Hamburg. 2002 wurde sie eröffnet, bis heute ist sie Hamburgs größte Multifunktionshalle. Ein Gespräch zum Geburtstag mit den Chefs.

Der 8. November 2002 war einer der wichtigsten Tage im Berufsleben des Uwe Frommhold. Als an jenem Tag im Volkspark die rund 83 Millionen Euro teure Multifunktionshalle unter dem Namen Color-Line-Arena eröffnet wurde, war der heute 65-Jährige gemeinsam mit Mika Sulin deren erster Geschäftsführer.

Ein Abendblatt-Gespräch mit Frommhold, heute in Berlin Deutschland-COO der Anschutz Entertainment Group (AEG), die die Arena 2007 für rund 75 Millionen Euro vom finnischen Investor Harry Harkimo erwarb, und dessen Nachfolger Steve Schwenkglenks (50) anlässlich des 20-jährigen Bestehens.

Hamburger Abendblatt: Herr Frommhold, können Sie sich an Ihren größten Wunsch erinnern, den Sie im Zusammenhang mit der Color-Line-Arena hatten?

Frommhold: Ich wollte unbedingt, dass Phil Collins zur Eröffnung spielt. Er war im Vorhinein lange krank gewesen, aber zum Glück ist er rechtzeitig genesen. Wir hatten einen Vertrag über 30 Minuten Auftrittsdauer, er hat fast 90 Minuten gespielt. Mein größter Wunsch ist also schon mit der Eröffnung in Erfüllung gegangen.

Welches sind die herausragendsten Events, die Sie erleben durften?

Frommhold: Wir haben seit der Eröffnung rund 2400 Veranstaltungen durchgeführt, bestimmt bei zwei Drittel davon war ich live dabei. Da fällt es extrem schwer, einzelne herauszuheben. U2 hier zu begrüßen war ein weiterer Traum. Aber auch die großen Boxabende mit Dariusz Michalczewski und den Klitschko-Brüdern, die Spiele der Handball-WM der Männer 2007 – all das werde ich nie vergessen.

Sie haben im Januar 2019 die Verantwortung an Steve Schwenkglenks übergeben, der seit Mai 2010 Ihr Stellvertreter war. Herr Schwenkglenks, wenn es schwerfällt, aus den vielen tollen Tagen die herausragendsten auszuwählen, dann sagen Sie doch bitte, welches der schwärzeste Tag für Sie war.

Barclays Arena mit zwei blauen Augen durch Corona gekommen

Schwenkglenks: Der 8. März 2020, als man uns gesagt hat, dass wir die Türen zusperren müssen, weil ein Virus über die Welt gekommen war, war der schlimmste Tag. Wenn offizielle Stellen ein Berufsverbot erteilen, ist das etwas, was man weder planen noch sich vorstellen kann. Ich bin damals dem Irrtum aufgesessen, dass Corona vielleicht drei Monate dauert und danach alles wieder beim Alten ist. Jetzt sind wir froh, dass wir mit zwei blauen Augen und großen Einschränkungen durch diese Zeit gekommen sind.

Sie haben mal gesagt, dass die größte Angst des Arena-Chefs die vor einem Unfall oder Anschlag sei. Ist das nach den Erfahrungen der Corona-Jahre noch immer so?

Frommhold: Das bleibt so, auch wenn Corona manches relativiert hat. Aber zum Glück hatten wir in den 20 Jahren keinen schlimmen Vorfall bei uns. Einmal kam während eines Eishockeyspiels der Freezers ein Paket ins Haus, das verdächtig war, ein Umschlag adressiert einfach nur an die O2 World, wie die Arena damals hieß. Da ließen sich Drähte und ein pulverähnlicher Stoff ertasten. Wir haben das Paket in ein Büro gelegt und die Polizei gerufen. Die rückte mit dem Kampfmittel-Räumdienst an und hat den Umschlag geröntgt. Es stellte sich heraus, dass darin ein kaputter O2-Router war, der irrtümlich an die Arena zurückgeschickt wurde.

