Hamburg. In neuem Buch von Michael Koglin werden Spaziergänge zum kulturellen und religiösen Erbe aufgezeigt. Das Abendblatt stellt drei Touren vor.

Die spektakulären Pläne für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge haben das Interesse vieler Hamburger an jüdischer Geschichte geweckt. Bis Anfang der 1930er-Jahre lebten 24.000 Juden in Hamburg.

Sie und ihre Vorfahren haben ein reiches kulturelles und religiöses Erbe hinterlassen. Wer sich heute zu Fuß, per Fahrrad oder Auto auf den Weg macht, kann auch in Pandemie-Zeiten ihre Spuren entdecken. Das Abendblatt stellt drei Touren vor.

Michael Koglin, Autor von „Zu Fuß durch das jüdische Hamburg. Geschichte in Geschichten“

St. Pauli, Grindelviertel und Rotherbaum: Es ist eines der imposantesten Gebäude auf St. Pauli, vor dem der Buchautor Michael Koglin steht. In der Hand hält er einen Zettel mit seinen Empfehlungen für Spaziergänge durch das jüdische Hamburg, geschrieben mit grüner Tinte.

Die Villa Ballin an der Feldbrunnentraße 58.
Die Villa Ballin an der Feldbrunnentraße 58. © Andreas Laible

Koglin hat das Buch „Zu Fuß durch das jüdische Hamburg. Geschichte in Geschichten“ publiziert, das bereits in dritter Auflage erschienen ist (Europä­ische Verlagsanstalt Hamburg). „Hier“, sagt Koglin und zeigt auf den weißen Flügelbau an der Simon-von-Utrecht-Straße 2, „könnte ein solcher Spaziergang beginnen.“

Füheres Israelitische Krankenhaus ist ein möglicher Startpunkt für einen Spaziergang

Es ist das frühere Israelitische Krankenhaus, einst das beste Hospital Norddeutschlands. Sein Gründer und Finanzier war Salomon Heine (1767–1844), der Menschenfreund und Mäzen, ein jüdischer Bankier und Kaufmann.

„Die Fenster der Krankenzimmer waren nach Süden ausgerichtet, um so die gesundheitsfördernde Wärme der Sonne auszunutzen“, sagt Michael Koglin. „Und die Klinik verfügte über eine Sensation: Spül­toiletten.“

Grindelviertel ist das Herz des jüdisches Lebens

In der Nazizeit raubte der NS-Staat die Liegenschaft. Das heutige Israelitische Krankenhaus befindet sich in Alsterdorf. Und an der Simon-von-Utrecht-Straße 2 sind ein Jobcenter und soziale Einrichtungen untergebracht.

Das Herz jüdischen Lebens liegt nicht allzu weit von St. Pauli entfernt: das Grindelviertel. Dort, wo die Bornplatzsynagoge wieder aufgebaut werden soll, steht die Talmud-Tora-Schule (Grindelhof 30/38), die sich bei jüdischen Familien wachsender Beliebtheit erfreut.

Verknüpfung von Lernen und Leben im Judentum

Bereits im Jahr 1803 gegründet, prägte in den 1920er-Jahren der spätere Oberrabbiner Joseph Carlebach als Schuldirektor die Reformpädagogik. Der klassische Frontalunterricht wurde abgeschafft. Im Jahr 1937 lernten hier 800 Schüler.

Wie eng Lernen und Leben im Judentum verknüpft ist, zeigt die Geschichte der Alten und Neuen Klaus (Rutschbahn 11a). Religiöses Lernen fand unter anderem in den sogenannten Klausen statt, erklärt Michael Koglin.

Klausen waren Orte des religiösen Lernens

Diese Lernhäuser wurden von den Gemeindemitgliedern errichtet. In Hamburg gab es einst drei Klausen, die zugleich auch als Synagogen dienten. Die D.S. Wallichs Klaus (auch R. Jechiel Klaus), die Levin Salomon Klaus und die Alte und Neue Klaus in der Rutschbahn. Das Gebäude überstand die NS-Zeit. Heute wird es gewerblich genutzt.

