Hamburg. Marcus Scherer ist Küchenleiter im Israelitischen Krankenhaus in Alsterdorf. Warum gutes Essen bei Patienten zur Genesung beträgt.

Wer im Israelitischen Krankenhaus behandelt wird, bekommt sein Essen von einem Gourmet-Koch serviert – und das ganz ohne Aufpreis. Marcus Scherer, Küchenleiter in der Klinik in Alsterdorf, hat viele Jahre in Sternerestaurants gekocht, darunter im Hotel Vier Jahreszeiten und im Louis C. Jacob. Statt eine kleine Gästeschar versorgt er heute nun täglich rund 150 Patienten und 400 Mitarbeitern zuständig.

Scherer: "Gutes Essen und Genesung haben miteinander zu tun"

Vom exklusiven Restaurant in eine Krankenhauskantine – warum geht jemand diesen Weg? „Irgendwann macht man sich halt Gedanken, wenn man heiratet und Kinder bekommt, dass man doch ein bisschen mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte, aber trotzdem etwas bewegen möchte mit dem, was man tut“, sagt der 53-Jährige, der seit knapp 30 Jahren in Hamburg lebt. So eine Stelle zu finden sei nicht einfach gewesen.

Dann habe er die Stellenanzeige des Israelitischen Krankenhauses gesehen. Nach einem Gespräch mit Marcus Jahn, dem jetzigen Geschäftsführer des Hauses, habe er sich schnell entschlossen, den Posten zu übernehmen. Ihn habe die Herausforderung gelockt, „dass man für Patienten oder Gäste kocht, die es wirklich nötig haben, ein gutes Essen zu bekommen“, sagt Scherer im Podcast Hamburger“ Klinikhelden“. „Weil Essen und Genesung doch sehr viel miteinander zu tun haben.“

Seeteufel und Trüffel gibt es nicht, aber viele regionale Produkte

Der größte Unterschied im Vergleich zum Luxusrestaurant seien die Produkte, die er benutze, sagt der Küchenchef: „Wir haben keinen Seeteufel oder keinen Trüffel, aber wir gucken trotzdem, dass wir regionale Produkte, zertifizierte Fleisch- und Fischprodukte verarbeiten und daraus einfach eine frische Küche zaubern.“ Von den Abläufen her sei es ähnlich wie in einem Hotel – die Patienten oder Gäste brauchen Frühstück, Mittagessen, Abendessen, sie brauchen Kaffee und Kuchen. Allerdings fließe im Krankenhaus immer die medizinische Sicht mit ein, und das sei die größte Herausforderung.

Die Patienten können jeden Tag aus drei Gerichten auswählen, dazu gibt es laut Scherer 28 unterschiedliche Kostformen wie glutenfrei, laktosefrei, vegan und weitere. „Auf Knoblauch und Pfeffer verzichten wir in unserer Küche komplett, ebenso auf glutenhaltige Soßenbinder, dafür arbeiten wir mit frischen Kräutern. Wir versuchen, es dem Patienten durch ein Baukastensystem so einfach wie möglich zu machen, dass er beispielsweise aus Menü eins die Hauptkomponente wählen kann, aus zwei die Soße, aus drei die Gemüsebeilage – und dann wirklich das auf dem Tisch liegen hat, was ihm auch schmeckt.“

Als erste Maßnahme wurde der Obstsalat selbst geschnitten

Eineinhalb Jahre habe es gedauert, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Collin Hoger Stück für Stück diesen neuen Speiseplan zu erstellen, erzählt der Gourmet-Koch. Angefangen hätten sie damit, den Obstsalat selbst zu schneiden, „eine Kleinigkeit, die aber eine sehr große Wirkung hat“. Auch das Gemüse werde größtenteils frisch verarbeitet, aber es gebe auch tiefgekühlte Produkte, ohne die komme man nicht aus. „Es stellt sich niemand hin und putzt Spinat oder Bohnen. Aber alles andere kommt frisch. Wir kochen unsere Soßen und Suppen selber, und das kommt sehr gut bei den Patienten an.“

Wegen des hohen Altersdurchschnitts der Patienten sei Hausmannskost sehr beliebt, sagt Scherer, beispielsweise hausgemachte Frikadelle und Hühnerfrikassee, aber auch Lasagne oder Spaghetti Bolognese. Weil man aber auch an die Mitarbeiter denken müsse, gebe es auch Wraps , gebackene Falafel, Tofu im Sesammantel, Blumenkohlcurry und Linsenfrikadellen.

Viele Patienten kommen wegen der Erkrankungen der Verdauungsorgane

Weil das israelitische Krankenhaus auf Erkrankungen der Verdauungsorgane spezialisiert ist, ist die Küche noch mal wichtiger als in anderen Häusern. „Das Ernährungs- Team macht bei jedem Patienten, der ins Haus kommt, ein Eingangsscreening auf Mangelernährung und kann dann genau drauf reagieren. Und dann reagieren wir aus der Küche“, sagt Scherer. Den Anteil des Essens an der Genesung der Patienten schätzt er sehr hoch ein – es gehöre zu den Höhepunkten des Krankenhaustages.

Als er selbst im vergangenen Jahr ein neues Knie bekamt, seien medizinische Versorgung, Pflege und Physiotherapie ein Traum gewesen – nur das Essen nicht: „Ich wäre am liebsten geflohen.“ In welcher Klinik das war, verrät Scherer nicht, „aber da wäre mit einfachen Handgriffen vieles möglich gewesen.“ Dafür brauche es nicht unbedingt viel mehr Personal, habe er in seiner Küche festgestellt: „Wir haben uns jeden Arbeitsablauf in der Küche angeguckt und einfach Stück für Stück angefangen, Prozesse zu verändern.“

Seine Arbeitszeiten sind deutlich angenehmer als früher

Aus seiner Zeit als Koch in Spitzenrestaurants vermisse er nichts, sagt der Küchenchef. „Aber ich wollte die Zeit auch nicht missen, weil es einfach eine tolle Lehrzeit war. Egal in welchem Haus ich war, man hat etwas dazugelernt.“ Seine Arbeitszeiten sind immer noch herausfordernd. Scherer fängt morgens um 6 Uhr an, aber die Tage seien planbar und er habe genug Zeit für seine Familie, sagt er. Und das gelte auch für seine Kollegen.

Zu Hause grillt Scherer gern am Wochenende. Auch dann achtet der Koch auf Qualität: „Wir haben sehr gute Bauern bei uns um die Ecke, wo wir unser Fleisch und Gemüse holen. Lieber weniger und dafür qualitativ hochwertiger kaufen“, rät der Koch. Es müsse nicht unbedingt bio sein, aber regional und saisonal. Was er nicht nachvollziehen kann: „Die Leute kaufen sich einen Grill für tausend Euro und die Bratwürste für 99 Cent.“ Besser sei es andersrum: „Dann kaufe ich mir lieber den Grill für 99 Euro und die Bratwurst für 17 Euro das Kilo.“

Auch ein Kochbuch hat Marcus Scherer geschrieben

Weil Patienten ihn mehrfach um Rezepte baten, hat Marcus Scherer auch ein Kochbuch geschrieben: „ICH KOCHE: 90 leckere Rezepte aus der Gourmet-Küche – einfach selber zubereiten und genießen, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86393-086-8

Marcus Scherer hat ein Kochbuch mit 90 Rezepten geschrieben.
Marcus Scherer hat ein Kochbuch mit 90 Rezepten geschrieben. © Elisabeth Jessen