Hamburg. Ein Video, das das Vorgehen von Bundespolizisten beim Derby zeigt, hat eine Diskussion über Polizeigewalt ausgelöst.

Rund einen Monat nach dem umstrittenen Polizeieinsatz im Rahmen des Fußballspiels des FC St. Pauli gegen den Hamburger SV läuft die Untersuchung des Dezernats Interne Ermittlungen (D.I.E.) weiter. Noch gebe es aber keine spruchreifen Erkenntnisse, so die Innenbehörde am Donnerstag auf Anfrage.

Polizei Hamburg: Video von Derby-Einsatz löst Empörung aus

Schon am Spieltag war online ein Video aufgetaucht, das den Einsatz einer sogenannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundespolizei zeigt: Ein Beamter fixiert die Beine eines Mannes, der zweite schlägt ihm dreimal in schneller Abfolge in die Nieren und dann noch zweimal mit dem Ellenbogen in den Nacken.

Es fehlt jeglicher Kontext, es ist nur zu erkennen, dass die weniger als 20 Sekunden lange Szene direkt vor dem Millerntorstadion aufgenommen wurde. Trotzdem war die Empörung schnell groß: Auch Innensenator Andy Grote (SPD) zog die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens der Polizisten in Zweifel.

Darstellungen von Fans und Polizei widersprechen einander

Wie es zu dem Einsatz gegen den Mann kam, dazu gibt es unterschiedliche, einander ausschließende Darstellungen. Die Polizei Hamburg teilte dazu mit, etwa 250 teils vermummte St.-Pauli-Fans seien "gezielt in Richtung des Fanmarsches" der HSV-Anhänger gestürmt: "Nach polizeilicher Bewertung stand eine körperliche Auseinandersetzung, welche offenkundig seitens der St.-Pauli-Fans gesucht wurde, unmittelbar bevor." Das Video werfe allerdings "Fragen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auf".

Fan-Organisationen sprechen hingegen von einem "unverhältnismäßigen und brutalen Einsatz", darüber hinaus wird die Darstellung der Polizei in Zweifel gezogen: Zwar habe es eine Bewegung von Fans in Richtung des HSV-Fanmarsches gegeben – als diese gesehen hätten, dass sich Polizeieinheiten auf dem Heiligengeistfeld befinden, hätte man sich jedoch wieder zurückgezogen. Die Fan-Organisation "Braun-Weiße Hilfe" schreibt: "Die polizeiliche Aufgabe der sogenannten 'unmittelbaren Gefahrenabwehr' hatte zu diesem Zeitpunkt also bereits stattgefunden", der folgende Einsatz sei nicht mehr nötig gewesen.

Insgesamt vier Ermittlungsverfahren gegen Polizisten

Insbesondere der Frage danach, ob der Einsatz der auf die "beweissichernde Festnahme" spezialisierten Beamten gegen den am Boden liegenden Mann verhältnismäßig war, geht nun das D.I.E. nach. Neben dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren gegen den Bundespolizisten, der den Mann schlug, liegen dem Dezernat drei weitere Ermittlungsverfahren gegen Polizisten vor: Ein weiteres wegen Körperverletzung im Amt sowie eines wegen Freiheitsberaubung und eines wegen Diebstahls. Das ergab eine Schriftliche Kleine Anfrage des Linken-Politiker Deniz Celik.

Gegen Fans beider Lager seien gleichzeitig 66 Ermittlungsverfahren wegen so unterschiedlicher Delikte wie (unter anderem) gefährlicher Körperverletzung, Erschleichens von Leistungen (Fahren ohne Fahrschein), Sachbeschädigung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden. Zu den Vorwürfen aus der Fanszene wurden auch in der Antwort des Senats unter Verweis auf "strafrechtliche Ermittlungen, die derzeit noch nicht abgeschlossen sind", keine Angaben gemacht. Der Kontext, um den Einsatz des Bundespolizisten bewerten zu können, fehlt also weiterhin.

Video vom Derby-Einsatz von Querdenkern als Fake News verbreitet

Zugleich ist das Video, das die Diskussionen um mögliche Polizeigewalt befeuerte, weiter im Netz unterwegs. Inzwischen als Fake News: Nun soll es auf einmal "bei einem Protest gegen steigende Energiepreise" entstanden sein und zeige "parteiübergreifend begrüßtes" Durchgreifen gegen "einheimische Demonstranten". Verteilt wird es vorwiegend im Umfeld der "Querdenker"-Bewegung und anderer Verschwörungserzähler wie zum Beispiel vom Schlagersänger Michael Wendler.

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Der ARD-"Faktenfinder", der über die Weiterverbreitung des Videos im neuen, frei erfundenen Kontext zuerst berichtete, ließ sich sowohl von der Polizei als auch vom FC St. Pauli offiziell bestätigen, dass die Aufnahmen beim Stadtderby entstanden – und nicht bei einem wie auch immer gearteten Protest gegen die steigenden Energiepreise. Der FC St. Pauli äußerte sich am Freitag zusätzlich auf Twitter: Die Verbreitung "in einem komplett falschen Kontext" zeige, "wie mit Desinformation Stimmung gemacht werden soll".

Polizei Derby Hamburg: Twitter-Video die einzige Aufnahme des Vorfalls?

Zusätzliche Ironie: Der Mann, der von der BFE fixiert und geschlagen wird, ist kein "einheimischer Demonstrant" – sondern ein einschlägig polizeibekannter Anhänger der Hooligan-Truppe "Rotsport", der mutmaßlich als "Krawalltourist" aus Italien angereist war, um sich an Ausschreitungen zu beteiligen.

Ob das online geteilte Video die einzige Aufnahme des Einsatzes ist, ist unklar – aber auch relativ unwahrscheinlich: Die "beweissichernde Festnahme", auf die die BFE der Bundes- und Landespolizeien spezialisiert sind, sieht vor, dass gerichtsverwertbare Beweise einer Festnahme wie zum Beispiel Videoaufnahmen gesichert werden – normalerweise, um dem Festgenommenen eine Straftat nachzuweisen.