Hamburg. Dr. Ulrike Dapp forscht mit Kolleginnen und Kollegen im Albertinen Haus, und verrät, wie es gelingen kann, lange selbstständig zu leben.

Wie wird man gesund alt? Diese Frage beschäftigt Dr. Ulrike Dapp und ihre Kolleginnen und Kollegen seit vielen Jahren. Die 55-Jährige arbeitet als Koordinatorin in der geriatrischen Forschung des Albertinen Hauses, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie in Schnelsen. „Die Altersmedizin ist schon sehr lange in Hamburg verortet. Seit dem Jahr 1980 ist das Albertinen Haus als erstes Bundesmodell in Deutschland aufgebaut worden, damals von Herrn Professor Meier-Baumgartner“, sagt Dr. Dapp im Podcast „Hamburger Klinikhelden“.

Seit 2002 stelle das Albertinen Haus den Universitätsprofessor für Geriatrie und Gerontologie (Altersmedizin und Alterswissenschaften) an der Universität Hamburg. Nach Professor von Renteln-Kruse bekleidet jetzt Professor Ulrich Thiem dieses Amt neben seiner Chefarztposition im Albertinen Haus.

„Wir sind wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg und profitieren von der engen Verknüpfung aus Praxis, Forschung und Lehre“, sagt die Forschungskoordinatorin. „Womit wir uns schwerpunktmäßig beschäftigen, ist das Altern, und zwar nicht das krankhafte Altern, sondern das gesunde Altern.

Gesund alt werden: Prävention gab es früher nicht

Wie kann es gelingen, lange selbstständig zu bleiben?“ Die älteren Menschen hätten weniger Sorge vor dem Lebensende an sich, sondern mehr Sorge, diese Zeit in Krankheit, mit einer Behinderung und einer Pflegestufe zu verbringen und nicht mehr selbstständig sein zu können. Die aktive Gesundheitsförderung im Alter sei deshalb ein wesent­licher Schwerpunkt der geriatrischen Forschung im Albertinen Haus.

Zum gesunden Altern, zum normalen Altern habe es Mitte der 1990er-Jahre kaum Informationen gegeben. „Man hat damals geguckt, ist jemand krank, dann behandele ich.“ Man habe aber weniger den Blick darauf gerichtet, wie man Ältere dabei begleitet, dass sie weiter gesund blieben. „Das ist eine ganz andere Sichtweise, ein Paradigmenwechsel, der eingetreten ist mit Beginn des neuen Jahrtausends“, sagt Dr. Ulrike Dapp, die in Hamburg Geografie mit Schwerpunkt medizinische Geografie studiert hat.

Langzeitstudie läuft seit über 20 Jahren

Das Zentrum für Geriatrie und Gerontologie habe damals eine Langzeitstudie in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern begonnen, um das gesunde Alter besser zu erforschen. „Wir haben ältere Menschen gesucht, die wir dann längerfristig begleiten wollten und das bis heute tun – in unserer Langzeit-Kohortenstudie LUCAS (Longitudinal Urban Cohort Ageing Study). Damals habe man begonnen, in Kooperation mit Hausarztpraxen in Hamburg ältere Menschen zu finden, die zu Gesundheit im Alter Auskunft geben wollen. Dazu durften sie nicht pflegebedürftig und mindestens 60 Jahre alt sein, eine Altersgrenze nach oben gab es nicht.

Im Jahr 2000 seien es mehr als 3300 Studienteilnehmer der Jahrgänge 1904 bis 1940 gewesen, inzwischen seien davon viele verstorben, einige hätten die Teilnahme auf eigenen Wunsch beendet. „Wenn Teilnehmende im Lauf der Studie Pflegebedürftigkeit entwickelt haben oder ihre Selbstständigkeit schwindet, sollen sie natürlich unbedingt weiter in der Studie bleiben, damit wir dieses ganz normale Altern und die Einflussfaktoren verstehen“, sagt Dr. Dapp. Schon damals hätten die über 60-Jährigen in Deutschland ein Viertel der Bevölkerung ausgemacht.

Die allermeisten, das könne man auch der Pflegestatistik entnehmen, lebten selbstständig. Die wenigsten hätten einen Pflegegrad oder lebten im Pflegeheim. „Aber je älter wir werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit dafür.“ Die Probanden werden regelmäßig zu ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit befragt, aber auch zum sozialen Miteinander. „Das sind alles Faktoren, die wir natürlich versucht haben, von Anfang an mit zu erfassen, um auch Veränderungen erheben zu können.“

Wichtig ist, die Muskelkraft zu erhalten

Es sei entscheidend, beginnende Gebrechlichkeit früh zu erkennen und dagegen anzuarbeiten. „Wir arbeiten dazu immer im interdisziplinären Team, denn das Altern benötigt die Begleitung durch ganz unterschiedliche Berufsgruppen“, sagt Dr. Dapp. Im Rahmen von LUCAS sei ein Funktionsindex mit zwölf Fragen entwickelt worden, der den Grad der Selbstständigkeit bei der Durchführung von Alltagsverrichtungen erfasst.