Mussten Sie jemals die Halle evakuieren, weil es Drohungen gegeben hat?

Schwenkglenks: Zum Glück noch nie. Wir haben unsere Sicherheitsstandards regelmäßig angepasst und nach dem Anschlag auf das Konzert von Ariana Grande 2017 in Manchester deutlich hochgeschraubt. Wir leben leider in einer Zeit, in der die Bedrohungslage deutlich größer ist als vor 20, 30 Jahren. Dem müssen und wollen wir Rechnung tragen.

Gibt es für Sie einen einzelnen Moment, den Sie bei einer Veranstaltung ganz besonders schätzen?

Frommhold: Wenn der Vorhang fällt und die ersten Takte Musik gespielt oder die ersten Zweikämpfe ausgetragen werden, dann spüre ich die große Freude des Publikums ganz deutlich. Das ist für mich jedes Mal wieder ein Wahnsinnskick. Für diesen Moment machen wir doch den ganzen Zauber.

Schwenkglenks: Für mich ist es zeitlich genau das Gegenteil. Wenn ich nach einer Vorstellung am Ausgang stehe und höre, wie sich die Besucher untereinander über das Erlebte austauschen, bewegt mich das jedes Mal wieder aufs Neue. Das ist die Grundaufgabe, die wir mit der Arena erfüllen: Die Menschen für ein paar Stunden aus dem Alltag herauszuholen und ihnen positive Emotionen zu ermöglichen.

Spüren Sie noch immer, dass die Menschen vorsichtiger sind? Glauben Sie, dass auch in diesem Winter die Sorge vor Corona einige davon abhält, Indoor-Veranstaltungen zu besuchen?

Schwenkglenks: Ich glaube es nicht. Die Menschen wollen wieder raus, sie wollen gemeinsam etwas erleben.

Frommhold: Sehe ich auch so. Der Livemoment ist nicht reproduzierbar. Aber natürlich sehen wir mit Sorge die nächste Krise heraufziehen: die deutlich steigenden Energiekosten.

Energiekrise: Barclays Arena will noch nachhaltiger werden

Wenn Sie diese an die Kunden weitergeben, werden viele Tickets bald kaum noch erschwinglich sein. Was tun Sie, um dem entgegenzuwirken und Ihre Energiekosten im Griff zu behalten und den Verbrauch zu senken?

Schwenkglenks: Aktuell gehen zwei Drittel meiner Arbeitszeit für diese Thematik drauf. Wir stehen vor zwei Fragestellungen. Erstens: Was und wie können wir einsparen? Und zweitens: Wie können wir Teile des benötigten Stroms selbst über Sonnen- und Windenergie erzeugen? Wir waren schon in den vergangenen Jahren sehr sparsam, haben deshalb noch keine endgültigen Lösungen, obwohl wir uns täglich mit diesem Thema beschäftigen. Wir erstellen gerade eine komplette Analyse des Geländes, um smarte Lösungen zu finden.

Wir installieren Bewegungsmelder, wo sie Sinn ergeben, wir werden der Empfehlung der Bundesregierung hinsichtlich der Anpassung der Raumtemperaturen folgen und diese um ein bis zwei Grad senken. Dass die Preise anteilig an die Kunden weitergegeben werden, wird sich nicht verhindern lassen. Wir müssen es aber so machen, dass es sozialverträglich bleibt.

Was würde man mit dem Wissen von heute anders bauen als vor 20 Jahren?

Frommhold: Ich bin sehr froh, dass wir damals eine praktische Arena gebaut haben, die auf allzu viel technischen Spielkram verzichtet hat. Es ist sehr funktionell gebaut worden, was operativ wichtig ist. Hier kann man noch auf Handschaltung umstellen, das finde ich gut, denn Technik ist sehr anfällig und muss sehr häufig komplett überholt werden. Die Arena ist für ihr Alter unglaublich gut in Schuss, es gibt hier keinen Sanierungsstau. Außerdem haben wir schon beim Bau der Arena Regen- und Grauwasser gesammelt und dadurch ein geschlossenes Abwassersystem geschaffen, das aus dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit beispielhaft ist. Die Beleuchtung ist komplett auf LED umgestellt. Heute würde man Solarzellen aufs Dach bauen, damit beschäftigen wir uns gerade. Doch das ist erst mittelfristig eine Hilfe, denn kurzfristig gibt es weder Material noch Personal.

