Michael Martin begann Anfang der Achtzigerjahre über seine Reisen zu berichten. Inzwischen ist er selbst zur Marke geworden.

Der Bayer Michael Martin ist Weltreisender und Welterklärer in einem. Seit 40 Jahren fotografiert er die Welt – und bringt sie nach Deutschland. Mehr als 30 Bildbände hat der 59-Jährige veröffentlicht. Mit dem Sachbuch „Terra“ ist ein großformatiger wie beeindruckender Bildband hinzukommen. Nun präsentiert er „Terra“ auch als Multivisionsvortrag in den Hallen des Landes. Nach Hamburg kommt er gleich zweimal, und zwar in die Laeiszhalle, am 11. und 26. November, jeweils um 19 Uhr.

Hamburger Abendblatt: Ihr neues Buch ist eine bildmächtige Hommage an Mutter Erde. Wie viele Reisen stecken zwischen den Buchdeckeln?

Michael Martin: Ich habe in den vergangenen 40 Jahren mehr als 300 Reisen unternommen, da habe ich einiges an Material gesammelt und wusste, wo ich suchen muss. Ich habe mir fünf Naturlandschaften herausgesucht, die durch die Kräfte des Erdinnern geprägt sind, und fünf Naturlandschaften, die das Klima geschaffen hat. Die ersten Reisen habe ich 2017 unternommen, und bis März 2020 hatte ich 30 der 35 geplanten Reisen absolviert. Dann kam Corona und hat mich ausgebremst. So konnte ich mich aber intensiver mit dem Buch, dem Fernsehfilm und der Multivision befassen.

Eis auf dem Baikalsee in Sibirien: Buch und Multivision „Terra“ beschreiben  zehn Gesichter der Erde in allen Klimazonen.
Eis auf dem Baikalsee in Sibirien: Buch und Multivision „Terra“ beschreiben zehn Gesichter der Erde in allen Klimazonen. © Michael Martin

Wie groß war dann am Ende das Material?

Martin: Ich habe aus rund 300.000 Bildern geschöpft. Ich kategorisiere und bewerte noch am Abend die Bilder, die ich mache. Ins Buch haben es 400 Fotos geschafft, in der Multivision zeige ich 1400 Bilder. Die Konzeption ist ein sehr aufwendiger Schritt, dazu musste ich 60 Musikstücke arrangieren. Allein in der Show steckt ein Jahr Arbeit. Das Reisen ist da nur die halbe Miete, das Editieren dauert mindestens genauso lange.

Ein Massai mit seiner Herde in Tansania. Michael Martin zeigt in seinen Bildern Landschaften, aber auch Menschen und Kulturen.
Ein Massai mit seiner Herde in Tansania. Michael Martin zeigt in seinen Bildern Landschaften, aber auch Menschen und Kulturen. © Michael Martin

Welche Veränderungen nehmen Sie bei Ihren Reisen in den Wildnissen der Welt wahr?

Martin: Der Kulturwandel ist am auffälligsten. Unser westlicher Lebensstil, von der Kleidung bis zur Architektur, hat sich weltweit durchgesetzt; viele Traditionen, viel Wissen sind verloren gegangen. Diese Entwurzelung ist nicht zu übersehen. Vieles hat sich zugleich zum Positiven gewandelt: Die Kinder sind geimpft, die Gesundheitsversorgung ist besser geworden. Die Naturzerstörung ist auch eklatant, die Regenwälder sind kleiner geworden, die Meere schmutziger. Der Klimawandel ist inzwischen nicht mehr zu leugnen: Das Abschmelzen der Eisflächen lässt sich mit Händen greifen, in den Nomadengebieten fehlt das Wasser. Der Raubbau der Menschen an der Erde hat sich in den vergangenen 40 Jahren dramatisch beschleunigt.

Eine Insel in Polynesien. Michael Martin hat auf seinen Reisen in den letzten Jahren viele Veränderungen festgestellt.
Eine Insel in Polynesien. Michael Martin hat auf seinen Reisen in den letzten Jahren viele Veränderungen festgestellt. © Michael Martin

Wann sind Sie zum ersten Mal auf Fern­reisen gegangen?

