Hamburg. Drei Jahre musste der schwerbehinderte Julien (19) fast ausschließlich in seinem Zimmer leben – das Jugendamt wusste davon.
Das erste gemeinsame Essen zu viert am Küchentisch seit drei Jahren – das ist es, was Andrea Kuyateh zuerst erwähnt, als sie über ihre neue Barmbeker Wohnung im Erdgeschoss spricht. Denn in der alten Wohnung war diese Mahlzeit gemeinsam mit ihren Kindern aufgrund der Enge nicht möglich. „Mein Sohn Julien hat die vergangenen drei Jahre immer in seinem Zimmer gegessen, meistens im Bett“, erzählt die 54-Jährige und streicht ihm liebevoll über den Arm.
Sie blickt lächelnd in die Gesichter ihrer drei Kinder, Julien (19), Kevin (18) und Josephine (16), die um sie herum am Tisch versammelt sind, doch die Jugendlichen lächeln nicht zurück. Sie schauen meistens bedrückt auf den Boden, stumm – außer wenn sie direkt angesprochen werden, dann kommt etwas Leben zurück in ihre Mimik.
Die Geschichte der Familie Kuyateh ist eine, anhand derer man nachvollziehen kann, welche unfassbaren Schwierigkeiten eine alleinerziehende Mutter schwerbehinderter, traumatisierter Kindern mit Behörden, einer Krankenkasse und einem sozialen Wohnungsunternehmen haben kann. Der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ hatte zunächst nur Möbel für die neue Wohnung gespendet, doch danach durch einen Hausbesuch erfahren, was diese Familie in den letzten Jahren ertragen musste.
Zwei leiden an einer spinalen Muskelatrophie
Josephine, Josi genannt, und Julien leiden an einer spinalen Muskelatrophie. Das ist eine seltene Krankheit, bei der bestimmte Nervenzellen des Rückenmarks absterben. Reize und Impulse des Gehirns erreichen dann nicht mehr ihren Zielort, die Muskulatur. Das verursacht Muskelschwund und Lähmungen. „Seit 2020 gibt es ein Medikament, das hilft, die Krankheit zu verlangsamen. Aber letztendlich kann man nur versuchen, die Fähigkeiten der Muskeln irgendwie zu erhalten“, sagt Frau Kuyateh. Leider haben beide Eltern die Krankheit vererbt durch ein Gen, das die Atrophie auslöst.
Sie übertrugen es an zwei ihrer vier Kinder. Kevin und der älteste Bruder, ein Akademiker, der mit seiner Familie in Stuttgart wohnt, ist von der Krankheit verschont geblieben. Festgestellt wurde die Erkrankung der beiden anderen Kinder allerdings erst, als Josi acht und Julien zwölf Jahre alt waren. Julien hatte zwar mit vier Jahren eine Operation, bei der sein Hüftkopf ersetzt wurde, und kurz darauf einen Oberschenkelhalsbruch, der ihn ein Jahr in eine liegende Position zwang, „doch die vielen Ärzte, die wir konsultierten, haben ein orthopädisches Problem dahinter vermutet“, sagt Frau Kuyateh, die immer wieder zwischen den Geburten der Kinder als Erzieherin gearbeitet hat. Inzwischen ist sie Vollzeitpflegekraft für ihre Kinder, denn Julien kann seit 2019 gar nicht mehr gehen.
Julien tat sich schwer mit dem Laufen, er spielte dennoch leidenschaftlich gern Fußball, stand meistens im Tor, war sportlich. Doch erst als Josi in der ersten Klasse Schwierigkeiten mit dem Laufen bekam – „Ich konnte auf der Klassenfahrt plötzlich nicht mehr mit wandern gehen“, erinnert sie sich –, wurde im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine genetische Untersuchung gemacht.
Der Vater starb, für die Hinterbliebenen ein Schock
„Der Humangenetiker hat gesagt, dass wir noch das Beste vom Schlechten haben, es gibt bei dieser Erkrankung noch schlimmere Diagnosen“, sagt Frau Kuyateh. Für den Vater, einen Steinsetzer, und sie war die Diagnose ein Schock. „Ich konnte danach ein Jahr nicht darüber sprechen“, sagt sie.
Der liebevolle Vater verkraftete die fortschreitende Verschlechterung der Zustände seiner Kinder offenbar noch schwerer, er starb 2017. Wie, darüber möchte die Familie nichts sagen – aber in der Wohnung gibt es mehrere Fotos von dem sympathisch wirkenden Mann als Erinnerung. „Ich hatte noch keine Zeit, wirklich um ihn zu trauern“, sagt Andrea Kuyateh, denn sie ist seitdem alleine mit den Kindern, die der Tod des Vaters aus der Bahn geworfen hat.
