Hamburg. Laut Senat ist Hamburg auf gutem Weg – aber es fehlt Personal. Scharfe Kritik von Klimaschützern. Was jetzt auf die Bürger zukommt
Mit fast einem Jahr Verspätung hat Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Dienstag den Zwischenbericht zur Umsetzung der 2019 im Klimaplan festgeschriebenen Maßnahmen vorgestellt. Veröffentlich wurde das Papier allerdings noch nicht, laut Behörde werden daran noch „redaktionelle Änderungen“ vorgenommen. Aus dem Bericht werde aber deutlich, „dass der Senat sein Ziel aus dem Masterplan Klimaschutz von 2013 erreicht hat, bis 2020 gegenüber 2012 rund zwei Millionen Tonnen CO2 einzusparen“, betonte Kerstan. Eingespart worden seien bis 2020 exakt 2,052 Millionen Tonnen.
„Fast 90 Prozent“ der im Klimaplan 2019 festgeschriebenen Maßnahmen seien inzwischen entweder begonnen, in Vorbereitung oder bereits umgesetzt. Dazu gehörten „der weitere Ausbau von Mobilitätshubs (hvv switch Punkte), der Aufbau eines Clusters Wasserstoffwirtschaft, die Machbarkeitsstudie zur Erreichung der Klimaschutzziele im Bereich der Wohngebäude oder ein Förderkonzept für die Nachverdichtung von Wärmenetzen im Gebäudebestand“.
Klimaschutz: Hamburger Senat sieht sich auf gutem Weg
Die im September 2022 veröffentlichte CO2-Verursacherbilanz des Jahres 2020 zeige, „dass mittlerweile eine CO2-Reduktion von 34,7 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden konnte“. Zur Fortschreibung des Klimaplans in 2019 seien es noch 20,8 Prozent für das Jahr 2017 gewesen. In den letzten drei Jahren bis 2020 seien somit fast drei Millionen Tonnen CO2 eingespart worden. Die CO2-Bilanz für Hamburg wird jeweils im Herbst für das vorvergangenen Jahr veröffentlicht.
Somit sind die Zahlen von 2020 die aktuellsten, die der Hansestadt derzeit zur Verfügung stehen. Zudem ist davon auszugehen, dass die massiven Einschränkungen durch die Pandemie etwa beim Verkehr den CO2-Ausstoß massiv gesenkt haben – der Rückgang damit deutlich höher ausfiel als dies im Normalfall geschehen wäre. Wie stark der Einfluss der Pandemie gewesen sei, lasse sich nicht genau sagen, sagte Kerstan bei der Präsentation der Zwischenbilanz am Dienstag im Rathaus. Im Bund, der stets mit aktuelleren Zahlen arbeite, habe sich allerdings gezeigt, dass der CO2-Ausstoß im Jahr 2021 bereits wieder stärker angestiegen sei.
Energiewende: Öffentlichen Unternehmen spielen"herausragende Rolle"
„Klimaschutz ist und bleibt die herausragende politische und gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns auch in Krisenzeiten wie diesen mit aller Kraft stellen müssen“, sagte der Umweltsenator. „Wir sind mit dem Klimaplan inzwischen auf einem guten Weg und haben 2019 mit der Fortschreibung einen Neustart hingelegt, bei dem die Zielsetzungen erstmals mit Maßnahmen unterlegt und behördenübergreifende Sektorverantwortlichkeiten getroffen wurden. Die CO2-Einsparungen können sich trotz Corona-Effekten sehen lassen.“
Der Zwischenbericht weise „eine Vielzahl von Maßnahmen aus, die auf den Klimaschutz und die Klimaanpassung in der Stadt einzahlen“, so Kerstan. „Wir sanieren unsere Schulen, setzen bei Bus und Bahn auf einen emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr und haben uns mit Wohnungswirtschaft und Industrie auf mehr Klimaschutz verständigt. Ich bin besonders froh, dass jetzt unser Konzept für den Kohleausstieg durch die Ersatzkonzepte für Wedel und Tiefstack bis spätestens 2030 im Detail steht.“
Energiewende: Umstellung der Busflotte auf emissionsfreie Fahrzeuge
Die öffentlichen Unternehmen spielten dabei in der Energiewende „eine herausragende Rolle und setzen mit dem Energiepark Hafen und den Energiepark Tiefstack Maßstäbe für eine klimafreundliche Fernwärmeversorgung für Hunderttausende Haushalte in unserer Stadt“, sagte der Umweltsenator. „Wir werden nun im nächsten Schritt den Klimaplan fortschreiben und das Klimaschutzgesetz novellieren und – wie auf Bundesebene schon geschehen – die Ziele im Bereich Klimaschutz verschärfen. Wirksamer Klimaschutz verlangt uns allen etwas ab, wir werden dabei auf eine gerechte und sozial ausgewogene Verteilung der Lasten achten. Und wir werden Hamburgs Unabhängigkeit von allen fossilen Brennstoffen konsequent vorantreiben.“
Bei der anstehenden Änderung des Klimaplans werde es darum gehen, „insbesondere die energetische Sanierung des Gebäudebestandes und eine klimaneutrale Wärmeversorgung von Gebäuden ohne Fernwärmeanschluss in den Fokus zu nehmen“, so Kerstan. „Hier steht Hamburg in der Umsetzungsverantwortung, genauso wie bei der Mobilitätswende. Der Umweltverbund aus Bahn, Bus, Fahrrad und Fußgängerinnen und Fußgängern wird weiter gestärkt. Zentrale Bausteine dafür sind die komplette Umstellung der Busflotte auf emissionsfreie Fahrzeuge und die Einführung des Hamburg-Takts bis 2030.“
Klimawandel stellt Hamburg vor große Herausforderungen
Besondere Bedeutung hat auch der bis 2030 angestrebte Ausstieg der Fernwärme aus der Kohle – der den CO2-Ausstoß massiv reduzieren soll. Zugleich soll der Anteil der Haushalte, die mit Nah- und Fernwärme versorgt werden, von 25 auf 35 Prozent gesteigert werden. Neben der Erhöhung der Sanierungsquote spielt im Bereich der Gebäude auch der verstärkte Einsatz von Holz als Baumaterial eine Rolle.