Schwenkglenks: Mit dem Wissen von heute würde man den Produktionsbereich anders bauen. Vor 20 Jahren waren die großen Touren mit sechs bis zehn Trucks unterwegs, da war es wichtig, dass die direkt in die Halle reinfahren und dort einzeln abladen konnten. Heute sind bis zu 45 Trucks unterwegs, von denen zehn gleichzeitig entladen werden müssen. Dafür bräuchte man eine Entladerampe wie sie zum Beispiel bei großen Lagerhäusern üblich ist. Das lässt sich aber nicht nachrüsten. Also finden wir andere Lösungen. Auch der Backstage-Bereich ist nicht optimal, dort bräuchten wir mehr kleinere Räume als die fünf großen Umkleiden, die für die Sportteams gebaut wurden.

Zum Arena-Start gab es zwei Heimteams aus dem Sport mit den HSV-Handballern und den Eishockey-Freezers, heute spielt Sport eine untergeordnete Rolle. Warum ist heute nicht mehr notwendig, was damals richtig schien?

Frommhold: Mit den beiden Sportteams hatten wir feste Ankermieter, die viele Termine garantierten und die Arena einem möglichst breiten Publikum zugänglich machte, um den Bekanntheitsgrad schnell zu erhöhen. Nach dem Aus beider Teams haben wir investiert, um die Arena auch auf kleinere Konzerte und Shows attraktiv zu machen. Insofern waren zwei Sportteams damals genauso richtig, wie es heute die Planung ohne Sportteam ist.

So sieht die Barclays Arena mögliche Hallen-Neubauten

In Hamburg sind einige neue Arenen zumindest in der Planung, die Basketballer der Hamburg Towers wollen den Elbdome bauen, die Handballer des HSVH streben nach einer eigenen Halle. Wie nehmen Sie diese Konkurrenz wahr, und gibt es noch die Klausel, dass die Stadt Sie als Arena-Betreiber einbeziehen muss, wenn neue Hallen entstehen sollen?

Frommhold: Ich müsste dazu tief in die Vertragsdetails einsteigen. Ein Vetorecht haben wir nicht, das wäre ja auch komisch. Dennoch sind wir der Auffassung, dass es sinnvoll wäre, wenn sich potenzielle Betreiber neuer Hallen mit uns zum Gespräch träfen. Gegen neue Spielstätten für die Sportteams haben wir nichts einzuwenden, wobei sich die Frage der Wirtschaftlichkeit stellt, wenn jeder Club seine eigene Halle bauen würde.

Schwenkglenks: Wir sind für den normalen Ligabetrieb von Sportteams fast eine Nummer zu groß, für die Vereine sind nur Highlight-Spiele gegen Topgegner in unserer Arena interessant. Wenn ich allerdings die Baukosten betrachte, die ein Neubau heute im Vergleich zu vor 20 Jahren verschlingt, dann muss man sich schon fragen, wie ein Business Case für reine Sportarenen heute aussehen könnte.

Die Arena ist vom ersten Tag an privat finanziert und kostet die Stadt keinen Cent. Werden Sie dafür ausreichend wertgeschätzt?

Frommhold: Wir hatten nie die Erwartung, Steuermittel zu erhalten, haben das Grundstück zum symbolischen Preis von einer D-Mark und lediglich in der Corona-Zeit Ausfallgeld bekommen. Die Zu­sammenarbeit mit der Stadt war und ist sehr gut. Allerdings fänden wir es seltsam, wenn Betreiber künftiger Arenen anders behandelt werden würden als wir. Schließlich müssen wir jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag erwirt­schaften, um die laufenden Investitionskosten zu decken – kurz gesagt, wir müssen unser Geld selbst verdienen!