Die Zimmertüren waren zu schmal für den Rolli
Bis vor zwei Monaten wohnte die Familie in einer Saga-Wohnung in Alsterdorf, die, obwohl Julien und Josi seit Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nicht behindertengerecht war. Im Gegenteil: Da sie im Hochparterre lag mit acht Stufen bis zum Ausgang, konnte Julien seit 2019 die Wohnung nicht verlassen, auch die Türen waren für den Rolli zu schmal. Seine Mutter wusch und versorgte ihn in seinem Zimmer, weil er Bad und WC nicht benutzen konnte. Die Saga erlaubte keinen Treppenlift. Schließlich gab es ja bereits einen Lift – der war jedoch für den Rollstuhl des Jungen zu schmal.
Auch Josi konnte nicht alleine an die frische Luft. Sie kann, anders als ihr Bruder, noch stehen, ein paar Schritte laufen. So konnte ihre Mutter den Rollstuhl gekippt in den Lift schieben, ihn nach unten fahren, danach erst konnte Josi in den Fahrstuhl. Juliens einzige Ausflüge in den vergangenen Jahren waren Krankentransporte ins UKE.
Jugendamt: So ist kein würdevolles Leben möglich
Eine Sozialarbeiterin des Kinder-UKE attestierte bereits 2020 in einen Brief „Zur Vorlage zur Wohnungssuche“, dass der eingesperrte Zustand in der Wohnung Julien psychisch stark belaste. Auch die damals noch für die Familie zuständige Fachkraft beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) Jugendamt Nord weist 2021 in einem Schreiben an Frau Kuyateh zur Vorlage an das Bezirksamt Wandsbek – Abteilung Wohnungsangelegenheiten – darauf hin, dass für Julien „ein würdevolles Leben und eine tatsächliche soziale Teilhabe unter diesen Voraussetzungen nicht möglich“ sei.
„Ehrlich gesagt, gab es bei mir viele Momente in den vergangenen Jahren, in denen ich nicht wusste, warum ich überhaupt noch aufstehen soll“, sagt Julien und verzieht keine Miene. Er hat das Lächeln verlernt, verlernt, wie es ist, ausgelassen zu sein, sich mit Jugendlichen zu treffen. Wie auch, wenn man drei Jahre komplett isoliert ist und es keine Hoffnung auf eine andere Wohnung gibt, weil die Saga und auch die Fachstelle für behindertengerechten Wohnraum, wo Familie Kuyateh seit Jahren als Notfall gemeldet ist, in einer Veränderung von Juliens Situation keine dringende Notwendigkeit sehen.
Auf die Abendblatt-Nachfrage, ob der Saga die Situation der Familie bewusst gewesen sei, reagiert Saga-Pressesprecher Michael Ahrens hingegen sehr zügig.
Auf die Abendblatt-Anfrage reagiert Saga schnell
Er liefert folgende Antwort: „Die genauen Lebensumstände der Familie etwa mit Blick auf die von Ihnen geschilderte Situation der Kinder war der Saga teilweise bekannt. Auch gab es dazu für die vorherige Wohnung eine Reihe von Umbau-Überlegungen, die aber nicht umgesetzt werden konnten. Die Saga hatte hier einen behindertengerechten Badezimmerumbau genehmigt, einen dazugehörigen Umbau der acht Stufen des dortigen Treppenhauses aber ablehnen müssen, weil dieses einen Fluchtweg darstellte und Brandschutz unbedingt gewährleistet sein muss. Dessen ungeachtet wäre die Türbreite des einen Kinderzimmers wohl immer noch zu schmal gewesen. Diese Wohnung war unter dem Strich einfach nicht passend.“
Die Familie war sehr lange schon als Notfall bekannt
Es gab diese Erkenntnis sehr früh, Frau Kuyateh hat etliche Gespräche mit Saga-Mitarbeitern und denen vom Wandsbeker Amt für rollstuhlgerechten Wohnraum seit 2019 geführt, insgesamt vier Wohnungen besichtigt, die andere bekamen, und sogar einen Tausch mit einer Familie, die im Erdgeschoss der gleichen Wohnanlage wohnte, organisiert. Doch auch einen Tausch erlaubte die Saga nicht. „Warum, das wurde mir nicht gesagt. Sie wollten es einfach nicht“, sagt Andrea Kuyateh. In ihrer Verzweiflung schrieb Frau Kuyateh im März dieses Jahres an Sozialbehörde, ein engagierter Mitarbeiter dort sah die Not sofort, er machte offenbar so viel Druck, dass die Saga ein halbes Jahr später, Ende September, die neue, ebenerdige 90-Quadratmeter-Wohnung in Barmbek bereitstellte.