Laut Umweltbehörde geht es aber nicht mehr ausschließlich darum, den Klimawandel zu bremsen. Vielmehr müsse die Stadt sich auch an die nicht mehr zu verhindernden oder bereits eingetreten Veränderungen des Klimas anpassen. „Steigende Temperaturen, Starkregen, Dürre und der Meeresspiegelanstieg stellen die Stadt vor große Herausforderungen“, so die Umweltbehörde. „Zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels werden Maßnahmen umgesetzt, die die Stadt und die Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen schützen. Hierzu wurde in der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft eine Stabsstelle Klimafolgenanpassung/RISA eingerichtet.“
Klimaschutz Hamburg: Belastungen für Bürger
RISA ist die Abkürzung für „RegenInfraStrukturAnpassung“, sie soll einen „zukunftsfähigen Umgang mit Regenwasser“ organisieren. „In diesem Zusammenhang wurden unter anderem die Starkregenhinweiskarte veröffentlicht und - in Zusammenarbeit mit den bezirklichen Dienststellen - konkrete Maßnahmen zur Starkregenvorsorge ausgearbeitet, die in den nächsten Monaten umgesetzt werden“, so Behörde. „So soll beispielsweise am Wiesenweg im Bezirk Wandsbek die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts durch Starkregenereignisse durch die Schaffung von Rückhalteräumen zukünftig minimiert werden.“
Für Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer gebe es einen kostenlosen Klimaanpassungs-Check vor Ort durch die Hamburger Energielotsen, so die Umweltbehörde. „Der mit dem Blauen Kompass preisgekrönte Expertenkreis der BUKEA und der Handwerkskammer Hamburg sorgt für einen intensiven Austausch von Handwerksbetrieben, um Kundinnen und Kunden in Bezug auf Vorsorgemaßnahmen beraten zu können.“
Kürzlich hatte sich die rot-grüne Koalition auf eine Verschärfung der Klimaziele geeinigt. Bis 2030 sollen jetzt 70 Prozent CO2 im Vergleich zu 1990 eingespart werden – bisher waren lediglich 55 Prozent Reduktion angestrebt worden. Wie das neue Ziel erreicht werden soll, wolle der Senat im Dezember darlegen, so Kerstan: „Eigentlich geht die Show nun erst richtig los.“ Es werde angesichts des neuen, ehrgeizigen Ziels „Belastungen“ für alle geben.
Herausforderung Klimaschutz: Kerstan fordert mehr Personal für Behörde
Angesichts der massiven Aufgaben der Umweltbehörde bei Klimaschutz, Energiewende und der Bewältigung der durch den russischen Krieg ausgelösten Energiekrise forderte Kerstan mehr Personal für seine Behörde. Darüber würden Gespräche im Senat geführt. „Ich gebe da nicht so schnell auf“, sagte Kerstan.
Auf die Frage, ob er ebenfalls einen höheren Stellenbedarf bei der Umweltbehörde sehe, sagte Marcel Schweitzer, Sprecher des Senats und von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD): „Ich kann bestätigen, dass der Umweltsenator nicht so schnell aufgibt.“
Fridays for Future nennt Selbstlob des Senats "bizarr".
