablauf anders dar.

Im Prozess um einen beinahe tödlichen Messerstich im Karoviertel haben am Dienstag weitere Zeugen und ein rechtsmedizinischer Sachverständiger ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeklagte Ayla E. (Name geändert) ihren Ex-Freund niederstach, weil der ihre Liebe verschmähte.

Prozess Hamburg: Zeuge fand schwer verletztes Opfer

Wie dramatisch sich die Situation am späten Abend des 12. Mai zugespitzt hatte, schilderte am Dienstag der Nachbar des Geschädigten Müslüm C. „Ich hörte so komische Laute von der Straße, ein heftiges Geschrei und Gehechel, da bin ich auf den Balkon und habe Müslüm gesehen, der eine Passantin bat, die Polizei und die Rettungskräfte zu rufen“, sagte der 48-Jährige.

Erst als sich sein Nachbar zu ihm umgedreht habe, habe er einen großen Blutfleck auf dessen Oberkörper wahrgenommen. Er sei sofort runtergelaufen, habe ein Handtuch gegen die Wunde gedrückt und ihm eine Flasche Wasser über den Kopf gekippt – um die Rückstände des Pfeffersprays abzuwaschen, mit dem die Angeklagte ihn zuvor besprüht hatte. Wenige Augenblicke später sei auch schon die Polizei eingetroffen und habe übernommen.

Verteidigung hat Zweifel an Darstellung der Tat

Bemerkenswert: Das blutgetränkte Handtuch taucht nicht in der Liste der am Tatort sichergestellten Asservate auf. Dessen ungeklärter Verbleib beschäftigt indes die Verteidigung. „Ich habe Interesse an einem unverfälschten Tatgeschehen und einem unverfälschten Tatort“, sage Anwältin Gül Pinar. Und wenn ein Beweismittel verschwunden sei, könne das ja auch auf weitere zutreffen.

Wer das Wasser dem Zeugen gab, wer die von Müslüm C. angesprochene Passantin war – alles unklar oder in der Hektik des Geschehens untergegangen. Der Zeuge hatte mit der Erstversorgung des lebensgefährlich Verletzten auch alle Hände zu tun.

Ayla E. soll ihren Exfreund lebensgefährlich verletzt haben

Wie berichtet, soll Ayla E. ihren Ex-Freund Müslüm C. am 12. Mai laut Anklage aus einer Wohnung an der Marktstraße gelockt haben. Als der 32-Jährige Ayla E. unten erkannte, schlug er ihr ins Gesicht – mutmaßlich aus Wut darüber, dass sie nicht akzeptieren wollte, dass er den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte. Ayla E. sprühte ihrem Ex-Freund, so die Anklage weiter, darauf Reizgas ins Gesicht.

Schließlich kam es demnach zu einer Rangelei, bei der die 32-Jährige ein Klappmesser zückte und es Müslüm C. „unter billigender Inkaufnahme auch tödlicher Verletzungen“ in die Brust rammte. Lebensgefährlich verletzt kam der junge Mann ins Krankenhaus, musste notoperiert werden.

Prozess Hamburg: Messerstich aus verschmähter Liebe – oder aus Notwehr?

Die wegen versuchten Totschlags angeklagte Frau hatte am zweiten Prozesstag ihrerseits den Ex-Freund beschuldigt. Der sei hochaggressiv auf sie losgegangen und habe sie geschlagen. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung sei vor ihr ein „Messer auf den Gehweg gefallen“, so die Angeklagte. „Es war nicht meins, es muss Müslüms gewesen sein.“

Sie habe nach dem Messer mit der linken Hand gegriffen, in der rechten das Pfefferspray. Müslüm habe sie am Arm gepackt, während sie weiter gesprüht habe. Sie habe „keinen Stich bewusst geführt“, so Ayla E.

Der von ihr kolportierte Geschehensablauf – dass der Stich unabsichtlich erfolgte, als Müslüm C. angeblich die Hand der Angeklagten verdrehte – deckt sich (theoretisch) mit den rechtsmedizinischen Befunden wie dem Winkel des Stichkanals, wie der medizinische Sachverständige auf Nachfrage der Verteidigung ausführte. Der Prozess wird fortgesetzt.