Sie ist allerdings nicht behindertengerecht, denn im Bad gibt es nur eine Badewanne, keine Dusche, keine Halterungen zum Abstützen und kein WC, das Julien benutzen kann. Er benötigt nun einen Toilettenstuhl. „Für uns ist das nicht optimal, aber ich bin so dankbar, dass Julien überhaupt wieder vor die Tür kann, dass ich die Wohnung gern genommen habe“, sagt Andrea Kuyateh. Sie ist eine tapfere, sympathische Frau, eine, die alles für ihre Kinder tut.
Die Mutter hat ihr Bett in die Wohnküche gestellt
Sie hat ihr Bett in der Wohnküche aufgeschlagen, da sie ihren drei Kindern je eines der kleinen Schlafzimmer überlassen hat. Die Kinder können sich kein Zimmer teilen, denn Julien besitzt ein großes Pflegebett und auch Josi benötigt mit ihrem Rollstuhl etwas Platz um sich herum. Dass das Bad nicht behindertengerecht ist, erkennen die plötzlich sehr engagierten Saga-Mitarbeiter auch schnell, die nur eine Woche nach dem Abendblatt-Anruf die Wohnung der Familie besichtigen und einen Umbau für das Bad im Januar avisieren – bezahlen wird das nicht das Wohnungsbauunternehmen, sondern die Krankenkasse AOK, die jedem Kind 4000 Euro für diese Maßnahme in der alten Wohnung bereits zugesagt hatte.
Der Saga-Pressesprecher begründet die die Vergabe der nicht barrierefreien Wohnung so: „Rollstuhlgerechte Wohnungen werden nur über das Bezirksamt Wandsbek vergeben. Voraussetzung für die entsprechende Vergabe ist jedoch, dass der Saga und auch den dazugehörigen Ämtern überhaupt bekannt ist oder bekannt gemacht wird, dass die Kundin unbedingt eine rollstuhlgerechte Wohnung benötigt. Hier war das leider nicht der Fall.“ Dem widerspricht der Betreuer der Familie, Frank Frehse, vehement: „Die Saga und alle Ämter waren darüber informiert.“
Der mittlere Sohn liebt Schach und historische Bücher
Frehse ist seit 2018 – nach dem Tod des Vaters – auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter in der Familie engagiert. Der Diplom-Sozialpädagoge ist Koordinator der IGLU Familienhilfe (Palette gGmbH). Der 54-Jährige unterstützt die Schulausbildung der Kinder, gibt Hilfe bei Erziehungsfragen und auch in anderen Lebens- und Entwicklungsbereichen der Familie.
Während des Gesprächs mit der Mutter spielt Kevin, der gesunde mittlere Sohn, auf seinem Handy – kein Ballerspiel, sondern Schach. Denn der hochbegabte junge Mann liebt Schach und historische Bücher, dennoch hat er noch nicht einmal seinen Ersten Schulabschluss. „Er war nach dem Tod des Vaters in eine tiefe Depression geraten, für ihn war auch das Leid seiner Geschwister kaum zu verkraften“, sagt seine Mutter.
Auf die Frage, was er sich wünscht, antwortet der Junge: „Ich möchte zur Schule gehen, ich möchte meinen Abschluss machen.“ Doch diese Möglichkeit bleibt ihm seit Beginn des Jahres verwehrt, obwohl er sich seither redlich darum bemüht hat. Mit 18 ist er eigentlich nicht mehr schulpflichtig.
Jugendamt verwehrt Kevin Schulbesuch bei Gangway e.V.
Der Junge ist somit auf das Wohlwollen des ASD beim Jugendamt angewiesen, das entscheidet über seine weitere schulische Ausbildung. Kevin benötigt nach seiner schweren Tiefphase eine individuelle Betreuung, es wäre schwierig, ihn in seinem Alter in eine normale neunte Klasse zu integrieren.
Deswegen hat der Jugendhelfer der Familie, Frank Frehse, gemeinsam mit ihm den Verein Gangway ausgesucht. Durch diesen werden Schulabbrecher qualifiziert in speziellen Klassen in Wilhelmsburg unterrichtet. Gangway hätte Kevin gern genommen, denn die engagierte Fachkraft des zuletzt zuständigen ASD Nord befürwortete diesen Schulbesuch ausdrücklich, doch dessen Vorgesetzter lehnte ab.