Fridays for Future (FFF) übte scharfe Kritik an dem Selbstlob des Senats in Sachen Klimapolitik. "Die Einsparung von zwei Millionen Tonnen innerhalb von acht Jahren als Erfolg dazustellen, ist gerade zu bizarr, wenn man weiß, dass zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens diese Menge das jährliche Minimalziel sein müsste", sagte FFF-Sprecherin Annika Rittmann. "Der Senat hat in der Vergangenheit offensichtlich zu wenig unternommen. Wenn jetzt keine drastische Ambitionssteigerung kommt, fällt Hamburg meilenweit hinter anderen Bundesländern zurück. Das werden die Hamburger*innen Rot-Grün sehr übel nehmen.”
Auch bei den Grünen ist man nicht durchweg zufrieden mit der Zwischenbilanz. "Dass nur acht Prozent der Maßnahmen abgeschlossen sind, verdeutlicht, wie groß die Herausforderung der Klimaneutralität wirklich ist. Um diesen Prozess in Zukunft besser einschätzen zu können, braucht Hamburg engmaschige Zwischenziele für jeden Sektor", sagte die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Rosa Domm. "So könnten wir bei Verfehlung dieser Sektorenziele nachsteuern und für alle Hamburger*innen transparent machen, wo wir beim Klimaschutz stehen." Zudem brauche man "in den Behörden mehr Personal für den Klimaschutz, mehr Fachkräfte für klimarelevante Berufe und einen ausgefeilten Klimaplan, der Hamburg fit für die Zukunft macht“, so Domm.
Umweltverbände fordern mehr Anstrengungen vom rot-grünen Senat
Auch derHamburger Chef des Umweltverbandes BUND, Lucas Schäfer, forderte mehr Anstengungen. „Für alle Maßnahmen braucht es künftig ein deutlich engmaschigeres Controlling mit mehr Personal, einer besseren Finanzaustattung und klaren, auch unpopulären gesetzlichen Vorgaben. Die Überraschung, 2030 festzustellen, dass man die Ziele nicht erreicht hat, können wir uns nicht erlauben.“
Noch deutlicher wurde der Hamburger Vorsitzende des Umweltverbandes Nabu, Malte Siegert. „Sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft geblickt: Niedrige Ziele sind leicht einzuhalten", sagte Siegert. "Das bringt uns aber leider nicht weiter, wenn die Ziele zu unambitioniert sind. Dass der Senat weder einen Bericht vorlegt, noch zusätzlich Maßnahmen zur Umsetzung der neuen Ziele nennen kann, ist enttäuschend. Da kann man sich die Pressekonferenz eigentlich sparen."
Auch die Opposition ist nicht zufrieden mit dem Kerstan-Papier
"Die Vorstellung des Senats gleicht einem Blick in die Glaskugel", sagte Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch. "Der Senat ist nicht mal in der Lage, Minderemissionen durch Corona von Einsparungen durch Klimaplan-Maßnahmen zu unterscheiden. Schon 2019 war klar, dass der Klimaplan nicht zur Erreichung der Klimaziele reichen wird, selbst wenn alle Maßnahmen zu 100 Prozent erfolgreich umgesetzt würden. Es führt kein Weg daran vorbei, die Klimaziele zu verschärfen. Hoffen und Beschwören reichen jedenfalls nicht.“
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagte: "Senator Kerstan stellt verspätet und dazu noch unvollständig seine Klimaschutz-Bilanz vor. Und er hat Unrecht mit seiner Selbsteinschätzung: Es wäre ein wichtiges Signal für aktiven Klimaschutz, wenn der Senat einen erfolgreiche Umsetzung seiner Pläne von 2019 durch eigenes Handeln vermelden könnte. Wenn aber über ein Drittel der CO2-Einsparungen durch freiwillige Beiträge der Hamburger Wirtschaft geleistet worden sind, dann hat das mit rot-güner Politik nichts zu tun, sondern mit guter und flexibler Unternehmensführung."
Auch FDP und CDU üben Kritik
Dasselbe lasse sich für die Auswirkungen der Corona-Pandemie sagen, so Treuenfels-Frowein. "Ohne diese beiden Elemente wäre Senator Kerstan mit seinen Plänen kläglich gescheitert, er betreibt Klimapolitik auf Zufallsprinzip. Das belegt auch der geringe Beitrag der sogenannten Mobilitätswende zur CO2-Reduzierung."
CDU-Klimapolitiker Stephan Gamm sagte: „Es ist ein Armutszeugnis für Hamburgs Klimaschutz, dass der rot-grüne Senat es trotz seiner Ankündigung nicht schaffte, den Zwischenbericht pünktlich bis zum Ende des Jahres 2021 vorzulegen. Damit haben SPD und Grüne gegen Paragraf 6 ihres eigenen Klimaschutzgesetzes verstoßen, nachdem alle zwei Jahre ein Zwischenbericht zum Stand der Zielerreichung und der Umsetzung der Maßnahmen vorgelegt werden soll. Welche konkreten Erkenntnisse der Zwischenbericht liefert, wurde auch nicht im Rahmen der wirren Landespressekonferenz klar."