Schwenkglenks: Wir haben Jahr für Jahr eine Million Besucher, von denen ein nicht unerheblicher Teil dem Tourismus in der Stadt Einnahmen bringt. Ich denke, dass der Beitrag, den diese Arena für Hamburg leistet, nicht jeder und jedem klar ist. Aber wir sind sehr glücklich darüber, dass wir über die 20 Jahre mit Color Line, O2 und Barclays drei Namensgeber hatten, die uns wirtschaftlich großartig unterstützt haben oder es noch tun.

Würden Sie unter dem Eindruck der Krisen dieser Zeit heute, 20 Jahre danach, noch einmal eine Arena eröffnen?

Frommhold: Ohne Umschweife ja, weil die Menschen gemeinsame Erlebnisse brauchen. Man würde sie anders bauen, weil wir in der Erforschung und Entwicklung alternativer Energien und Baustoffe viel weiter sind.

Schwenkglenks: Mein Blickwinkel darauf hat sich schon verändert, man müsste sich unabhängiger machen von den Entwicklungen, müsste seinen eigenen Strom produzieren und viele andere Lehren ziehen. Aber dass es auch künftig Arenen braucht, daran gibt es keinerlei Zweifel. Deshalb würde auch ich es noch einmal machen.

Wie planen Sie die nächsten Jahre? Welche Veranstaltungen hätten Sie gern neu im Portfolio, wovon wollen Sie sich trennen, wie viele Events pro Jahr halten Sie für sinnvoll?

Schwenkglenks: Unser Fokus liegt darauf, Konzerte und Shows anzubieten, die eine Kapazität bis zu 15.000 Zuschauern benötigen. Dazu können Sportveranstaltungen gehören, aber auch für kleinere Konzerte und Shows wollen wir weiterhin attraktiv bleiben. Potenzial haben wir noch bei Firmen-Events, davon haben wir nicht viele. 160 Veranstaltungen im Jahr sind der Richtwert, den wir anstreben.

Gibt es ein ganz spezielles Event, das Sie gern einmal live in Ihrer Arena erleben würden?

Schwenkglenks: Mein erstes Livekonzert waren Die Ärzte in der Stadthalle Reutlingen, da war ich 16 Jahre alt. Seit ich hier arbeite, waren sie nicht bei uns. Sie hier live zu erleben, das wäre ein Traum. Und wir hatten noch nie ein Tennis-Event. Das fände ich auf jeden Fall spannend, das würde unser Portfolio gut abrunden. Vielleicht klappt es nächstes Jahr mit dem Daviscup­, der in diesem Jahr noch am Rothenbaum stattgefunden hat.

Wenn Sie sich für die nächsten Jahre etwas wünschen dürften, was wäre es?

Frommhold: Ich wünsche mir, dass der Spirit, den wir hier mit dem gesamten Team entwickelt haben und den Steve ausgebaut hat, beibehalten wird. Es gab anfangs durchaus ja auch Zweifler, die nicht glauben wollten, dass der Betrieb dieser Arena wirtschaftlich nachhaltig möglich ist. Aber wir haben bewiesen, dass wir es können.

Schwenkglenks: Ich wünsche mir zwei Dinge. Zum einen, dass es nicht weitere 20 Jahre dauert, bis die Verkehrsanbindung der Arena so ist, dass man sie als gut bezeichnen kann. Und zum anderen, dass der Tag bald kommt, an dem ich wieder Geschäftsführer sein kann und nicht Krisenmanager sein muss. Dass wir alle uns wieder um unser Kerngeschäft kümmern und kreativ an neuen Konzepten für die Unterhaltung unserer Gäste arbeiten können. Ich bin ein Mensch, der gern agiert, aber seit März 2020 reagiere ich nur. Aber der Tag, an dem ich das Team versammle und sage: „Wir haben alle Krisen überstanden, die Zukunft ist rosig!“, der wird kommen, und darauf freue ich mich schon jetzt riesig.