Elbchaussee und Römischer Garten: Jetzt wird es romantisch: Dass hier, 30 Meter hoch über der Elbe am Blankeneser Kösterberg, ein römischer Garten mit Koniferen wie in der Toskana wächst und gedeiht, ist insbesondere der jüdischen Bankiersfamilie Warburg zu verdanken.

Übernahme des Anwesens von Warburgs

Max M. Warburg übernahm das Anwesen 1910 und beschäftigte mit Else Emily Hoffa eine Gartenarchitektin, die sich dem Stil Karl Foersters („Stauden Foerster“) verpflichtet fühlte und Italien ebenso liebte wie die Warburgs.

In den 1920er- und 1930er-Jahren fanden rund um das naturtheaterrauschende Feste statt, bis die Nazis an die Macht kamen. Nach Kriegsende übergaben die Warburgs das Kleinod an die Stadt unter der Bedingung, dass diese für die Gartenpflege sorgen müsse.

Heine-Haus gehörte dem Bankier Salomon Heine

Wer an der Elbchaussee entlangfährt, sollte einen Blick auf das Heine-Haus werfen. Das klassizistische Gartenhaus (Elbchaussee 31) gehörte dem jüdischen Bankier und Mäzen Salomon Heine und wird heute von einem Verein betreut. Coronabedingt kann es derzeit nicht besucht werden.

Das Heine-Haus an der Elbchaussee 31 wird von einem Verein verwaltet.
Das Heine-Haus an der Elbchaussee 31 wird von einem Verein verwaltet. © Roland Magunia

Harvestehude, Rotherbaum, Neustadt: Ende des 16. Jahrhunderts erreichte eine Flüchtlingswelle mit vertriebenen Einwohnern aus der iberischen Halbinsel (sephardische Juden) die Hansestadt.

Private Nutzung von ehemaliger Synagoge

Neben dem sephardischen Friedhof in Altona ist das Gebäude der früheren portugiesisch-jüdischen Synagoge (Innocentiastraße 37) erhalten. Die Gestapo befahl 1939, dass die Synagoge der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde „aufgehoben“ und zu Wohnzwecken hergerichtet werden müsse. „Heute wird die Villa privat genutzt“, sagt Koglin.

Wer weitere Spuren jüdischer Geschichte entdecken will, sollte an der Poolstraße 11–14 (Neustadt) Station machen. Wo sich heute eine Autowerkstatt befindet, steht im hinteren Teil des Grundstücks eine Tempelruine.

Zerstörung des Tempels im Zweiten Weltkrieg

Der Tempel gehörte dem Hamburger Tempelverein, der weltweit als Wurzel des liberalen Judentums gilt. Dieser Strömung fühlen sich heute 1,7 der weltweit 14 Millionen Juden zugehörig.

Der Tempel wurde im Zweiten Weltkrieg durch eine Fliegerbombe teilweise zerstört. Der Hamburger Senat hat entschieden, den Erhalt der Ruine finanziell zu unterstützen.

NWDR ließ Tempel zu Konzertsaal umbauen

Der ehemalige Tempel an der Oberstraße 120, in dem sich heute das Rolf-Lieber- mann-Studio des NDR befindet.
Der ehemalige Tempel an der Oberstraße 120, in dem sich heute das Rolf-Lieber- mann-Studio des NDR befindet. © Andreas Laible

Der liberale Tempel an der Oberstraße wurde während der Reichs­pogromnacht am 9. November 1938 verwüstet. Dass die Nazis kein Feuer legten, ist der dichten Bebauung an der Oberstraße zu verdanken: Die Nationalsozialisten befürchteten, das Feuer könnte auf die Nachbarhäuser übergreifen.

Nach Kriegsende ließ der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) das Gebäude zu einem Konzertsaal und Studio umbauen und kauft es von der Jewish Trust Corporation. Seit 1982 steht der ehemalige Tempel unter Denkmalschutz.