Die Begründung: Der Schulplatz sei zu teuer, Kevin solle sich lieber beim Jobcenter und einem Regionalen Bildungszentrum nach alternativen Ausbildungsmöglichkeiten erkundigen. „Kevin ist nicht in der Lage, an einer Regelschule beschult zu werden oder eine Ausbildung zu machen, er ist noch gar nicht ausbildungsfähig, der erhöhte sozialpädagogische Bedarf kann dort nicht geleistet werden“, schrieb Frank Frehse an den ASD-Mitarbeiter verzweifelt zurück.
Abendblatt-Verein übernimmt Schulkosten für beide Jungs
Ein Schulplatz für Kevin kostet rund 1000 Euro im Monat. „Eine Kostenübernahme für nicht mehr schulpflichtige Jugendliche und Jungerwachsene über die Hamburger Jugendämter zu erhalten wird aufgrund äußerer Sparzwänge zunehmend schwieriger“, erklärt Gangway-Schulleiter Hans-Joachim Liebig.
Nachdem der Abendblatt-Verein nun eine Kostenzusage für die Schulgebühren übernommen hat, macht Liebig für Kevin trotz langer Warteliste eine Ausnahme und hat ihn seit dieser Woche in die Präsenzklasse aufgenommen. Er begründet die Aufnahme so: „Das Schicksal der beiden Jugendlichen ist geprägt von schweren Verlusten und damit verbundenen Krankheiten. Die beiden Jungs habe ich als interessiert und lernwillig erlebt. Ihr schweres Schicksal sollte nicht die Schulabschlüsse behindern. Ich persönlich glaube, dass wir als Gesellschaft hier in der Pflicht stehen.“
„Endlich gibt jemand meinen Söhnen eine Chance“
Denn auch Julien möchte zumindest seinen Mittleren Schulabschluss (MSA) machen – für ihn gibt es die Möglichkeit, einen Online-Schulkurs bei Gangway e. V. zu absolvieren, der zum MSA führt. Auch hier hat der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ beschlossen, mit Spendengeldern für die Schulgebühren so lange aufzukommen, bis es vielleicht doch von der Jugendbehörde eine positive Entscheidung gibt. Denn die Zuständigkeit des ASD hat mit dem Umzug gewechselt – nun ist das Jugendamt Barmbek zuständig.
Andrea Kuyateh schreibt in einer berührenden E-Mail an den Abendblatt-Verein, dass sie so dankbar sei, „dass jemand meinen Söhnen endlich einmal wieder eine Chance gibt, das kennen sie aus ihrem Leben nicht“. „Kevin und Julien sind sehr intelligente Kinder, es ist schön, dass sie nach den vielen Jahren der Isolation wieder unter Gleichaltrige kommen und in einer Gemeinschaft lernen könnten“, sagt der Familienhelfer Frehse.
Dass er eingesetzt und vom Jugendamt bezahlt wird, war auch ein Kampf. „Ich bin nach dem Tod meines Mannes zum Jugendamt gegangen und habe um Familienhilfe gebeten, für mich ist es einfach schwer, alles allein zu machen“, sagt Andrea Kuyateh. Sie ist eine tapfere und kompetente Mutter – zu kompetent offenbar für die erste Jugendamtsmitarbeiterin, die die Familie kurz nach dem traumatischen Tod des Vaters besuchte und danach beschied, dass die Familie keine Hilfe benötige.
Mutter zu kompetent für das Jugendamt
Frau Kuyateh widersprach, die zweite Jugendamtsmitarbeiterin sah die Not sofort – seitdem ist Frehse involviert. „Wir können zwar mehr bewegen als Frau Kuyateh allein“, sagt er, „aber ich bin dennoch immer wieder entsetzt, gegen welche Widerstände wir kämpfen müssen.“ Er berichtet von der Krankenkasse AOK, die viele der berechtigten Anträge von Frau Kuyateh erst einmal ablehnt. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern etwas, das sehr viele Eltern mit behinderten Kindern mit ihren Krankenkassen erleben.
Da ihr Sohn Julien so lange gefangen in der alten Wohnung war, beantragte sie über die behandelnde UKE-Ärztin das Therapie-Gerät Thera Tiggo, mit dem er die Arme und Beine bewegen könnte, auch Tochter Josi könnte von dem Bewegungstrainer profitieren. Denn während der Corona-Pandemie kam kein Physiotherapeut mehr in die Familie, der Junge wurde immer dicker. Er wiegt inzwischen 120 Kilo bei einer Größe von 1,90 Meter.