Er wird mittlerweile auch von Krankenkassen eingesetzt. „Das ist Geriatrie in Maß und Zahl.“ Überprüft würden diese Selbstangaben mit speziellen Funktionstests mithilfe technischer Geräte, etwa einem mit Sensoren unterfütterten Gangteppich, mit dem man den Gang und die Sturzgefährdung untersucht.

Man habe Probanden in Kleingruppen auch gesundheitsfördernde und präventive Maßnahmen angeboten und die Ergebnisse mit Kontrollgruppen ver­glichen. „Prävention war früher eigentlich eher nur bei Kindern und Jugend­lichen ein Thema, aber nicht im Alter. Man hat immer gedacht, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Aber das stimmt überhaupt gar nicht.“

Bewegung, Ernährung und soziale Teilhabe sind wichtig

Wichtig sei das gleichzeitige Augenmerk auf die Bereiche Bewegung, Ernährung und soziale Teilhabe, sagt Dr. Dapp. Eine entscheidende Frage sei: Was macht man eigentlich an einem Tag, wie viel bewegt man sich? Bei der Außer-Haus-Bewegung mache es etwa einen Unterschied, ob jemand einen Garten habe, einen Hund oder eine Katze. Wer spazieren geht, fördere seine Ausdauer, aber auch sein Gleichgewicht, auch Radfahren sei diesbezüglich von Vorteil.

Aber auch die Muskelkraft zu erhalten beziehungsweise wieder aufzubauen sei wichtig. „Dazu haben wir im Albertinen Haus geforscht, wie man auch im Alter von Krafttrainingsgeräten profitieren kann. Das können wir also sehr guten Gewissens empfehlen. Aber auch Wassergymnastik zum Beispiel kann die Kraft trainieren oder Tai-Chi.“ Dazu gebe es im Albertinen Haus Angebote.

Viele ernähren sich nicht sehr ausgewogen

Bei vielen älteren Menschen sei auch die Ernährung nicht sehr ausgewogen. „Ich brauche unbedingt weiterhin genauso viele Nährstoffe und diese ganze Vielfalt wie ein jüngerer Mensch, aber ich brauche nicht mehr ganz so viele Kalorien, deswegen sollte man gut auswählen, was man essen möchte“, sagt Dr. Ulrike Dapp. Wer ein Problem beim Kauen habe, sollte dringend zum Zahnarzt.

In Hamburg gebe es ein Netzwerk für Ältere mit tollen Angeboten, sagt die Forschungskoordinatorin. So gebe es für alle Menschen anlässlich ihres 80. Geburtstags den „Hamburger Hausbesuch“, bei dem über diese Angebote informiert werde. Die Fachstelle dafür hat die geriatrische Forschungsabteilung im Albertinen Haus aufgebaut.

Früher war Alter gleichbedeutend mit Krankheit

Was Dr. Ulrike Dapp nach 22 Jahren Langzeitforschung festgestellt hat: Im Jahr 2000 sei Alter ziemlich gleichbedeutend mit Krankheit gewesen. „Das hat sich wirklich sehr geändert. Natürlich gibt es Situationen, in denen einige in diese Abwärtskaskade des gebrechlichen Alterns geraten.“ Dann sei eine ganzheitliche geriatrische Abklärung wichtig, zum Beispiel in der geriatrischen Institutsambulanz.

Es gebe auch präventive Hausbesuche für die Studienteilnehmer, in denen ganzheitliche Funktionstests gemacht werden. Da werde dann geguckt, ob jemand eine original verschlossene Mineralwasserflasche aufdrehen könne. Viele würden diese Dinge vermeiden, kämen aber nicht von allein auf die Idee, ihre Muskelkraft zu trainieren.

Die meisten wollen unbedingt im eigenen Zuhause bleiben

Eine weitere Erkenntnis: „Wer körperlich mobil ist, keine Sturzangst hat, der ist eigentlich überall in der Stadt unterwegs, auch auf neuen Wegen.“ Und diese kognitive Flexibilität sei etwas, was unbedingt im Alter weiter trainiert werden sollte, sagt die Forscherin. Es helfe beispielsweise, eine neue Sprache zu lernen. Natürlich sei es auch im Alter notwendig, medizinische Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen wahrnehmen.

Die größte Motivation für Menschen, etwas für ihre Rüstigkeit zu tun, sei die Angst, ihre Selbstständigkeit zu verlieren, und der Wunsch, im häuslichen Umfeld bleiben zu können. „Die allermeisten wollen bis zum Lebensende unbedingt gerne in ihrer Wohnung bleiben, in ihrem Quartier“, sagt die Forscherin.