Martin: 1981 bin ich als Elftklässler mit meinem Mofa nach Marokko gefahren. Damals war ich Hobbyastronom und wollte den Sternenhimmel des Südens sehen – und habe mich in die Wüste verliebt. Rasch habe ich festgestellt, dass ich mit Bildern und dem Berichten von den Reisen Geld verdienen kann. Ich bin einer der Gründer des Mediums Dia-Vortrag. Schon als Schüler und Student habe ich Hunderte Vorträge gehalten. Daraus ist ein Geschäfts­modell geworden: reisen, fotografieren und darüber berichten. Bis heute habe ich nie etwas anderes gemacht, mich nie auf eine Stelle beworben, nie Rentenansprüche erworben. Kürzlich kam mein Rentenbescheid. Ich werde 13 Cent im Monat bekommen.

In Spitzbergen (Norwegen) hat Michael Martin einen Polarbären fotografiert.
In Spitzbergen (Norwegen) hat Michael Martin einen Polarbären fotografiert. © Michael Martin

Dann werden Sie noch ein wenig reisen müssen ...

Martin: Ja, aber ich habe ein anderes Lebens­modell gewählt. Und ich hatte das Glück, dass ich viele Jahrzehnte von diesen Dia-Vorträgen sehr gut gelebt habe. Ich habe den Boom geprägt und davon profitiert. Nach 2000 Vorträgen geht es mir wahrscheinlich finanziell besser, als wenn ich Geografie-Professor geworden wäre.

Aber funktioniert das Geschäftsmodell noch?

Martin: Vieles hat sich ins Internet verlagert. Früher sind die Menschen auch gekommen, um sich Insidertipps geben zu lassen für ihre eigenen Reisen. Damals gab es kaum Reiseführer für Individualtouristen, es regierte noch der Baedeker. Deshalb hatte ich auf meine Plakate geschrieben: Mit vielen Tipps zum Nachmachen. Ich hatte das Glück, dass ich vor rund 20 Jahren vom Thema zur Person wechseln konnte – meine Vorträge sind immer mehr zur Michael-Martin-Show mutiert. Die Säle wurden immer größer, allein in Hamburg hatte ich 4000 Besucher. Und dann kam Corona. Das schlug ein wie eine Bombe. Bis heute trauen sich viele nicht so recht in geschlossene Räume. Die Menschen haben sich vom Ausgehen entwöhnt, viele bleiben lieber auf dem Sofa sitzen.

Sie haben das Buch „Terra“ Ihrer Enkeltochter gewidmet, die in einem „Jahrhundert voller Herausforderungen aufwächst“. Sind sie pessimistisch?

Martin: Nein, gar nicht. Wir befinden uns zwar in einer kritischen Phase, was die Naturzerstörung und den Krieg in der Ukraine betrifft. Aber ich glaube, dass die Menschheit die vielfältigen Probleme lösen wird. Schon jetzt gibt es positive Entwicklungen: Indien etwa produziert inzwischen mehr Strom mit regenerativen Energien als mit Kohle, unsere Flüsse sind wieder sauber. Auch der Klimawandel ist in den Griff zu bekommen. Voraussetzung ist aber, dass wir die enormen Ungerechtigkeiten zwischen Nord und Süd abbauen.

Ihr Buch ist kein Coffeetable-Werk mit schönen Bildern, sondern ein echtes Geografiebuch.

Martin: Da verbinden sich meine beiden Welten: Ich bin im Herzen Geograf und Fotograf und möchte die Welt erklären. Deshalb habe ich keinen Bildband betextet, sondern ein Sachbuch geschrieben. Es versucht, die Erde in einen räumlichen und zeitlichen Kontext zu stellen. Was macht unsere Erde zum blauen Planeten? Wie sehen ihre Vergangenheit und Zukunft aus? Die Erde ist im Chaos geboren, war zwischenzeitlich komplett vereist oder viel heißer als heute – doch immer wieder kam das Leben zurück. 3,8 Milliarden Jahre hatte das Leben Zeit, sich zu entwickeln. Und erst vor 180.000 Jahren betrat der Mensch die Bühne, in der Blütezeit dieses Planeten. Mein Buch appelliert an die Menschen, das Wunder namens Erde mehr zu schätzen.