Krankenkasse lehnt Trainingsgerät für Julien ab
Eigentlich spricht alles für dieses Gerät, das die AOK in ihrem Ablehnungsschreiben als Hilfsmittel „um eine drohende Behinderung auszugleichen“ anerkannt hat. Julien erfüllt auch laut der AOK alle gesundheitlichen Anforderungen – bis auf eine: Er hat keine zusätzliche Spastik. „Die Trainingsgeräte sind explizit mit einer Spastikschaltung vom Hersteller entwickelt worden, die ein technisches Element des Gerätes darstellt. Die Vorlage einer Spastik stellt somit eine wichtige Indikationsgrundlage. Aus diesen Gründen können die beantragten Kosten leider nicht übernommen werden“, heißt es in der AOK-Ablehnung vom April. „Leider gibt es diesen Trainer nur mit Spastik-Schalter“, sagt Frau Kuyateh.
Sie hat einmal mehr Widerspruch eingelegt, doch seit Monaten nichts von der AOK dazu gehört. „Stattdessen hat ein Mitarbeiter der AOK zu mir wortwörtlich gesagt, ich sollte meinen Sohn besser ins Pflegeheim abgeben“, berichtet Andrea Kuyateh. Auch Frehse beteuert: „Einer der oberen Führungskräfte der AOK hatte sich anschließend des Themas angenommen, es hausintern thematisiert und uns versichert, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde.“
Die AOK schickt eine Patientenbegleiterin
Die AOK reagiert sehr schnell auf die Abendblatt-Anfrage zu dem Thema. „Die Aussage ,Julien soll ins Pflegeheim abgegeben werden‘, können wir nicht nachvollziehen. Die Telefonate mit Frau Kuyateh verliefen nach unseren Erkenntnissen kundenfreundlich und lösungsorientiert“, schreibt eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Frank Frehse lacht bitter auf, als er diesen Satz hört, und sagt, dass Frau Kuyateh nicht nur eine tolle Mutter, sondern eine so freundliche und zugewandte Person sei – und er absolut nicht verstehe, warum sie dennoch so viel Ablehnung erfahre.
Immerhin besuchte direkt nach dem Abendblatt-Anruf eine AOK-Patientenbegleiterin die Familie in der neuen Wohnung. Zuvor wurde die Situation der Familie offenbar nur auf dem Papier beurteilt – und plötzlich scheint doch vieles möglich.
Tochter bekommt Assistenzhund vom Abendblatt-Verein
Auch für Josi, die in Winterhude auf der Schule ist, geht ein langer Wunsch in Erfüllung. Sie hat durch ihre Muskelatrophie bereits einen Tremor in den Händen, es fällt ihr schwer, Dinge vom Boden aufzunehmen, Türen zu öffnen, Lichtschalter zu bedienen. Ihr größter Wunsch? „Ein Assistenzhund, der mir im Alltag hilft, das wäre mein absoluter Traum“, sagt sie schüchtern. Auch diesen Wunsch kann der Abendblatt-Verein erfüllen, der gerade erst über eine Spendenaktion für Assistenzhunde Geld einsammeln konnte. Ein Teil davon soll nun in die Ausbildung eines Hundes für Josi gehen.
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Andrea Kuyateh sagt, dass mit dem Umzug in die neue Wohnung und mit der intensiven Hilfe durch den Abendblatt-Verein wieder Hoffnung in ihrer aller Leben getreten sei. „Ich möchte mich sehr herzlich für alles, was Sie für uns getan haben, bedanken. Es ist überwältigend. Ich glaube, es hat noch niemand je so an uns gedacht. Ich hatte immer das Gefühl, dass es letztendlich allen egal ist, was aus meinen Kindern wird. Natürlich ist es normalerweise die Aufgabe der Eltern, seinen Kindern den Weg zu ebnen. Leider war es mir allein aber nicht möglich, da es immer wieder Schwierigkeiten gab, die ich allein nicht bewältigen konnte.“
Auf die Frage, was sie sich denn für sich selbst wünscht, antwortet sie: „Ich hätte gern ab und zu etwas Zeit für mich. Ich würde gern regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe gehen, um die Trauer um meinem Mann zu verarbeiten. Denn ich muss doch stark bleiben – für meine Kinder.“ Sie sagt das, während Tränen ihr Gesicht herunterlaufen.
Infos zum Verein „Hamburger Abendblatt hilft“: www.abendblatt-hilft.de